SZ-Serie: Stadt-Land-Leben:Zwischen Burschenverein und Pendlerleben

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Neue Wohngebiete wie dieses an der Freisinger Straße locken immer noch Zuzügler nach Marzling. Ihre Integration in die alteingesessene Dorfgemeinschaft ist nicht selbstverständlich. (Foto: Marco Einfeldt)

Marzling ist bis heute eine ländlich geprägte Kommune mit vielen alteingesessenen Familien. Zugleich aber sind in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Neubürger zugezogen, die der günstige Baugrund lockte. Das passt nicht immer gut zusammen.

Von Gudrun Regelein, Marzling

Stadt und Land ist seit jeher ein Gegensatzpaar, auch wenn die Trennlinie zwischen urbanen und ländlichen Räumen nur schwammig und diffus umrissen ist. Das Leben in Einöden, Weilern und Dörfern ist natürlich in vielerlei Hinsicht anders als in einer Metropole. Es gibt objektive und messbare Unterschiede zwischen Stadt- und Landleben, es gibt anders gelagerte Vor- und Nachteile hier und dort, es gibt ebenso differenzierte Probleme und Möglichkeiten. Und überdies gibt es viele gefühlte Wahrheiten und empfundene Zustände. In der aktuellen Stadt-Land-Diskussion geht es um all das eher weniger – aber worum geht es denn eigentlich? Dieser Frage spürt die Lokalausgabe der SZ in den kommenden Wochen in einer losen Serie nach. Heute: Der Zwitter-Ort.

Mitten im Ort finden sich noch Getreidefelder und ein Bauernhof. Der Katholische Burschenverein Marzling hat erst im Juli sein 110-jähriges Bestehen ausgiebig gefeiert, unter anderem mit einem Festumzug mit vielen Teilnehmern. Marzling ist nach wie vor eine traditionsbewusste, ländlich geprägte Kommune mit vielen alteingesessenen Familien. Das ist die eine Seite. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Ort aber zunehmend für Zuzügler attraktiv. Das macht Marzling auch zu einer modernen Pendlergemeinde mit vielen, zumeist jungen Neubürgern, die hier nicht unbedingt ihren Lebensmittelpunkt haben.

Rudolf Goerge, der frühere Kreisheimatpfleger, ist schon vor über 30 Jahren mit seiner Familie von Freising nach Marzling gezogen. „Aus dem einfachen Grund, weil eine größere Wohnung, die damals wegen unserer Kinder notwendig wurde, in der Domstadt unbezahlbar war“, berichtet Goerge. Richtig angekommen sei man in der Gemeinde aber auch nach der langen Zeit nicht wirklich: „Wir sind noch immer mehr mit Freising verbunden als mit Marzling.“

Wer kein Vereinsmensch ist, tut sich schwer, in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden, denkt Rudolf Goerge, der seit mehr als 30 Jahren in Marzling wohnt, aber sich nicht richtig zugehörig fühlt. (Foto: Marco Einfeldt)

In Freising treffe man sich mit Freunden, gehe einkaufen oder besuche Veranstaltungen. In Marzling dagegen kenne man inzwischen zwar schon viele Leute, aber die alteingesessenen Familien bildeten eine verschworene Gemeinschaft. „Die halten schon zusammen.“ Dort Zugang zu finden, sei schwer. „Dafür müssten wir halt bei der Freiwilligen Feuerwehr sein oder in einem der Vereine Mitglied werden. Dann würde die Integration sicher besser klappen. Aber wir sind beide keine Vereinsmenschen – das ist nicht das Unsere.“

Den Umzug bereue er dennoch nicht, sagt Goerge. „Es ist alles da, was wir brauchen.“ Dazu komme die gute Verkehrsanbindung. Diese sei sicher auch mit ein Grund für den hohen Zuzug, ein anderer die vielen Neubaugebiete in den vergangenen Jahren – mit teilweise moderateren Preisen als in Freising.

Bauboom zu Beginn der 70er-Jahre

Die Gemeinde ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, bestätigt Marzlings Zweite Bürgermeisterin Roswitha Apold. Zu Beginn des Baubooms in Marzling Anfang der 70er-Jahre waren es noch deutlich weniger Einwohner, 1972 lebten gerade einmal 1296 Bürgerinnen und Bürger hier, heute sind es fast dreimal so viele. Damals wurden die ersten Grundstücke als Bauland ausgewiesen, in den Jahren darauf folgten immer mehr – teilweise waren es auch größere Baugebiete. Neben Marzling selbst zählen noch zehn Ortsteile zu der Gemeinde, die nach wie vor zumeist noch von Landwirtschaft geprägt sind. Vor allem dort finden sich viele Betriebe mit Ackerbau oder Nutztierhaltung, berichtet Apold.

