Letzte Kriegstage in Freising:Ein sinnlos gewordener Kampf

Letzte Kriegstage in Freising: Am 29. April 2010 wurden am Turm der Stadtkirche wieder eine weiße Fahne gehisst, zum Gedenken an das Kriegsende vor 65 Jahren.

Am 29. April 2010 wurden am Turm der Stadtkirche wieder eine weiße Fahne gehisst, zum Gedenken an das Kriegsende vor 65 Jahren.

(Foto: Renate Schmidt)

In den langen Kriegsjahren waren die Freisinger mürbe geworden. Auf dem Turm der Stadtpfarrkirche wurde eine weiße Fahne gehisst, um den Amerikanern zu signalisieren, dass sich die Stadt friedlich ergeben werde

Von Peter Becker

Im Mai dieses Jahres hat sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal gejährt. Die ersten Nachkriegsjahre schildert der 21. Sammelband des Historischen Vereins, der im Jahr 1950 erschien. Verfasst hat ihn Anton Wandinger im Auftrag des Vereins. Die Nachfrage nach diesem längst vergriffenem Sammelblatt war aufgrund des Jubiläums so groß, dass sich der Historische Verein zu einem Nachdruck entschieden hat. In einer kleinen Serie veröffentlicht die Freisinger SZ einen Überblick über die Inhalte des Sammelblatts.

Am 29. April lag der Krieg vor den Toren Freisings in den letzten Zügen. Schon seit Wochen, schreibt Wandinger, hatten die Bürger davon gesprochen, wie es sein würde, wenn feindliche Soldaten in die Stadt einzögen. Viele hätten sich schon ein Zufluchtsplätzchen gesucht, Decken und Essensvorräte in einen Rucksack gestopft. Am Ende blieben doch alle dort, wo sie waren. "In den langen Kriegsjahren mürbe und gleichgültig geworden, sah man den Dingen entgegen", schildert Wandinger die Stimmung in der Stadt, in der gegen 13.45 Uhr zum letzten Mal die Alarmglocken heulten und die Menschen in die Schutzräume jagten. Dann schlugen die ersten Granaten ein.

Wandinger beschreibt die Szene, als der Besitzer des Hotels Bayerischer Hof, Karl Dettenhofer, Konditormeister Kraml und Bäckermeister Pfaller sich gemeinsam zum Stadtkommandanten in den Lindenkeller begaben, um von ihm die Feuereinstellung und die Übergabe der Stadt an die Amerikaner zu erwirken. Vorher hissten sie auf dem Turm der Stadtpfarrkirche eine weiße Fahne, um die gegnerischen Soldaten auf die friedliche Übergabe aufmerksam zu machen. Die vermuteten darin eine Kriegslist und nahmen den Kirchturm unter Beschuss.

"Herr Major, beenden Sie den sinnlos gewordenen Kampf, verhindern sie die Sprengung der Isarbrücke und retten Sie die Stadt und ihre Bewohner vor einer sinnlosen Vernichtung", forderte Dettenhofer. Wandinger vermutet, dass die Furcht vor der SS, der Organisation Werwolf und der Partei die Entschlusskraft der Anwesenden lähmte. Er wurde abgewiesen. Als der Artilleriebeschuss weiterging, versuchte es Dettenhofer ein zweites Mal. Mit mehr Erfolg: Mit dem Bürgermeister und dem Geistlichen Rat Brey fährt Dettenhofer den Amerikanern entgegen, die schon bei der Steinkaserne standen. Er kehrt mit einem Offizier in den Gefechtsstand im Lindenkeller zurück, wo der Major und weitere Soldaten ihre Waffen abgeben.

Wandinger erzählt von vergeblichen Sabotageakten, mit denen die Sprengung der Isarbrücke verhindert werden sollte. Er lässt den Oberstudiendirektor Pöllinger berichten, wie Anwohner des Lankesberg in einem Bunker das Kriegsende erlebten. Der lobt das couragierte Auftreten eines Lehrer Lesch. Der wies die Wehrmachtsoldaten aus Sorge um die Zivilisten an, den Bunker zu verlassen. Die übrigen bat er, ihre Schusswaffen und Munition bei ihm abzugeben. "Bewahren Sie vollständige Ruhe, vermeiden Sie Unbesonnenheiten, sonst gibt es ein Massaker!", wies er die Verbliebenen an. Diese Aufforderung erschien Wandinger angesichts der Durchhalteparolen der Nationalsozialisten ganz angebracht. Es folgte die friedliche Übergabe des Bunkers. Wandinger berichtet über die Todesmärsche, in denen Häftlinge durch die Straßen Richtung Dachau getrieben wurden, um sie vor den Amerikanern "in Sicherheit" zu bringen. In einem längeren Bericht lässt er einen der Gefangenen zu Wort kommen, "der kaum die ungeheuren Drangsale und Grauen dieses Todesmarsches ahnen lässt".

Wandinger verschweigt die dunklen Seiten in Freising nicht. Schon vor dem Einmarsch der Amerikaner war es zu Plünderungen gekommen. Besonders widerliche Szenen habe es in der Aktienschenke gegeben. "Eines der dunkelsten beschämendsten und widerlichsten Kapitel aus den Tagen des Einmarsches war die Plünderung des Ausweichlagers in der Aktienschenke", schreibt Wandinger. Wie ein Rudel ausgehungerter Hyänen auf ein zu Tode gehetztes Opfer habe sich eine bunt zusammengewürfelte Menschenmenge auf die dort gestapelten Waren gestürzt. Die Leute hätten sich gegenseitig halb tot getreten. "Es herrschte einzig und allein eine triebhafte, wilde Gier", schildert Wandinger. Die Plünderung dauerte drei Tage.

Den Nachdruck des Sammelblatts gibt es in den Freisinger Buchhandlungen und im Stadtmuseum, Major-Braun-Weg 12, Zimmer 101 am Dienstag und Donnerstag von 10 bis 12 Uhr zum Selbstkostenpreis von zehn Euro

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