Lesung im Camerloher:Behördengänge, Kakis und der erste Schultag

Lesung

Mojtaba Sadinam (links) und Masoud Sadinam sind zu einer Lesung ins Camerloher-Gymnasium gekommen.

(Foto: oh)

Drei im Iran geborene Brüder schildern den Gymnasiasten ihre ersten Jahre in Deutschland

Von Katharina Horban, Freising

"Ihr kennt doch sicher das Gedankenspiel, bei dem man sich vorstellen muss, drei Dinge auf eine einsame Insel mitzunehmen", fragt Mojtaba Sadinam in die Runde. "Wir wandeln das um: Welche drei Menschen würdet ihr bei einer Flucht mitnehmen?". Gemeinsam mit seinem Bruder Masoud war er auf Einladung von Theresa und Elke Degelmann zu einer Lesung ins Camerloher-Gymnasium gekommen. Sie stellten dort ihr Buch "Unerwünscht - drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte" vor.

"Es war für uns wichtig, immer ein Stück Heimat dabeizuhaben", sagt Mojtaba Sadinam und hält das Cover in die Höhe, auf dem die drei Männer zu sehen sind. Masoud und Mojtaba Sadinam wurden 1984 in Teheran geboren und flohen mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder und der Mutter 1996 nach Deutschland. Die Mutter war in ihrer Heimat politisch aktiv und engagierte sich in einer Organisation für Frauenrechte - als die Situation immer gefährlicher wurde, tauchte die Familie unter. Die beiden jungen Männer erinnern sich, wie ihre Mutter damals sagte, sie wolle nicht, dass ihre Kinder ohne sie aufwachsen müssten.

Der nächste Schritt war die Einreise nach Deutschland: Mit Hilfe eines Schleppers flogen sie nach Deutschland: "Unsere Flucht war relativ bequem. Wir hatten keine Ahnung, was Asyl bedeutet." Die Familie kam schließlich in ein Auffanglager in Münster. Die Brüder beschreiben auch diese Situation: "Seit Monaten konnten wir nichts anderes tun als warten. Ich fürchtete mich vor Briefen, die alles verändern konnten."

Mojtaba Sadinam schafft es, die Schüler durch die interessante, skurrile und manchmal auch traurig stimmende Erzählweise des Buches in den Bann zu ziehen und schildert auch, wie die Familie das erste Mal in einem deutschen Supermarkt eingekaut hat: "Das war der größte Laden, den ich jemals betreten hatte." Alle drei Kinder waren von den verschiedenen Früchten, besonders den Kakis, fasziniert und wollten am liebsten gleich in eine hineinbeißen.

Nach der Verlegung in ein neues Heim in Lengerich bei Osnabrück stand für die Brüder dann der erste Schultag an. Dass Jungen und Mädchen zusammen auf dem Pausenhof spielen, verwunderte die drei sehr. Auch über die Kleidung der Schüler waren sie erstaunt - überhaupt war alles so anders, als sie es gewohnt waren: "Die tragen sogar Klamotten, die uns der Koranlehrer verboten hat. So mit Nike und Adidas." Die Brüder kamen in eine Auffangklasse für Ausländer, dann wechselten sie auf die Realschule. Wegen Verständnisproblemen war der Anfang dort extrem hart, wie Masoud Sadinam berichtet. "Erst nach etwa drei Jahren fühlte ich mich wohl in der Sprache."

Und immer wieder Behördengänge: Die Familie erhielt erst nach neun Jahren ihre offizielle Aufenthaltsgenehmigung und 2012 die deutsche Staatsbürgerschaft. Inzwischen studieren die Zwillingsbrüder Mojtaba und Masoud Sadinam Politik und Geschichte in Frankfurt am Main und sehen sich als Deutsche, da sie hier aufgewachsen sind. Über den Iran sagt Masoud Sadinam: "Ich weiß nicht mehr, wie dieses Land funktioniert, dort würde ich mich wieder fremd fühlen." Beiden Brüdern ist es sehr wichtig, dass die Schüler bei ihrer Lesung einen Einblick in die Situation geflüchteter Menschen bekommen: "Integration heißt, dass man mit dem anderen umgehen kann, weil man weiß, wie es ihm geht."

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