Süddeutsche Zeitung

Mitten im Gericht:Nicht jeder ist Jan Marsalek

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Unentschuldigt bei Gericht zu fehlen, zahlt sich selten aus.

Glosse von Gerhard Wilhelm

Die Mitarbeiterin an der Sicherheitsschleuse am Amtsgericht Erding hatte es schon zehn Minuten vor Beginn der Verhandlung gewusst: "Die wird wohl nicht stattfinden." Denn bis zu dem Zeitpunkt hatten sich weder der Angeklagte, noch einer der neun Zeugen eingefunden. Und so blickte Amtsrichter Björn Schindler um 13 Uhr in einen sehr aufgeräumten Gerichtssaal. Vorne er, rechts von ihm die Dolmetscherin, links die Staatsanwältin und die Protokollführerin.

Nun ist es - gerade in Corona-Zeiten - nicht ungewöhnlich, dass ab und zu der Angeklagte oder ein Zeuge nicht kommen, sogar der Verteidiger des oder der Angeklagten hat schon mal gefehlt. Aber dass gar keiner da war ... Ein Blick in die Akten zeigte dem Amtsrichter, dass die Vorladung zur Verhandlung jedenfalls formlos per Post zugestellt worden war. Womit von Amtsseite alles okay war. "Schaugn mer mal, wie es weiter geht", bilanzierte der Amtsrichter und gab dem Angeklagten eine 15-minütige Frist, um doch noch zu erscheinen.

Sieben Minuten später tauchen die ersten zwei Zeugen auf. Zwei Minuten später die nächsten zwei. Später stellt sich heraus, dass alle vier in einem Auto zur Verhandlung gefahren waren. Vom Angeklagten war aber auch nach der Gnadenfrist nichts zu sehen. Die Bilanz, die Amtsrichter Schindler zog, war ernüchternd: Kein Angeklagter, Zeugin eins nicht da, die geladenen Zeugen zwei bis fünf anwesend. Die Zeugen sechs bis neun sollten erst später aussagen. In einem Fall war definitiv klar: Die Zeugin telefonisch noch rechtzeitig darüber zu informieren, dass es zu keiner Verhandlung kommen wird, ist wohl überflüssig, da sie aus Magdeburg nach Erding anreisen musste.

Und warum das Ganze? Der Angeklagte hatte einen Strafbefehl - unter anderem wegen zweifacher gefährlicher Körperverletzung - erhalten. Darin war er zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je fünf Euro verurteilt worden. Dagegen hatte er Einspruch eingelegt. Was ihn schon mal 140 statt 70 Euro kostete. Und nachdem er zur Verhandlung unentschuldigt nicht kam, wurde der Einspruch auf Antrag der Staatsanwältin vom Amtsrichter "kostenpflichtig" verworfen. Und nun muss der Angeklagte auch die Gerichtskosten plus die Fahrt- und Lohnausfallkosten der Zeugen bezahlen. Was im Falle der Magdeburgerin ein paar Euro mehr sein dürften. Immerhin waren vier in einem Auto gekommen.

Fazit: Vor Gericht unentschuldigt nicht zu kommen, hat sich noch nie ausgezahlt. Es sei denn man ist Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und soll Milliarden unterschlagen haben.

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Quelle:
SZ vom 05.05.2022
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