Die Zahl der zu bearbeitenden Verfahren ist am Landgericht Landshut, zu dessen Bezirk auch die Landkreise Freising und Erding gehören, im vergangenen Jahr gesunken. Zivil- und Strafsachen zusammengenommen, waren es 2022 noch 5273 Verfahren, 3,7 Prozent weniger als 2021 (5472). Das sind die nackten Zahlen, die allerdings nur bedingt aussagekräftig sind. Denn erstens handele es sich um keinen signifikanten Rückgang, so dass die Arbeitsbelastung des Personals quantitativ immer noch sehr hoch sei, betonte Landgerichtspräsident Clemens Prokop am Mittwoch im Jahrespressegespräch. Und zweitens seien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gerichts auch qualitativ einer hohen Belastung ausgesetzt - nicht zuletzt aufgrund aufwendiger Zivilsachen, deren Zahl noch dazu um 5,4 Prozent auf 3658 Verfahren im vergangenen Jahr angestiegen ist.
Was die Zivilprozesse anbelangt, könnte ein neues Forschungsprojekt Abhilfe schaffen, an dem sich das Landshuter Landgericht seit Jahresbeginn beteiligt. Im "Reallabor Strukturvorgaben für den Zivilprozess" unter der Federführung der Universität Regensburg sollen bisher unübersichtliche Schriftsätze anhand eines digitalen Basisdokuments strukturiert werden. "Vor allem in großen Prozessen können damit Redundanzen reduziert und Zeit eingespart werden", erläuterte Christine Freifrau von Massenbach, Vizepräsidentin des Landshuter Landgerichts. Bei großen Verfahren, etwa bezüglich des "Dieselskandals", könne eine Klage 100 Seiten umfassen und eine Widerklage ebenfalls, so Prokop. Dann würden oft nicht minder lange Schriftsätze zwischen den Parteien hin- und hergeschickt "und man muss jedes mal lange suchen, wo der Anwalt denn was Neues schreibt".
Newsletter abonnieren:Mei Bayern-Newsletter
Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.
Mit der Internet-Anwendung des Reallabors könnten die Parteien das gemeinsame Basisdokument abwechselnd befüllen und wie bei einem Whatsapp-Chat jeweils direkt auf Vorträge der anderen Parteien antworten beziehungsweise Bezug nehmen, sagte von Massenbach. Und das Gericht habe ebenfalls die Möglichkeit, direkt Hinweise zu einzelnen Passagen des Dokuments zu geben. Beteiligt sind an dem Forschungsprojekt auch die Landgerichte Regensburg, Hannover und Osnabrück. Man sei jedoch "darauf angewiesen, dass die Anwälte sich trauen, das auszuprobieren und mitzumachen". In Niedersachsen gebe es schon ein Verfahren, in dem das Basisdokument verwendet werde, in Landshut warte man noch auf den ersten Anwalt, der es nutze. Anfang 2024 soll dann die Evaluierungsphase folgen in der Richter und Anwälte gleichermaßen zu ihren Erfahrungen befragt werden, um die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen und herauszufinden, ob die Anwendung eine Zukunft hat.
Der Schriftverkehr läuft mit den Anwälten fast ausschließlich über das elektronische Postfach
Dass das Landshuter Landgericht sich an dem Projekt beteiligt, kommt nicht von ungefähr. Bei der Digitalisierung sei man unter den bayerischen Gerichten mit führend, betonte Präsident Prokop mehrfach. Der Schriftverkehr läuft mit den Rechtsanwälten in Zivil- und Strafsachen fast ausschließlich über das elektronische Postfach. Bereits seit 1. Oktober 2016 werden alle Neueingänge in Zivilsachen in erster Instanz als reine E-Akten geführt. Und in einzelnen Kammern sogar schon seit 2014, betonte Peter Pöhlmann, Vorsitzender Richter und Pressesprecher am Landgericht.
Auch Corona - die Beschränkungen in den Justizgebäuden wurden im Frühjahr 2022 zurückgenommen - habe Spuren hinterlassen, und in Sachen Digitalisierung seien das positiv, sagte der Präsident. So habe sich "professionelles Homeoffice" am Landgericht etabliert und werde beibehalten. "Wir haben eine gute Balance zwischen Büroarbeit und Homeoffice gefunden", so Prokop. Und die Zahl der Videokonferenzen und Videoverhandlungen hat ebenfalls deutlich zugenommen. Dem Landgericht und Amtsgericht Landshut stehen mittlerweile drei Videokonferenzanlagen zur Verfügung und eine weitere für richterliche Vernehmungen. 2022 wurden am Landgericht und in seinen fünf Bezirken Landshut, Erding, Freising, Eggenfelden und Landau an der Isar insgesamt 834 Anhörungen und Verhandlungen mit Videotechnik abgehalten, 318 am Landgericht selbst. Ganz vorne dabei ist auch das Amtsgericht Erding, weil dort die Fluggastrechtfälle vom Flughafen München verhandelt werden und die Prozessbeteiligten aus ganz Deutschland kommen.
Flughafen sorgt für viel Arbeit
Die personelle Situation hat sich am Landgericht Landshut im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert. Derzeit sind dort 152 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Nicht alle in Vollzeit, wodurch sich insgesamt rechnerisch 126 Vollzeitstellen ergeben. Die 45 Richterinnen und Richter machen 39 Vollzeitstellen aus. Neun Richterinnen und Richter haben das Landgericht 2022 verlassen, sieben sind neu dazu gekommen. Nach Vollzeitstellen gerechnet, "ist das identisch", sagt Landgerichtspräsident Clemens Prokop. Statistisch gesehen stehen dem Gericht, Stand 1. Januar 2023, noch 2,6 weitere Richter zu, die derzeit fehlen. Damit liege man im Landesdurchschnitt, so Prokop.
Die Zahl der Zivilprozesse stieg von 3471 (2021) auf 3658 an. Die Verfahrensdauer in der ersten Instanz betrug hier im Schnitt 9,9 Monate (Landesdurchschnitt: 10,1). In der zweiten Instanz waren es 4,8 Monate (6,2). Bei Strafsachen lag man in der ersten Instanz mit 5,7 Monaten ebenfalls unter dem Landesdurchschnitt (6,1), in der zweiten mit 5,4 Monaten etwas drüber (4,6). Die Zahl der Strafprozesse ging 2022 auf 1615 zurück (2021: 2001). Vorsitzender Richter und Pressesprecher Peter Pöhlmann begründet das damit, dass es sich oftmals um Fälle aus dem Corona-Jahr 2021 gehandelt habe, in dem es aufgrund der Beschränkungen weniger Straftaten gab.
Eine hohe Belastung für das Landgericht stellt die 2021 eingerichtete Delegierte Europäische Staatsanwaltschaft mit Sitz in München dar, die sich mit Straftaten gegen den EU-Haushalt wie Korruption oder grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug befasst. Die Zeugen seien europaweit gestreut, was die Verfahren langwierig mache, so Pöhlmann. Sobald ein Angeklagter am Münchner Airport einen Fuß auf deutschen Boden setzt, fällt das in den Zuständigkeitsbereich des Landshuter Landgerichts. "Der Flughafen versorgt uns also zuverlässig mit Arbeit", sagt Präsident Prokop.