Miserable Arbeitsbedingungen:Wahnsinnige Belastung

Immer weniger Lehrer wollen Schulleiter werden - die BLLV-Kreisvorsitzende Kerstin Rehm schildert warum

Gudrun Regelein

Wenn man in der Marina-Thudichum-Schule in Haag anruft, hat man gute Chancen, Kerstin Rehm, die Schulleiterin der Grundschule, am Telefon zu haben. Die Sekretärin? "Ist heute nicht da", meint Rehm. Bei kleinen Schulen mit fünf bis sieben Klassen wie ihrer, muss man sich mit einer Viertelkraft begnügen, die Sekretärin ist nur zwei Tage und am dritten Tag für zwei Stunden da. Was bedeutet, dass Rehm an den anderen Tagen neben den Telefonaten auch Büroarbeiten erledigen muss. Die Marina-Thudichum-Grundschule hat 118 Schüler in sieben Klassen - rein rechnerisch bekäme Rehm als Schulleiterin von ihren üblichen 29 Unterrichtsstunden einer Grundschullehrerin fünf Anrechnungsstunden abgezogen; fünf Stunden, die für die zusätzlichen Pflichten einer Rektorin dann laut Staat ausreichen müssen. Rehm ist in der "glücklichen Lage" als Personalratsvorsitzende des Landkreises vom Unterricht befreit zu sein. Denn auch ohne Unterricht hat sie einen Vollzeit-Job.

Im Grunde genommen ist es ein Wahnsinn, was Schulleiter gerade in den kleineren Schulen auf die Beine stellen müssen", sagt Rehm, die auch Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) ist. Denn diese müssen eine Fülle an Aufgaben ohne ausreichende Freistellung vom Unterricht, ohne zusätzliches Personal und genügend finanzielle Mittel bewältigen. Der BLLV schlägt inzwischen Alarm, da es bei den "miserablen Arbeitsbedingungen" immer schwieriger wird, Lehrer für die Schulleitung zu gewinnen. "Es ist ein ständiger Spagat zwischen dem Management der Schule und den Anforderungen als Lehrer", sagt Rehm. Das bedeute einen ständigen Kampf nach allen Seiten, der verschleißt, belastet und letztendlich krank mache. Jammern oder resignieren mag sie nicht, aber die Kollegen schafften das Pensum eines Schulleiters neben dem Unterricht häufig nur mit einer Sieben-Tage-Woche und auf Kosten der Gesundheit. "Das ist ein Unding. Die Schulleiter werden ausgebeutet", sagt Rehm.

Im hellen, geräumigen Büro der Schulleiterin stehen Stapel von Ordner. Ordentlich sortierte Papierberge liegen nicht nur auf dem riesigen Schreibtisch, sondern bedecken auch den Boden, immer wieder gibt es eine Störung. Mal klopft ein Schüler an die Tür, dann hat eine Kollegin eine Frage und auch die Sekretärin braucht noch ganz dringend eine Information. "Ich nehme mir einfach die Zeit", sagt Rehm, die sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Räumt dann aber ein, dass die Vielzahl ihrer Aufgaben, die sie auf nahezu vier DIN-A4-Blätter aufgelistet hat und zu denen beispielsweise die Zusammenarbeit mit Elternbeirat und Behörden, die Beurteilung der Lehrer, Haushaltsplanung, Organisation der vielen Schulveranstaltungen und Elternabende, Anfragen von Schulamt und Ministerium und sogar die Entwicklung eines Sicherheitskonzeptes gehören, sie an ihre Grenzen führt. "Es ist sehr schön, aber es ist auch wahnsinnig anstrengend", sagt Rehm nachdenklich. Das Schulprofil, das gerade in der Entwicklung ist, wird sie beispielsweise in den Weihnachtsferien abtippen. Und in dieser Woche steht noch eine Elternbeiratssitzung an, da wird sie dann wieder von 7.30 Uhr bis circa 22 Uhr in der Schule sein. Zwei andere Nachmittage der Woche, an denen Drittklässler ihr gelerntes Wissen über gesunde Ernährung gleich beim Kochen ausprobieren, sind auch schon verplant.

Ein Kollege sagte mir neulich, er fühle sich als Mädchen für alles", erzählt Rehm. Natürlich gerate man bei dem Versuch, es allen recht zu machen, in einen Konflikt. Und: "Eigentlich ist es auch gar nicht machbar." Immer sei dieser Konflikt zwischen einem Unterricht, der ja auch den eigenen Ansprüchen genügen soll, und den Anforderungen und Pflichten, die aus der Position des Schulleiters resultierten, präsent. "Es ist unverantwortlich, was der Staat verlangt", sagt Rehm. Sie hält neben einer Befreiung vom Unterricht für die Schulleiter, oder zumindest höhere Anrechnungsstunden, mehr personelle Unterstützung und spezielle Fortbildungen wie Konflikt-, Stress- oder Zeitmanagement für nicht nur wünschenswert, sondern für dringend notwendig.

Aber was bewegt einen Lehrer dann noch, den Posten als Schulleiter zu übernehmen? Finanzielle Gründe können es kaum sein, da der Mehrverdienst nur marginal ist. Rehm sagt spontan: "Es ist unglaublich erfüllend." Es sei die Möglichkeit der Eigengestaltung ohne Fremdbestimmung, Dinge zu gestalten und Einfluss zu nehmen, einen vertrauensvollen Charakter in der Schulfamilie zu erzeugen. Sie ist nach wie vor überzeugt, dass es für sie persönlich die richtige Entscheidung war, die Schulleitung in Haag zu übernehmen. Und falls sie wieder unterrichten müsste? Hier überlegt die temperamentvolle Frau dann doch kurz und sagt: "Auch dann, aber ich würde als BLLV-Vorsitzende weiterhin dafür kämpfen, dass sich die unzumutbaren Zustände verbessern."

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