Süddeutsche Zeitung

Unrat einsammeln in Marzling:Abschied von der "Cellulite-Frau"

Jahre lang fuhr Ludwig Dinzinger mit seinem Kajak über die Moosach, um Müll wie Cremetuben und Wodkaflaschen aus dem Wasser zu fischen. Nach seinem Umzug von Marzling nach Freising ist damit Schluss.

Von Laura Dahmer

Die Moosach ist sein Revier. Gekonnt paddelt Ludwig Dinzinger durch den Fluss vor seiner Haustür, umschifft dabei umgefallene Bäume, Äste und andere Hindernisse, die sich ihm auftun. Er kennt jeden Zentimeter der Moosach fast in- und auswendig. "Da vorne ist ein Bibernest", sagt er und deutet auf einen Holzhaufen am Uferbecken. "Und da vorne in den Weiden - da sind wir uns ziemlich sicher - nistet ein Eisvogel." Schon öfter haben Dinzinger und seine Frau Sandra dort nämlich ein blaues Tierchen rein- und rausfliegen sehen. Das Ehepaar ist oft mit seinen Kajaks auf der Moosach, bis vor Kurzem wohnten sie in Marzling mit direktem Flusszugang.

"Das werde ich schon ganz schön vermissen", sagt Ludwig Dinzinger, während er ein letztes Mal seine Kreise auf dem Wasser zieht. Vor Kurzem ist der Furtnerbräu-Wirt in die Freisinger Innenstadt gezogen, eine direkte Anlegestelle hat er dort nicht mehr. Aber so richtig genießen kann er den idyllischen Blick auf die Moosach ohnehin nicht mehr. Vor etwa acht Jahren, als er mit seinem Kajak unterwegs war, ist ihm der viele Müll aufgefallen, der an den Ufern schwimmt. Er fing an, ihn einzusammeln. Seitdem fuhr er etwa einmal im Monat, mit Eimern und Müllgreifer bewaffnet, über den Fluss, sammelte die ungewöhnlichsten Dinge ein und sieht in der Moosach mittlerweile vor allem eins: Abfall.

Der Eimer mit den Fundstücken füllt sich immer weiter

Unten im Wasser, neben einem dicken Ast, hat Dinzinger schon wieder etwas entdeckt. Mit seinem Paddel bremst er das Kajak abrupt ab und manövriert sich möglichst nah an den von ihm identifizierten Fremdkörper. Er steckt seine Hand in den Schlamm und zieht ein großes gelb-bräunliches Objekt heraus. Mehrmals schwenkt er es durchs Wasser, um den Schlamm abzuwaschen und identifizieren zu können, was er dort gefunden hat. "Das sieht aus wie . . . eine Windel", sagt Dinzinger und verzieht das Gesicht. "Aber eine Stoffwindel. Die schwimmt wohl schon einige Jahrzehnte hier herum, da ist hoffentlich nichts Ekliges mehr dran." Das Fundstück verschwindet in seinem Eimer, der sich immer weiter füllt, und die Fahrt geht weiter.

"Vor einigen Jahren habe ich angefangen, alles zu dokumentieren, was ich in der Moosach finde", erzählt der Wirt des Furtnerbräus. "Am Ende wollte ich das in Tonnen umrechnen. Das war dann aber doch zu viel Arbeit." Jedes Mal, wenn Dinzinger unterwegs ist, kommt er nach wenigen Stunden mit mehreren Eimern voll Müll zurück. "Wenn ich bis nach Freising runterfahre, ist das Kajak danach voll." Regelmäßig fotografiert er den gesammelten Müll und postet das auf Facebook.

