Letzte Runde im Startbahnprozess:Die Attachinger spielen nur eine Nebenrolle

Über die Folgen einer dritten Startbahn für die Vogelwelt wird beim Prozess am Verwaltungsgerichtshof leidenschaftlich diskutiert. Ähnlich strenge Richtlinien wünscht sich Christian Magerl für den Schutz der Menschen. Doch scheinen nicht so wichtig zu sein.

Von Johann Kirchberger

Wie hoch Richter Erwin Allesch, der Vorsitzende des 8. Senats am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die Gefährdung des europäischen Vogelschutzgebiets "Nördliches Erdinger Moos" durch den Bau einer dritten Startbahn einstuft, ist auch nach 36 Verhandlungstagen völlig offen. Etwas aus den bisher vorgebrachten Argumenten der Kläger, den Gegenargumenten der Beklagten oder vor allem aus den Äußerungen des Vorsitzenden herauslesen zu wollen, hieße "Kaffeesatzleserei" betreiben, sagt Christian Magerl, Grünen-Abgeordneter und Vorsitzender des Umweltausschusses im bayerischen Landtag, Kreisvorsitzender des Bundes Naturschutz und Dauergast im Gerichtssaal.

Für Richter Allesch und seinen Senat wird es nicht leicht werden, abzuwägen zwischen dem Schutz der Natur und den wirtschaftlichen Interessen der Flughafenbetreiber. Bisher hat er sich alle Argumente geduldig angehört, zusammengefasst und dann zu Protokoll gegeben, manchmal verbunden mit dem Zusatz, "die einen sagen A und die anderen B, so ist das halt im Leben". 265 Seiten, sagt er, habe er schon diktiert. Helfen könnte ihm bei seinem schwierigen Abwägungsprozess die EU-Kommission, der er die im Planfeststellungsbeschluss festgehaltenen Vogelschutzmaßnahmen zur Überprüfung vorlegen könnte, wie Magerl sagt.

Leicht zu durchschauen ist das Dickicht der verschiedenen Bestimmungen nicht. Da gibt es die Vogelschutzrichtlinien der Europäischen Union, die FFH-Bestimmungen (Flora, Fauna, Habitat), die nationalen Naturschutzgesetze, da muss unterschieden werden zwischen Landschaftsschutz-, Naturschutz- und FFH-Gebieten, die alle im "Europäisch ökologischen Netz Natura 2000" zusammengefasst sind. Unterschieden werden muss auch zwischen Brut- und Rastvögeln, zwischen Brut, Nahrungs-, Winter- und Durchzugsgebieten, zwischen Arten, die im Standarddatenbogen aufgenommen sind oder eben nicht, in welchem Erhaltungszustand sie sind, welche Vögel Freiflächen benötigen und welche Büsche, welche besonders empfindlich auf Lärm und Lichtreize reagieren. Unbestritten ist, dass nach dem Europarecht oberstes Erhaltungsziel ist, den Artenrückgang zu stoppen. Der Zustand der geschützten Vogelarten, fasst Magerl zusammen, dürfe daher durch Eingriffe, gleich welcher Art, nicht verschlechtert, sondern müsse durch geeignete Maßnahmen verbessert werden.

Richter Allesch selbst hat im laufenden Prozess immer wieder mal betont, dass bei großen Bauvorhaben nichts so umfangreich gewürdigt werde wie der Naturschutz. Und für alle Beteiligten hatte er auch die Mahnung parat, hier im Gerichtssaal kein "Zugvogelseminar" zu veranstalten, wenn wieder einmal heftig darüber gestritten wurde, wie viele Vögel wann und wo vorkommen und welche Gewohnheiten sie haben. Er hätte durchaus Verständnis dafür, sagte der Richter, wenn die Menschen in Attaching neidisch werden angesichts der Tatsache, wie umfangreich die Natur und wie wenig die Menschen vor einer dritten Start- und Landebahn geschützt würden. Ähnlich sieht es auch Magerl. Er freut sich zwar über das gute Bayerische Naturschutzgesetz und die strengen europäischen Vogelschutzrichtlinien, aber auch er sieht den Schutz der Menschen lange nicht ausreichend gewürdigt. "Eigentlich bräuchten wir analoge Regeln für die Menschen", sagt er.

Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Entscheidung durch Richter Allesch dürfte der Bedarf für eine dritte Start- und Landebahn im Erdinger Moos spielen. Gerne und immer wieder zitiert Magerl in diesem Zusammenhang den früheren bayerischen Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, der im Jahre 2003 gesagt habe, "eine dritte Startbahn, die braucht's nicht". Deutlicher Beweis dafür sei der ständige Rückgang der Flugbewegungen. 2013 werden es wohl nur noch 380 000 Starts und Landungen werden, prophezeit Magerl, und auch 2014 werde der Rückgang anhalten. Der bisherige Spitzenwert sei 2007 mit 435 000 Flugbewegungen erreicht worden, seither würden sie von Jahr zu Jahr weniger.

Derzeit sei man auf den Wert von 2004 zurückgefallen. Und bis 2020, da ist sich Magerl sicher, werde das bisherige Maximum auch nicht mehr erreicht. Betrachte man dagegen die 2007 im Planfeststellungsverfahren angestellten Prognosen der Firma Intraplan, mit denen der Bau der dritten Startbahn gerechtfertigt werden sollte, dann müssten derzeit jährlich 550 000 Flugzeuge im Erdinger Moos unterwegs sein. Später seien diese Prognosen korrigiert worden. Im Planfeststellungsbeschluss sei nur noch von 450 000 Starts und Landungen im Jahr 2014 die Rede. Aber auch die seien von der Realität weit entfernt. Allesch müsse nun abwägen, so Magerl, ob trotz dieser völlig falschen Prognosen, dieser "Delle" in der Entwicklung des Luftverkehrs, das angebliche öffentliche Interesse am Bau einer Startbahn "zwingend gegeben ist", denn nur dann ließen sich auch Enteignungen rechtfertigen.

Flughafenchef Michael Kerkloh habe in Interviews zu erkennen gegeben, sagt die Artenschutzbeauftragte des Bundes Naturschutz, Christine Margraf, dass die Flughafen München GmbH derzeit auch gar nicht unmittelbar an den Bau einer dritten Startbahn denke. Er wolle jedoch jederzeit die gerichtlich genehmigten Pläne für das Vorhaben aus der Schublade ziehen können - für den Fall, dass sie doch einmal benötigt würden. "Das heißt aber auch", schlussfolgert Margraf, "dass die dritte Startbahn jetzt nicht zwingend ist". Sie dürfe deshalb jetzt auch nicht gerichtlich genehmigt werden.

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