Der Fall sei geprägt gewesen von „Wendungen, Wirrungen und interessanten Entwicklungen“, sagte Vorsitzender Richter Ralph Reiter. In der Tat hielt das Verfahren wegen eines im Februar 2020 aus dem Ruder gelaufenen Einbruchs im Wohnhaus eines Kranzberger Reitstallbesitzers, bei dem dieser lebensgefährliche Kopfverletzungen erlitt, das Landshuter Landgericht jahrelang auf Trab. Der Prozess gegen ein angeklagtes Brüderpaar vor der Jugendkammer unter Vorsitz von Richter Andreas Wiedemann war im März 2022 nach einjähriger Verhandlungsdauer nur mit Bewährungsstrafen wegen eines Wohnungseinbruchsdiebstahls und Beihilfe zu Ende gegangen. Doch der Bundesgerichtshof legte in der Revision sein Veto ein.
Der Fall ging zurück ans Landgericht, wo der Prozess neu aufgerollt wurde und die erste Strafkammer nun – auch aufgrund des veränderten Aussageverhaltens der Angeklagten – zu einer anderen Bewertung kam. Das Gericht war jetzt überzeugt, dass der ältere Bruder, heute 26 Jahre alt, mit einer Taschenlampe den lebensbedrohlichen Schlag auf den Kopf des im Schlaf überraschten Reitstallbesitzers ausgeführt hat. Er wurde am Mittwoch zu sechseinhalb Jahren Haft wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, Wohnungseinbruchsdiebstahls und unterlassener Hilfeleistung verurteilt. Der jüngere Bruder, 21, erhielt eine Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Gegen einen 24-Jährigen, der im zweiten Prozess zusätzlich auf der Anklagebank saß, wurde eine Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren verhängt.
Letztere beiden wurden von der Kammer am Mittwoch wegen des Einbruchdiebstahls – die Beute betrug lediglich 700 Euro – und unterlassener Hilfeleistung verurteilt. Dass der Schlag auf den Kopf des heute 55-jährigen Geschädigten vom Gericht dem älteren Bruder zugeordnet wurde, beruhte nicht zuletzt auf dem Sinneswandel des Jüngeren. Dieser gab im Laufe der zweiten Verhandlung überraschend an, sein Bruder sei dafür verantwortlich. Im ersten Prozess hatten beide behauptet, ihr 24-jähriger Kumpel habe zugeschlagen. Damals hatten sie auch angegeben, der ältere Bruder habe nur als Fahrer fungiert und sei beim Einbruch in die Wohnung gar nicht dabei gewesen. Nach Überzeugung des Gerichts waren jedoch alle drei Männer in der Wohnung.
Der jüngere Bruder hatte früher im Stall des Geschädigten gearbeitet und – wie er selbst zugab – zu dieser Zeit einmal 3000 und einmal 17 000 Euro aus der Wohnung des Chefs gestohlen. Nachdem dieser dem jungen Mann nach einem früheren Zerwürfnis eine zweite Chance gegeben hatte, warf er ihn endgültig hinaus, als er nicht mehr zur Arbeit erschien.
Kurz zuvor in einer anderen Sache zu einem Jugendarrest verurteilt, fassten die Brüder nach Überzeugung des Gerichts den Plan, sich in der Nacht von 9. auf 10. Februar 2020 zusammen mit ihrem Freund noch einmal Geld bei dem Reitstallbesitzer zu beschaffen und dann in ihre rumänische Heimat zu fahren, um sich dem Arrest zu entziehen. Der jüngere Bruder habe sich in seiner Zeit als Angestellter mit den Begebenheiten auf dem Hof vertraut gemacht. Er habe gewusst, dass sein Chef „ein guter Mensch, großzügig und vermögend ist, dass er größere Geldmengen zu Hause hatte und es mit den Sicherheitsmaßnahmen nicht allzu ernst nahm“, so Vorsitzender Richter Ralph Reiter in der Urteilsbegründung. Er bezeichnete es als „besondere Dreistigkeit“ des 21-Jährigen, „dass es bereits der dritte Beutezug zum Nachteil des Geschädigten war“.
Ein Schlag mit „erheblicher Wucht und Wirkung“
Mit einer Brechstange aus der Werkstatt des Reiterhofs stemmten die Angeklagten die Wohnungstür auf, um dort nach Geld zu suchen. Zwar „ohne konkrete Vorplanung, für den Fall, dass der Geschädigte zu Hause ist“, wie der Richter sagte. Aber dessen Auto sei gut sichtbar vor dem Haus geparkt gewesen. „Wir gehen also davon aus, dass alle drei in Kauf nahmen, dass der Geschädigte zu Hause ist.“ Anderenfalls, so die Annahme der Kammer, wären die Angeklagten nicht mit Sturmhauben maskiert in die Wohnung eingedrungen. Als sie im Wohnzimmer nichts gefunden hatten, „haben sie sogar das Risiko auf sich genommen, im Schlafzimmer zu suchen, wo früher schon mal 17 000 Euro waren“, so der Richter, „sie konnten nicht annehmen, dass das unbemerkt bleibt“.
Nachdem die Täter im Schlafzimmer einen Geldbeutel mit 700 Euro gefunden hatten, wurde wohl aus Versehen der Lichtschalter betätigt. Der arglose Geschädigte – die Kammer sah das Mordmerkmal der Heimtücke als gegeben an – wachte auf und der ältere Bruder schlug ihm „mit erheblicher Wucht und Schlagwirkung eine 40 bis 50 Zentimeter lange, schwere Stabtaschenlampe auf den Kopf“, so der Richter. Er sprach von einem zumindest „bedingten Tötungsvorsatz“. Aber auch von einem „Exzess“, einer „spontanen, nicht abgesprochenen Aktion“. Dafür spreche die panische Flucht der Angeklagten, die ihr Opfer mit einer Schädelfraktur zurückließen. Glücklicherweise überlebte der Mann.
Man habe keine Beweise, „aber eine Fülle von Indizien“, so der Richter. Die Aussage des jüngeren Bruders sei glaubhaft. Es habe kein Zerwürfnis zwischen ihm und seinem älteren Bruder gegeben. Dafür, dass er ihn belastete, „ist der naheliegendste Grund, dass es der Tatsache entspricht und er reinen Tisch machen wollte“. Um seine eigene Haut zu retten, hätte er auch weiterhin den 24-jährigen Freund belasten können. Zudem hatte die Ex-Freundin des älteren Bruders ausgesagt, er habe ihr gegenüber den Schlag zugegeben.