Es ist aber nicht das ländliche Leben, das die vielen Zuzügler hier suchen. Die Nähe zu Freising, das gerade einmal vier Kilometer weit weg ist, und die gute Verkehrsanbindung mit Bahnhof im Ort, der nahen Autobahn und dem nahen Flughafen haben Marzling zu einem beliebten Wohnort gerade auch für junge Familien gemacht, sagt Apold. Daneben gebe schon sehr lange einen Hort, eine Kinderbetreuung, die „sehr gut funktioniert“ und eine Grundschule mit Sporthalle. Die Infrastruktur sei gut, so gebe es ein Seniorenwohn- und Pflegeheim, einen Bau- und Wertstoffhof, eine eigene Wasserversorgung und einen Sportpark.

Noch größer wolle man aber nicht werden, betont Apold. Zwar gebe es noch immer Flächen, die man nachverdichten, oder Grundstücke, die als Baugebiet ausgewiesen werden könnten, aber: „Das ist für uns als Gemeinde nicht mehr finanzierbar, wir müssten schließlich auch für die Neubürger eine entsprechende Infrastruktur schaffen. Das aber können wir uns nicht mehr leisten.“

"Wer es will, findet bei uns Anschluss", denkt Roswitha Apold, zweite Bürgermeisterin von Marzling. Angebote gebe es genug. (Foto: Marco Einfeldt)

Roswitha Apold lebt seit 1983 mit ihrer Familie in Marzling – und fühlt sich hier verwurzelt. „Wir haben hier ein gutes Miteinander und eine gute Gemeinschaft“, sagt sie. Sie denke nicht, dass Marzling vielen Neubürgern nur als „Schlafgemeinde“ diene. Die Dorfgemeinschaft sei offen, findet Apold. „Wir haben sehr viele Angebote, in Marzling gibt es über 20 Vereine“, sagt sie. Die Schützengesellschaft Hangenham beispielsweise, der Katholische Frauenbund, die Freiwillige Feuerwehr oder der traditionsreiche Katholische Burschenverein.Wer es will, findet bei uns Anschluss.“

„Traditionserhalt ist uns wichtig“

Der Katholische Burschenverein Marzling zählt momentan etwa 100 Mitglieder, etwa 40 von ihnen sind aktiv, berichtet Vorstand Christian Manlik. Nur Männer werden dort aufgenommen, sie müssen über 16 Jahre alt – und dürfen nicht verheiratet sein. Wer heiratet, muss austreten. Der Verein dient der Förderung der Jugendarbeit und dem gesellschaftlichen Zusammenleben im Verein, in der Pfarrei und der Gemeinde Marzling. Kameradschaft, Heimatliebe, Geselligkeit und Freundschaft stehen im Mittelpunkt. „Traditionserhalt ist uns wichtig“, sagt Manlik.

Manlik ist 25 Jahre alt, er kommt aus einer alteingesessenen Marzlinger Familie, die schon seit vielen Generationen hier lebt. Er ist vor zehn Jahren dem Burschenverein beigetreten: Zum einen wegen der vielen Aktivitäten, die für die Gemeinde geleistet werden – wie das jährliche Maibaum-Aufstellen oder die Organisation des Faschingsballs. „Zum Anderen wegen des Gemeinschaftsgefühls im Verein“, sagt er. Dort finden sich vor allem junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren aus den alteingesessenen Familien, berichtet Manlik. „Zuzügler haben wir eher weniger.“

Eine Hochburg für die Grünen

„Bei den letzten Kommunalwahlen war tatsächlich eines unserer Themen, wie man in der Gemeinde einen größeren, einen besseren Zusammenhalt schaffen kann“, sagt Marc Decker. Decker ist einer der beiden Vorsitzenden des Ortsverbandes der Grünen in Marzling. In die Gemeinde kam er vor etwa zehn Jahren durch einen Zufall, damals suchten er und seine Frau nach einer geeigneten Wohnung – und fanden sie hier. Er fühle sich in Marzling inzwischen heimisch, betont Decker.

„Es gibt sicher Zuzügler, die wegen der guten Anbindung, der guten Kinderbetreuung und Schule hierherziehen – und mit dem Ort nicht groß etwas zu tun haben“, sagt Decker. Daneben gebe es aber auch einen sehr großen Zusammenhalt, wie bei der Spendenaktion für einen an Krebs erkrankten Jungen aus der Gemeinde, bei der sich Alteingesessene und Neubürger gemeinsam engagiert haben. Ob er Marzling als eine Art Zwitter sieht – mit Gegensätzen, einem Ort, wo Tradition die Moderne trifft? „In gewisser Weise ist das so – zumindest teilweise“, antwortet Decker. Man finde hier beides.

Die vielen Neubürger seien sicher auch mit ein Grund, dass die Grünen bei den Wahlen in Marzling schon seit Langem viele Stimmen bekommen. „Marzling ist neben Freising eine Hochburg.“ In den nördlichen Kommunen dagegen finde man überwiegend konservative Wählerschaft. Ein anderer Grund sei, dass Marzling sehr nahe bei Freising liege, fast schon ein Vorort sei. Der nahe Flughafen – der Kampf gegen die dritte Startbahn – spiele bei der Wahlentscheidung sicher auch eine Rolle, sagt Decker. „In Marzling wohnen viele Menschen, die den Grünen gegenüber sehr aufgeschlossen sind, die grün denken und leben.“

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