Süddeutsche Zeitung

"Literarischer Herbst":Qualität statt Durchschnitt

Der Kulturverein Modern Studio bleibt seinem Prinzip treu und präsentiert den Freisingern wieder einige Geheimtipps. Los geht es mit einer Vernissage von Zeichnerin Julie Völk.

Von Alexandra Vettori, Freising

In den vergangenen drei Tagen hat Helma Dietz Ränder von Bildern ausgemessen, Rahmen zusammengesteckt und geschaut, ob alles passt, und das ungefähr 100 Mal. Davor sind, gut verpackt, die Original-Bilder bei ihr daheim eingetroffen, die bei der neuen Ausstellung des Freisinger Kulturvereins Modern Studio zu sehen sind: zauberhafte Aquarelle und Zeichnungen der Kinderbuchautorin Julie Völk. Eine Kiste kam aus Stuttgart, wo ein Teil der Zeichnungen gerade zu sehen war, eine von der Künstlerin, eine dritte aus dem Storm-Museum in Heiligenstadt. Dort hängen Bilder Völks, weil sie eine Storm-Novelle illustriert hat, Zeichnungen, die viel düsterer sind als die Kinderbücher.

An diesem Dienstag ist Helma Dietz, die stellvertretende Vorsitzende des Modern Studio, im Alten Gefängnis in Freising. Dort hängt sie zusammen mit der Vorsitzenden Irmgard Koch und drei Herren die Bilder auf. Noch zwei Tage haben sie, am Donnerstag um 19 Uhr ist Vernissage. Sollte jemand nervös sein, merkt man es nicht. Es herrscht konzentrierte Stille, jeder weiß, was zu tun ist. Die beiden ehrenamtlichen Kuratorinnen, so kann man Helma Dietz und Irmgard Koch getrost nennen, auch wenn ihr Aufgabenspektrum weit darüber hinaus geht, geraten ins Schwärmen, als sie die Zeichnungen erläutern. "Völk hat das Grundtalent, dass sie unheimlich gut zeichnet und unterschiedliche Techniken anwendet", betont Dietz.

Ein Händchen für Autoren

Die Ausstellungseröffnung ist gleichzeitig der Auftakt zum "Literarischen Herbst", den das Modern Studio heuer zum 37. Mal veranstaltet. 1971 gründete sich der Verein, 1982 fand der erste "Literarische Herbst" statt. Auch wenn die Siebzigerjahre wildere Zeiten waren und damals viele Diskussionen zum Programm gehörten, ist man sich in einem Punkt treu geblieben: Das Modern Studio bietet Qualität, keinen Durchschnitt. Dass nicht immer die Zuschauermassen kommen, findet Helma Dietz zwar ein wenig schade, doch sie weiß: "In Freising ist es schwer, die Leute hinter dem Ofen hervorzuholen, wenn die Sachen vorher nicht schon medial bekannt sind." Spiegel-Bestseller aber will der Kulturverein für Lesungen nicht in die Stadt holen, eher Geheimtipps. Und dass man dafür ein Händchen hat, zeigte sich schon öfter. "Wir hatten bisher zwei Büchner-Preisträger da - bevor sie den Preis bekamen", erzählt Dietz und sieht sehr zufrieden dabei aus.

2017 habe man sich den Lyriker Jan Wagner für den "Literarischen Herbst" ausgeguckt. Als er eine Lesung in München hielt, fuhren Dietz und Koch hin, um ihn für einen Besuch in Freising zu gewinnen. "In der Früh habe ich dann erfahren, dass er den Büchner-Preis bekommt und war traurig, dass er jetzt sicher nicht mehr kommen würde", erzählt Dietz. Sie sprachen am Abend trotzdem mit ihm, und er kam, wenn auch erst ein Jahr später. Freilich waren auch schon 1400 Gäste im Alten Gefängnis, 2009 etwa, bei der Gedächtnis-Ausstellung für Friedrich Kohlsaat, einen der Gründer des Modern Studio, oder bei einer Marionetten-Ausstellung.

Im Fokus stehen Themen wie Flucht und Migration

Nach dem "Literarischen Herbst" ist vor dem "Literarischen Herbst", schon im Winter fangen die beiden Vorsitzenden wieder an, nach Künstlern Ausschau zu halten. In Fachzeitschriften, im SZ-Feuilleton, bei der Frankfurter Buchmesse. In diesem Jahr habe man sich der Themen angenommen, "die gerade auf den Nägeln brennen", so Irmgard Koch, "Migration, Flucht, Holocaust". Die meisten Lesungen, auch ein Puppentheater, werden an Schulen gehalten, nicht für die Öffentlichkeit. "Das ist wichtig, weil wir auch den Kindern die Begegnung mit guter Literatur ermöglichen wollen, die nicht von den Eltern herangeführt werden", so Dietz. Deshalb seien die Zuschüsse von Stadt und Landkreis so wichtig. Man habe zwar Sponsoren, "aber es ist immer knapp".

Die drei Herren, die an diesem Dienstag im Alten Gefängnis Juli Völks Bilder so gekonnt an die Wände bringen, sind eingespielt. Christian Grimm, selbst Autor und langjähriges Vereinsmitglied, lächelt auf die Frage nach dem Grund für sein Engagement: "Der Verein ist so wertvoll für Freising, dass ich es wirklich gerne mache." Andreas Meinel nickt, "ohne die Einzelnen wäre das Große und Ganze nicht machbar." Nur Walter Dietz grinst verschmitzt, "ich bin verheiratet mit dem Verein."

Öffentliche Lesungen: Robert Prosser, "Gemma Habibi", Dienstag, 12. November, 20 Uhr im Café Camerloher, Wippenhauser Straße 51; Anke Stelling, "Schäfchen im Trockenen", Montag, 18. November, 20 Uhr im Café Botanika im Schafhof 1; Dany Keller, "Nur eine Stunde zu spät", Donnerstag, 21. November, 20 Uhr, Altes Gefängnis, Obere Domberggasse 16; Rosemarie Ritter, die aus Mascha Kalekos Lyrik liest, Freitag, 22. November, VHS-Raum Isarau, Kammergasse 12.

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SZ vom 06.11.2019/psc
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