Lieferengpässe bei Arzneimitteln:"Die Situation ist wirklich schrecklich"

Lieferengpässe bei Arzneimitteln: Hausärzte und Apotheker rechnen trotz der angekündigten Gegenmaßnahmen mit einem anhaltenden Medikamentenmangel in den kommenden Monaten.

Hausärzte und Apotheker rechnen trotz der angekündigten Gegenmaßnahmen mit einem anhaltenden Medikamentenmangel in den kommenden Monaten.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Viele Medikamente werden knapp. Es fehlen Fiebersäfte für Kinder, Schmerzmittel, Antibiotika, Krebsmedikamente, ebenso Mittel gegen Bluthochdruck. Ein neues Gesetz soll Abhilfe schaffen. Apotheker in der Region sind skeptisch. Sie befürchten, es wird Jahre dauern, bis sich die Situation wieder normalisiert hat.

Von Gudrun Regelein, Freising

Viele Medikamente werden immer knapper. Vor allem Fiebersäfte für Kinder, Schmerzmittel, Antibiotika, Krebsmedikamente oder auch Mittel gegen Bluthochdruck und Diabetes. Auf der Lieferengpass-Liste des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) sind derzeit 339 Arzneimittel aufgelistet - das sind aber nur die verschreibungspflichtigen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will nun mit einem Gesetz dem Notstand abhelfen. Die Apotheker in den Landkreisen Freising und Erding sind allerdings skeptisch, ob das etwas bringen wird.

"Die Situation ist wirklich schrecklich", sagt Freisings Apotheken-Sprecherin Ingrid Kaiser. "Und es wird jeden Tag noch schlimmer, so etwas habe ich noch nicht erlebt." Der Lieferengpass für einige Medikamente bestehe zwar bereits seit einiger Zeit - zuletzt sei durch die Husten- und Grippeepidemie das Ganze aber noch einmal eskaliert. "Wir sind ja schon froh, wenn wir wenigstens ein bisschen etwas bekommen", schildert Kaiser.

Geschimpft wird auf die Politik

Apotheker könnten nicht viel tun: "Vorausschauend einkaufen - und nach Alternativen suchen", sagt Kaiser. Letzteres bedeute zwar einen extremen Aufwand, aber zumindest könne man die Kunden versorgen. Manchmal klappe aber auch das nicht, dann müsse der Kunde wieder zu seinem Arzt und sich dort ein neues Rezept mit einem anderen Wirkstoff ausstellen lassen. Die meisten nähmen es gelassen hin, "wir versuchen ja, zu helfen." Geschimpft werde vor allem auf die Politik. Für die Apotheker aber bedeute das alles einen großen Mehraufwand. Der bürokratische Aufwand sei enorm: "Wir dürfen den Mangel verwalten und dokumentieren", beklagt Kaiser.

Mit dem geplanten Gesetz des Bundesgesundheitsminister sei nun zumindest ein Anfang gemacht worden, sagt sie. "Wenigstens gibt es ein Problembewusstsein." Das Gesetz sieht unter anderem eine deutlich bessere Vergütung besonders wichtiger Medikamente vor. Die Kassen sollen künftig das bis zu 1,5-fache des sogenannten "Festpreises" erstatten, die Gewinnmargen der Hersteller würden damit also deutlich steigen. "Aber so schnell wird das nichts bringen", befürchtet die Apothekerin. Es werde Jahre dauern, bis sich die Situation wieder normalisiert habe. Viel zu lange sei Vieles schiefgelaufen. "Wir können es uns einfach nicht erlauben, so billig zu produzieren." Wenn zehn Zäpfchen nur 75 Cent kosten dürfen, rechne es sich für einen Hersteller einfach nicht wirklich.

Kaum Hersteller in Deutschland

Der Bogen sei überspannt worden, sagt auch Freisings Ärztesprecher Georg Miedl. Eine politische Gegensteuerung sei überfällig. Immer weniger Arzneimittel-Hersteller stünden zur Verfügung, auch die meisten der Grundstoff-Wirkstoffe würden im Ausland produziert. Die Festpreisregelung in Deutschland habe zu einem Abwandern der Produktion in Billiglohnländer wie China und Indien geführt. Hersteller in Deutschland gebe es kaum mehr, die Produktion sei zu unrentabel. "Es muss uns doch klar sein, dass gute Medizin ihren Preis hat", sagt Miedl. Immer noch günstiger gehe auf Kosten der Qualität und des Wettbewerbs. "Das fällt uns jetzt auf die Füße." Der Engpass mache sich derzeit sehr stark bemerkbar, sei herausfordernd, sagt Miedl. "Wir kriegen es aber hin." Das mache allerdings Kompromisse notwendig und bedeute einen Mehraufwand. Für alle: die Apotheker, die Ärzte und die Patienten. Einer sei vor Kurzem bis nach München gefahren, um für sein Kind einen bestimmten Fiebersaft zu bekommen.

Die Misere ist selbstverschuldet

Auch in der Park-Apotheke in Dorfen gehen allmählich die Kinderschmerzmittel aus, schildert Inhaber Jens Krautscheid. "Es wird täglich schwieriger", sagt er. Säfte und Zäpfchen werden zum Teil inzwischen selber hergestellt. "Von einer Normalität sind wir weit entfernt." Für Erwachsene dagegen seien Insuline nicht mehr lieferbar. "Da etwas zu ersetzen, ist deutlich schwieriger." Noch aber könne man alle Patienten versorgen.

Die Misere sei selbstverschuldet, sagt Krautscheid. In Deutschland gebe es durch die Krankenkassen einen enormen Kostendruck, der natürlich Folgen habe. Die Kassen hätten die Preishoheit, es gebe sogenannte Festbeträge. Der Paracetamolsaft beispielsweise dürfe nur 1,08 Euro kosten. In Deutschland gebe es deshalb fast keine Produzenten mehr. "Und ein Hersteller in China oder Indien liefert natürlich dorthin, wo mehr bezahlt wird." Der Wirkstoff Ibuprofen beispielsweise werde fast nur noch in China hergestellt, in Deutschland sei das gar nicht mehr möglich. Zuletzt stoppte China auch noch den Export von Ibuprofen und Paracetamol, die schon jetzt angespannte Situation bei der Arzneimittelversorgung könnte sich also noch einmal zuspitzen. Bis in Deutschland aber endlich die für eine Arzneimittel-Produktion notwendige Industrie aufgebaut sei, vergehe Zeit - viel Zeit. "In drei Monaten ist das nicht möglich, bis die Produktion läuft, vergehen drei Jahre."

Das geplante Gesetz sei überfällig, sagt Krautscheid. "Die Werkzeuge, die das Gesetz bieten, sind zwar gut. Aber es muss noch nachgebessert werden." Im hochpreisigen Segment würde die geplante Steigerung des sogenannten "Festpreises" vielleicht noch ausreichen, im Niedrigpreis-Segment aber definitiv nicht. Wie beim Paracetamolsaft für 1,08 Euro oder dem Kindernasenspray für 90 Cent. Dort müssten die Festbeträge um ein Vielfaches steigen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: