Süddeutsche Zeitung

Migration:Allein in einem fremden Land

Lesezeit: 3 min

Ein junger Mann soll aus Wolfersdorf nach Afghanistan abgeschoben werden, obwohl er dort noch nie war. Seine Pflegeeltern kämpfen für ihn.

Von Clara Lipkowski, Wolfersdorf

An einem sonnigen Nachmittag Anfang Juli kommt Morteza nach Hause zu seinen Pflegeeltern, setzt sich an den Ecktisch mit der Wachstischdecke, sagt leise Hallo in die Runde. "Hast du den Quali geschafft?", fragt Edith Thorma. Der 19-Jährige hat den Kopf gesenkt. "Nee." "Nein?", fragt Cornel Thorma, der Pflegevater. "Ich muss in die mündliche." Hebt den Kopf. Grinst in die Runde. "Von wegen!", sagt Edith Thorma und grinst jetzt auch. Er hat bestanden.

So richtig freuen können sich alle Beteiligten dann aber doch nicht. Morteza Housseini lebt nach seiner Flucht aus Iran seit Sommer 2015 in Deutschland. Seine Integration, könnte man sagen, ist in vollem Gange: In seiner Berufsintegrationsklasse ist er mittlerweile Klassenbester. Nebenher hat er gepaukt, um einen Schulabschluss zu machen. Er spielt Fußball beim SV Palzing und lädt seine Freunde zum Kartenspielen nach Hause ein. Er will eine Lehrstelle finden, Grafikdesigner werden, auf jeden Fall in Deutschland bleiben. Wenn der deutsche Staat ihn lässt. Denn Morteza soll nach Afghanistan abgeschoben werden. Obwohl er noch nie dort war. Er ist in Iran geboren und aufgewachsen und geflohen, weil er von dort für die Armee des syrischen Diktators Assad rekrutiert werden sollte, wie er sagt.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kam im Februar: Asylantrag abgelehnt. Der Antragsteller habe das Land innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, hieß es. "Das ist absolut absurd", sagt Edith Thorma. Sie klagten. Derzeit wird die Entscheidung gerichtlich überprüft. Solange hat Morteza Aufschub. Er kann eine ganze Liste von Gründen aufstellen, warum er in Afghanistan um sein Leben fürchten muss. Zum Beispiel, "weil ich Hazara bin", sagt er. Die schiitische Minderheit wird im sunnitischen Afghanistan vielerorts diskriminiert und attackiert. Das war auch der Grund, warum Mortezas Großvater mit seinem Sohn - Mortezas Vater - in den schiitischen Iran geflohen war.

Morteza fürchtet, in Afghanistan angegriffen zu werden

Als Hazara würde er in Afghanistan nur schwer und wenn, dann eine schlecht bezahlte Arbeit finden, sagt Morteza. "Ich kenne dort niemanden, meine Familie lebt ja in Iran." Um sie nicht zu gefährden, will er lieber ohne Foto in der Zeitung erscheinen. Weil er "westlich" aussehe, müsse er mit Übergriffen rechnen. Er trägt Skinny-Jeans an diesem Nachmittag, ein schwarzes enges T-Shirt, das seinen durchtrainierten Oberkörper betont. Am linken Zeigefinger steckt ein großer silberner Ring mit einem roten Stein. Was solle er da?, fragt er.

Das Bamf urteilt über sein Schicksal wie über das vieler Tausender Flüchtlinge: Mithilfe einer Anhörung. Morteza fährt dafür im November 2016 nach München. Während des 60-Minuten-Gesprächs mit einem Entscheider und einem Dolmetscher für seine Muttersprache Dari kann Morteza laut Auskunft des Bamf keine drohende Verfolgung glaubhaft machen. Nach Iran könne er nicht abgeschoben werden, weil er dort zuletzt illegal gelebt habe. Tatsächlich hatte ihm die örtliche Polizei sämtliche Papiere - Zeugnisse, Impfpässe, die ihn hätten ausweisen können - abgenommen. So erzählt es Morteza. Denn auch in Iran seien afghanische Hazara staatlicher Willkür ausgesetzt. "Sie können froh sein, wenn sie als Menschen zweiter Klasse in Ruhe gelassen werden", sagt Thorma.

Das Bamf argumentiert weiter: Ihm sei als gesunder, junger Mann zuzutrauen, dass er "seinen Lebensunterhalt zum Beispiel in der Hauptstadt Kabul bewerkstelligen kann". Zudem sei er im Kulturkreis des Landes aufgewachsen und kenne die Sitten. Und - ganz wichtig - die Hazara würde nicht im gesamten Land verfolgt. In mehreren Orten sei das Leben für ihn zumutbar.

Edith Thorma ist vor allem mit der Befragung beim Bamf unzufrieden

Edith Thorma, die bei der Befragung dabei war, regt sich massiv auf: "Er konnte überhaupt nicht alles vortragen." Seine Gewalterfahrungen etwa, die entscheidend für die Anerkennung in Deutschland sein können. Er sei vom Entscheider ständig gedrängt worden, sich kurz zu fassen. Dass er in Iran mehrmals verhaftet und von Polizisten und Passanten zusammengeschlagen worden war, sodass er einen Monat nicht stehen und sitzen konnte, sei gar nicht in die Akten aufgenommen worden. Dass es ihm seither psychisch schlecht gehe, auch nicht. Ärztliche Stellungnahmen seien ignoriert worden. Und: "Der gestellte Dolmetscher hat ihn eingeschüchtert", sagt Thorma wütend, "da hat sich Morteza nicht mehr getraut zu reden."

Nun wartet Morteza auf die Gerichtsentscheidung. Zeitaufschub hat die Familie bekommen, weil die Bundesregierung die Sicherheitslage in Afghanistan neu bewertet. Solange werden laut einem Sprecher des bayerischen Innenministeriums nur "Straftäter, Gefährder und solche Personen abgeschoben, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern." "Wenn wir wieder eine Ablehnung bekommen, klagen wir weiter", sagt Edith Thorma. Auch, um Morteza nicht von seinem zwei Jahre jüngeren Bruder zu trennen, der mit ihm nach Deutschland geflohen ist und ebenfalls bei den Thormas lebt. Nach der Anhörung hatte der ein Abschiebeverbot erreicht - er darf bleiben. "Wir vermuten, weil er noch nicht volljährig ist." Würde Morteza abgeschoben, müsste er alleine in Afghanistan leben, seine Eltern und Schwestern sind in Iran.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2017
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