Lesung:"Schreiben war seine Lebensessenz"

Autor Alois Prinz versucht Schülern mit seiner Kafka-Biografie den ungewöhnlichen Schriftsteller näher zu bringen

Von Katharina Horban, Freising

"Ich möchte jungen Leuten vermitteln, warum es so wichtig ist, Kafka zu lesen", sagt Alois Prinz. Der vielfach ausgezeichnete Autor steht im Kellertheater des Camerloher-Gymnasiums vor zwei Deutsch-Kursen der Q 12. Er möchte den Jugendlichen mit seiner Kafka-Biografie "Auf der Schwelle zum Glück" von einem Mann voller Gegensätze erzählen, der so gar nicht den heutigen Vorstellungen von einem Schriftsteller entspricht. Ermöglicht haben die Lesung Helma Dietz und Irmgard Koch vom Kulturverein "Modern Studio" als Programmpunkt des Literarischen Herbsts.

Prinz studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in München, seine Spezialgebiet sind Lebensgeschichten. Trotz der unglaublichen Flut an Sekundärliteratur zu Kafka hatte er den Mut, das Geheimnis um das Leben des Schriftstellers weiter zu lüften. Denn heutzutage gilt für die meisten: "Kafka ist ein Label. Kafka ist ein Psycho." Zur Überraschung vieler Schüler berichtet Prinz von einem jungen Mann, der heutzutage inmitten von Casting-Shows und Selbstinszenierung in den sozialen Medien wohl sehr aufgefallen wäre: "Es ist bewundernswert, dass Kafka nicht berühmt werden wollte. Zu seiner Zeit hat ihn niemand gekannt." Max Brod, einer von Kafkas engsten Freunden, musste ihn regelrecht zwingen, wenigstens ein paar Texte zu veröffentlichen. Nach Kafkas Tod im Jahr 1924 widersetzte sich der Freund dem Willen der testamentarischen Verfügung, dessen Werk zu verbrennen, und machte die Geschichten der Weltöffentlichkeit zugänglich. "Und deshalb müsst ihr euch im Unterricht mit diesem Mann auseinandersetzen", fügt Prinz hinzu und lächelt.

1883 als Sohn jüdischer Eltern in Prag geboren, fiel der dünne Junge schon während seiner Schulzeit durch mangelndes Selbstwertgefühl und Unsicherheit auf, er hatte keinen Ehrgeiz und mogelte sich von einem Schuljahr ins nächste. Zum Leidwesen des strengen Vaters entsprach Franz so gar nicht dem Idealbild eines Sohnes. "Anstatt soldatisch und tapfer zu sein, war Franz Kafka Vegetarier", enthüllt Prinz und erntet Gelächter aus dem Publikum.

Nach seinem Jura-Studium arbeitete Kafka in einer Versicherungsgesellschaft und reduzierte bewusst auf eine Halbtagsstelle, um seiner großen Leidenschaft nachgehen zu können: "Schreiben war seine Lebensessenz." Zuhause lag der junge Mann oft im Halbschlaf auf dem Sofa, diese Momente waren die produktivsten für sein literarisches Schaffen. Laut Prinz haben seine oft im Traum entstandenen Geschichten Traumlogik, deshalb seien Kafka-Texte nicht interpretierbar: "Ganz normale Situationen werden plötzlich irrational." Dennoch schrieb Kafka stets bewundernswert präzise und konzentriert.

Immer wieder unterbricht Prinz seinen Erzählfluss und liest Passagen aus seinem Buch vor. Es fällt auf, wie detailgetreu und einfühlend er vom Schreibtalent dieses eigenbrötlerischen Genies erzählt. Durch sorgfältige Recherchen hilft er dem Publikum, sich in Kafkas Welt hineinzuversetzen. Die Biografie stellt den komplizierten Charakter Kafkas anschaulich dar.

Mit am wichtigsten war für den jungen Kafka der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben und nach einer Frau, die dieses mit ihm teilt. Er hatte zahlreiche Beziehungen, starb jedoch unverheiratet. An Felice Bauer schrieb er bis zu drei Liebesbriefe am Tag, 1914 verlobte sich das Paar - nur um sich sechs Wochen später wieder zu entloben. Wegen seiner letzten Lebensgefährtin Dora Diamant entbrannte ein heftiger Streit mit dem Vater, der ihm den Umgang verbieten wollte. Mit Dora zog er 1923 nach Berlin, um sich als fast 40-Jähriger endgültig vom Elternhaus abzunabeln. Er wollte ein unaufgeregtes Leben führen. Das Berlin-Projekt scheiterte jedoch, da Kafka an Kehlkopf-Tuberkulose erkrankte. In einem Sanatorium in Österreich starb er am 3. Juni 1924. Prinz resümiert: "Kafka starb in dem Wissen, dass ihn niemand kennt. Und heute ist er auf der ganzen Welt bekannt."

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