Vieles, was er findet, muss er zurücklassen

Vieles, was er findet, muss er zurücklassen: Autoreifen, große Blumentöpfe, Einkaufswagen. Schon seit Jahrzehnten schwimmt ein Sessel in der Moosach, nur das Kopfteil ragt ein Stück weit aus dem Fluss heraus. Für den unbedarften Betrachter sieht er aus wie ein mit Moos bewachsener Stein. Auch einige andere von Dinzingers Fundstücken stammen aus einer anderen Zeit. "Ich habe schon etliche Quarkverpackungen von Weihenstephan gefunden, bestimmt fünf Produktionslinien, von denen die Firma einige selbst nicht mehr einordnen kann", sagt er. Diese alten Dinge, vermutet der Hobby-Müllsammler, stammen aus den Sechziger- oder Siebzigerjahren, als es in Marzling noch keine Müllabfuhr gab und Abfall vor der Begradigung des Flusses unter der Erde vergraben wurde.

Anderes fischt er aber auch regelmäßig aus der Moosach, und es schwimmt offensichtlich noch nicht lange dort. Dinzinger kann drei Wiederholungstäter benennen: Die "Cellulite-Frau", den "Urbanov-Alki" und den "Faxe-Dosen-Schmeißer". Erstere scheint eine Anwohnerin zu sein, eine Neustifterin, schätzt Dinzinger, die aufgeschnittene und zusammengesteckte Cremetuben in die Moosach schmeißt. "Das passiert ungefähr einmal im Monat", sagt er. Auch dieses Mal findet er eine ihrer Tuben im Wasser, ausnahmsweise keine Cellulitecreme, sondern Massagegel.

Der Urbanov-Alki hinterlässt kleine Wodkaflaschen

Der Urbanov-Alki hinterlässt, wie sein Name schon verrät, kleine Wodkaflaschen in der Moosach, etwa 30 Stück fischt Dinzinger davon im Monat aus dem Wasser. Auch hier glaubt er, den Tathergang rekonstruieren zu können: "Er kauft die Fläschchen in Freising an der Tankstelle, die gibt es nirgendwo sonst. Wenn sie leer sind, schmeißt er sie ins Wasser, und dann treiben sie flussaufwärts." Dort landen sie dann irgendwann im Eimer des Freisingers. Der Faxe-Dosen-Schmeißer handelt nach einem ähnlichen Muster wie sein Urbanov-Kollege.

Dinzinger sitzt in seinem Kajak und lässt sich ein letztes Mal übers Wasser treiben. Außer ihm und seiner Frau ist hier keiner unterwegs, und jetzt, wo sie weg sind, wird sich auch niemand anderes um den Müll kümmern. "Klar, wenn man Bilder sieht, was anderswo im Meer herumtreibt, ist das hier fast lächerlich", sagt Dinzinger. Aber er würde sich trotzdem wünschen, dass die Müllproblematik in der Moosach gerade von der Stadt Freising, der Gemeinde Marzling und vom Wasserwirtschaftsamt thematisiert würde. "Die Anwohner sollten ganz gezielt sensibilisiert werden." Denn was Ludwig Dinzinger noch mehr ärgert als die wenigen, üblichen Serientäter: Dass immer wieder Biomüll und Rasen- oder Baumschnitt in der Moosach landet. "Gerade durch die Trockenheit der letzten Zeit ist die Wasserqualität gesunken, es ist wenig Sauerstoff im Wasser", sagt er. "Reingeschmissene Baumzweige ziehen noch mehr Sauerstoff und schaden dem Fluss."

Das Vermüllen von Gewässern ist eigentlich eine Ordnungswidrigkeit, für die je nach Größenordnung eine Strafe von mehreren Tausend Euro fällig werden kann. Ludwig Dinzinger jedenfalls wird den Müll in Zukunft nicht mehr einsammeln können. Während er sein Kajak an Land zieht und die zwei Eimer voll Fundstücken heraushebt, philosophiert er über mögliche Alternativen. Eine, die ihm einfällt: Wenn man eine Kette am Wehr aufspannt, könnte man damit wohl viel Plastikmüll aus dem Wasser ziehen.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2020/axka
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