Letzte Werke, große Kunst:Fluidum der Endlichkeit

Der Freisinger Asamchor widmet sich den letzten, unvollendeten Werken zweier Heroen der Musikgeschichte: Bach und Mozart. Das gelingt ihm nach intensiven Proben wunderbar mühelos.

Von Philipp Weigl

Umgeben vom Fluidum der Endlichkeit kamen am in der St. Georgs-Kirche die letzten, unvollendeten Werke zweier Heroen der Musikgeschichte zur Aufführung: Bachs "Kunst der Fuge" und Mozarts "Requiem". Obwohl beide Werke in der jenseitsbehafteten Tonart d-Moll komponiert sind und kontrapunktische Gestaltungsmerkmale aufweisen, - bei Bach als Prinzip, bei Mozart als gelegentliches Stilmittel - sind sie in ihrem Ausdruck höchst verschieden: Auf der einen Seite steht Bachs Zyklus mit seiner tief empfundenen rational kontrollierten Klangästhetik, mutmaßlich für Tasteninstrumente komponiert. Auf der anderen Seite eine für Mozart untypische überschäumend-pompöse Wuchtigkeit, die den Zuhörer mit großem Chor, Orchester und Solisten bis ins Mark erschüttert.

Zu Beginn des Konzerts erklangen auf der Orgel fünf ausgewählte Fugen und ein Kanon aus der "Kunst der Fuge". Der Vortrag des Kölner Domorganisten und Orgelprofessors Winfried Bönig zeugte von hoher Virtuosität und absoluter Meisterschaft. Wie versiert sich Bönig durch die äußerst trickreichen Passagen wand, nötigte großen Respekt ab. Die abschließende Fuge ließ der Organist dann unvermittelt abbrechen, jedoch gab es keine ratlosen Gesichter im Publikum, denn das ausführlich gestaltete Programmheft verriet den Grund dieser heute üblichen Aufführungspraxis: "über dieser Fuge (...) ist der Verfasser gestorben". Die Wirkung indes war sehr bewegend und erinnerte thematisch an die frühe Bachsche Orgelbearbeitung von Luthers "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen". In der zweiten Programmhälfte erklang das Requiem. Der Asamchor Freising, das Münchner Ensemble für Alte Musik "LaBanda" sowie vier Gesangssolisten boten unter der Leitung von Gunther Brennich eine eindringliche Aufführung der Totenmesse dar. Der Eingangschor versetzte die zahlreichen Zuhörer mit gemessenen schrittweisen Stimmeinsätzen in eine festlich-düstere Stimmung. Solistin Anne Reich brachte mit ihrem klangschön dargebotenen Sopransolo einen kurzen Moment des Trostes. Die folgende Allegro-Fuge des Kyrie wurde vom Chor in verhaltenem Tempo vorgetragen; Brennich ging damit wohl im Hinblick auf die akustischen Gegebenheiten in der Kirche einen Kompromiss ein. Mit tosenden Orchester- und Chorklängen brach anschließend das apokalyptische "Dies irae" über das Publikum herein. Jeder Chorsänger fiebert diesem aufregenden und mitreißenden Moment entgegen und das Ergebnis war beeindruckend. Chor und Orchester waren perfekt auf einander abgestimmt: Das Ensemble "La Banda" bestach mit großer Präzision und Homogenität. Der Chor setzte dem Orchester entschlossen drängende Vehemenz entgegen, die keinen Zuhörer unberührt ließ. Im darauffolgenden "Tuba mirum" traten die Solisten in Erscheinung. Matthias Winckhler (Bass) absolvierte seinen Part deklamatorisch sehr deutlich und elegant in der Phrasierung, hatte jedoch teilweise klanglich mit der dominanten, titelgebenden Posaune zu kämpfen. Henning Kaiser (Tenor) lieferte eine tadellose Leistung und versah den Hymnus vom jüngsten Gericht mit energischer Emphase. Dem fulminanten "Rex tremendae" folgte das beschwörende "Recordare": Das Solistenquartett agierte in wechselhaftem Gesang sehr innig und berührend. Ursula Eittinger betörte mit ihrer klaren und im piano äußerst deutlich vernehmbaren Altstimme die Zuhörer.

Danach erklang das bekannte und vom Chor feierlichintonierte "Lacrimosa", welches Mozart nicht mehr vollenden konnte. Dieses und alle nun folgenden Teile des Werks wurden von einem Schüler Mozarts nach Skizzen des Meisters fertiggestellt. Ihre ganze Klasse stellten Chor, Orchester und Solisten beim Bittgesang "Domine Jesu" abermals unter Beweis: Der stete Wechsel von Dynamik, Satztechnik und Besetzung wurde von allen Musikern in wunderbarer Mühelosigkeit vollzogen. Am Ende des Konzerts dankten die Zuschauer den Akteuren für ihren immensen Arbeitsaufwand mit lang anhaltendem Applaus.

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