Die Komplizen des Angeklagten hat das Landgericht schon vor sieben Jahren verurteilt: zu Strafen zwischen sechs und acht Jahren. Die Taten hat die Bande vor neun Jahre begangen. Bei der Urteilsbegründung am Dienstag hat der Vorsitzende Richter am Landgericht München, Thomas Bott, von einer „Vielzahl verschiedenartiger Taten“ gesprochen. Dass er Mitglied der Diebesbande war, hatte der Angeklagte schon beim Prozessauftakt nach einer Verständigung eingeräumt (wir berichteten). Nun ist er zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden.
Am Nachmittag des 14. April 2016 hatte es die Bande auf zwei Apotheken in Freising und eine in Au in der Hallertau abgesehen – und ist dabei trickreich vorgegangen. Einer der Täter hat mit spastischen Bewegungen und dazu passender Mimik und Gestik eine Behinderung vorgetäuscht, einen Plastikball scheinbar unabsichtlich hinter den Verkaufsbereich gerollt und Geld aus der Kasse genommen, während die anderen das Personal abgelenkt haben. Von den drei Diebstählen hat allerdings nur einer funktioniert – mit einer Beute von 485 Euro.
Mit derselben Masche hat die Bande in Apotheken in Holzkirchen, Poing und Geretsried sowie in einem Supermarkt in Kiefersfelden und einer Gärtnerei in Wertingen knapp 20 000 Euro erbeutet. Nachdem sich die Masche herumgesprochen hatte, sind der Angeklagte und seine Komplizen im Juni 2016 in zwei Privathäuser in Neuried (Kreis München) und Alling (Kreis Fürstenfeldbruck) eingebrochen – innerhalb von zwei Stunden. Vorher hatten sie geklingelt, um sich zu vergewissern, dass niemand zuhause ist. Die Tatbeute hatte einen Wert von knapp 9000 Euro.
Weil ihnen wohl auch dies zu wenig war, haben sie am Abend des 2. Juli 2016 versucht, einen Geldautomaten der Hypo-Vereinsbank in Oberhaching zu sprengen. Der Tattag war sorgfältig ausgewählt: Zeitgleich spielte die deutsche Fußballnationalmannschaft im Viertelfinale der Europameisterschaft gegen Italien. In einem Baumarkt hatten die Täter ein Brecheisen gekauft, um einen Hohlraum in dem Automaten freizulegen. Zudem eine Gasflasche und Ventile, um Gas kontrolliert in den Hohlraum einströmen zu lassen und eine Zündkerze, Kabel und eine Autobatterie, um das Gasgemisch aus sicherer Entfernung zu zünden.
Außerdem positionierte sich eines der Bandenmitglieder zwischen der nächstgelegenen Polizeidienststelle und dem Tatort, um seine Komplizen frühzeitig warnen zu können. An die 220 000 Euro im Automaten sind sie dennoch nicht herangekommen. Das Gasgemisch ist nämlich nicht explodiert. Als die Bande vier Monate später den Geldautomaten der Sparkasse in Oberhaching mit Erfolg gesprengt hat, war der nun angeklagte Chilene bereits in seine Heimat zurückgekehrt.
Die in Peru abgesessene Zeit der Auslieferungshaft wird dem Angeklagten doppelt angerechnet
Die Staatsanwältin war sich in ihrem Plädoyer sicher, dass die missglückte Sprengung professionell vorbereitet war. Dem widersprach die Verteidigerin: Wer sich wie der Angeklagte und seine Komplizen von Youtube-Videos anleiten lasse, gehe dilettantisch vor. Darauf komme es nicht an, stellte Richter Bott klar. Die versuchte Sprengung in typischerweise auch zum Wohnen genutzten Gebäuden sei eine „massive Geschichte“. Ob das Gas explodiert, hänge vom Zufall ab. Dem hohen Gefährdungspotenzial stehe die geringe Beute bei den insgesamt elf Taten gegenüber – bei allerdings hohem Sachschaden. Strafmildernd sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte „keine herausragende Stellung“ in der Bande innegehabt habe, sondern eher der „Schmieresteher“ gewesen sei.
Im Übrigen komme es auf die konkrete Strafhöhe ohnehin nicht an, betonte Bott. Der im August 2022 in Lima festgenommene Chilene hat nämlich zwei Jahre und zwei Monate in peruanischer Auslieferungshaft gesessen. Im Vergleich zu den dortigen Haftbedingungen fühle sich die siebenmonatige Untersuchungshaft in Deutschland an „wie in einem Hotel“, hat der 42-Jährige beim Prozessauftakt erklärt. Das Auswärtige Amt hat bestätigt, dass Kriminalität, Überbelegung und hygienische Zustände in peruanischen Gefängnissen eine doppelte Anrechnung der dortigen Haftzeit rechtfertigen. Dem hat sich das Gericht angeschlossen.
Und die verbleibende Strafe von einem Jahr und vier Monaten? Die werden wohl zur Bewährung ausgesetzt und der Chilene „in Polizeibegleitung zum Flughafen gefahren“, schmunzelte Bott und warnte den Angeklagten, den Fehler eines seiner Komplizen zu wiederholen. Dieser war offenbar nach seiner Abschiebung illegal wieder nach Deutschland eingereist, woraufhin seine Bewährung widerrufen worden ist.