Landwirtschaft:"Es wurde ein System aufgebaut, das gegen die Natur kämpft"

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Die Agrarwissenschaft habe bei Klima-, Tier- und Artenschutz versagt, meint Biobauer Josef Braun. Er wünscht sich einen Wechsel von der industrialisierten hin zur kleinteiligen Landwirtschaft - und mehr Humus im Boden.

Interview von Alexandra Vettori, Freising

Bevor er seinen Betrieb auf Bio umgestellt hat, war Josef Braun konventioneller Bauer. "Mit allem Drum und Dran, Spritzerei und maximalen Erträgen." Dass sich die öffentliche Meinung jetzt so gegen die herkömmlichen Bauern wendet, findet er trotzdem nicht richtig, "verantwortlich sind Politik und Interessensverbände".

SZ: Sie als Biobauer seit Jahrzehnten könnten sich doch jetzt entspannt zurücklehnen ...

Josef Braun: Sicher nicht. Ich finde es eine Sauerei, dass jetzt die Bauern die Buhmänner der Nation sind. Denn die Agrarpolitik und die Agrarwissenschaften haben diese Entwicklung gesteuert. Durch die Industrialisierung der Landwirtschaft haben wir die Erträge massiv erhöht, aber gleichzeitig die bäuerlichen Strukturen zerstört. Das hat weltweit Auswirkungen, denn durch die Exporte und die Dumpingpreise zerstören wir auch anderswo in der Welt kleinbäuerliche Systeme, was im Übrigen der Hauptgrund für die Flüchtlingsströme ist.

Was hat die Agrarwissenschaft falsch gemacht?

Die aktuellen Herausforderungen bei Wasser, Klima, Boden, Tier- und Artenschutz zeigen, wie die Agrarwissenschaft versagt hat. Nach 1920 ging die Industrialisierung los, so richtig in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Da wurde ein System aufgebaut, das gegen die Natur kämpft und sie beherrschen will. Noch heute glauben viele, dass das möglich ist, jetzt heißt das Schlagwort Digitalisierung. Wir brauchen aber den Paradigmenwechsel, hin zur Partnerschaft mit der Natur. Nur so können wir den Herausforderungen begegnen.

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Was kann die Landwirtschaft denn gegen den Klimawandel tun?

Sehr viel, das ist den meisten Klimaforschern nicht so bewusst, weil sie meistens nur technische Lösungen suchen. Aber mit gezieltem Humus-Aufbau in unseren Böden können wir den CO₂-Gehalt in der Atmosphäre in längstens 30 Jahren zurückfahren. Das glaubt keiner, ist aber so. Ein Beispiel: Ich habe drei Prozent Humus in 30 Jahren aufgebaut. Dadurch bindet der Boden 200 Tonnen CO₂ pro Hektar. Wenn wir weltweit den Ackerboden aufbauen, dann wäre das ganze CO₂, das jetzt zu viel in der Atmosphäre ist, wieder im Boden gespeichert. Die Klimaforscher kommen jetzt langsam darauf, dass man über Humusaufbau das Klima retten kann.

Wie geht Humusaufbau?

( Lacht) Ganz einfach. Man ersetzt Mais durch Kleegras mit vierfacher Wurzelung, baut Grünland an und hält Bodenruhe. Mit den klassischen Ackerkulturen Getreide und Mais geht das nicht. Noch spannender wird es bei der Abkühlung der Atmosphäre. Wenn weltweit die Bäume und Sträucher, die wir gerodet haben, wieder gepflanzt würden, würde über den Blattflächenindex des Mischwaldes mit Fotosynthese Wasser verdunstet und ein Kühleffekt entstehen. So könnten wir in kürzester Zeit die Erderwärmung bremsen und sogar wieder zurückdrehen. Stellen Sie sich mal Folgendes vor: Weltweit würde man ein Jahr auf Rüstungsausgaben verzichten und das Geld für Bäume ausgeben!

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Aber verhungert die Menschheit nicht, wenn so viel Kleegras und Bäume gepflanzt werden?

Wir haben in den vergangenen 100 Jahren weltweit 30 Prozent der Ackerflächen durch Versalzung und Erosion verloren. Würden wir nur die wieder fruchtbar machen, wäre schon viel geholfen. Aber natürlich müssen wir unseren Lebensstil ändern: keine Lebensmittel verschwenden und den Fleischverzehr reduzieren, damit nicht 60 Prozent der Weltgetreideproduktion von Nutztieren gefressen wird. Schon dadurch reicht die Welternte für zehn Milliarden Menschen.

Kommen wir zum Wasser, was kann die Landwirtschaft da tun?

Die Landwirtschaft verbraucht weltweit 70 Prozent der Trinkwasserreserven. Das wäre an sich nicht so schlimm, denn dafür produziert sie ja Lebensmittel. Aber durch Monokulturen und die schweren Maschinen kann das Waser nicht mehr in den Boden dringen und so können sich die Wasservorräte nicht mehr auffüllen. Auch deshalb brauchen wir kleinstrukturierte Bauern. Regenwürmer zum Beispiel sind da besonders wichtig. Die großen bohren bis zu zwei Meter tiefe Röhren in die Erde. Da läuft dann kein Wasser weg, sondern wird tief in den Boden geleitet.

Das Volksbegehren zur Artenvielfalt hat gezeigt, wie wichtig das Thema ist. Sind Sie damit zufrieden?

So, wie derzeit die moderne Landwirtschaft läuft, wird die Änderung des bayerischen Naturschutzgesetzes nichts aufhalten. Selbst wenn wir nur noch 70 Prozent konventionelle Landwirte haben, beenden wir das Artensterben damit nicht. Wir brauchen eine völlig andere Landwirtschaft. Wenn ich 130 Doppelzentner pro Hektar ernten will, kann ich natürlich nichts anderes auf dem Acker brauchen, das Nährstoffe zieht. Aber wir brauchen nicht so viel Getreide, das dann die Schweine fressen, die wir nach China exportieren und hier die Gülle nicht mehr losbringen. Vom Gegenteil könnte ich Ihnen stundenlang erzählten: Wer artenreiches Grünland mit Blühpflanzen hat, der hat gesunde und fruchtbare Kühe, die, das nur nebenbei, wesentlich weniger Methan produzieren als mit Kraftfutter. Der Welt-Agrarbericht, der in Deutschland übrigens gar nicht erst veröffentlicht worden ist, zeigt, dass weltweit 75 Prozent der Lebensmittel von Kleinbauern erzeugt werden, nicht von der industrialisierten Landwirtschaft. Es gibt heute noch in Uganda Waldgartensysteme, die in kombinierter Nutzung aus Bananen, Kokosnüssen, Sträucher und Gemüse viel, viel mehr Ertrag bringen als Monokulturen. Das ist das, was die Politik und die Wissenschaft leider nicht sehen.

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