Süddeutsche Zeitung

Ladensterben:Umbruch im Neufahrner Ortszentrum

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Nach 42 Jahren gibt Uwe Linn sein Schuhgeschäft an der Bahnhofstraße Ende des Monats auf. Aufhören will auch Rosemarie Bernhard, die derzeit einen Nachfolger für ihre Buchhandlung sucht.

Von Alexandra Vettori, Neufahrn

Es geht ein Gerücht um in Neufahrn, ein Gerücht, das Bücherfreunden bang ums Herz werden lässt. Bücher Bernhard, seit 35 Jahren die einzige Buchhandlung im fast 21 000 Bewohner zählenden Ort, wird schließen. Nicht gleich, aber auch nicht in allzu weiter Ferne. "Nun, so schlimm ist es nicht, auf gar keinen Fall dieses Jahr. Und es ist auch nur so, dass ich nach einem Nachfolger ausschaue", schwächt Inhaberin Rosemarie Bernhard die neueste Hiobsbotschaft in Sachen Einkaufsstandort Ortszentrum ab.

Natürlich kämen immer wieder Kunden in den Buchladen, viele entsetzt, und fragten, was an den Gerüchten dran sei. Und auch ihnen sagt Rosemarie Bernhard: "Ich bin schon arbeitende Rentnerin. Bei mir steht der 70. Geburtstag vor der Tür." Kürzer treten und einen Laden führen, beides gehe nicht, und so habe sie sich dazu entschieden, Bücher Bernhard in neue Hände zu geben. Schon im Vorjahr hat sie geschaut, als ihre Kollegin Claudia Borst den Echinger Bücherladen übergeben wollte. "Wir ha ben anfangs gedacht, vielleicht findet sich einer, der beide Läden betreiben möchte", sagt Bernhard. Das aber hat nicht geklappt, immerhin hat Claudia Borst in letzter Sekunde noch zwei Nachfolger gefunden.

Dieses Glück hat Rosemarie Bernhard bislang noch nicht. "Es melden sich zwar viele Interessenten, die aber sind bis jetzt alle vor der hohen Miete zurück geschreckt", sagt sie. Immerhin: Am Umsatz und Gewinn, versichert sie, liege es nicht, dass sie bald Schluss machen wolle. Es laufe gut, dank vieler treuer Kunden. Daran ändert auch die große Konkurrenz Internet nichts. Auf eines ist Rosemarie Bernhard stolz: "Ich bin schneller als Amazon." Wer tagsüber bei ihr ein Buch bestelle, der habe es am nächsten Morgen 8.30 Uhr in den Händen, freilich nur, wenn er es selbst vom Laden an der Bahnhofstraße abholt. Dass es auch weiter einen Buchladen in Neufahrn gibt, liege ihr am Herzen, versichert Rosemarie Bernhard, die vor 35 Jahren als Quereinsteigerin zur Ladenbesitzerin wurde.

Während sie noch in der Vor-Schließungsphase ist, hängen beim Schuhladen Linn, der seit ein paar Jahren "Shoes and more" heißt, ein Stück weiter in der Bahnhofstraße schon die "Reduziert"-Schilder. Ende des Monats ist Schluss mit dem Schuhfachgeschäft, nach 42 Jahren in Neufahrn. Inhaber Uwe Linn schließt die Filiale, sein Familienbetrieb, in dem auch der Neffe Gesellschafter ist, wird sich künftig auf die Stamm-Filiale in Ingolstadt konzentrieren, Neffe David Weihard auf den Online-Shop.

Der Laden ist voll in diesen Tagen, da die Schuhe zum Schnäppchen-Preis über die Ladentheke gehen. Viele Kunden werden mit Namen begrüßt, auch die Verkäuferinnen sind schon lange dabei, eine ist eigentlich schon in Rente, arbeitet noch stundenweise mit. "Wir haben einfach kein gutes Fachpersonal mehr gefunden. Ich kann da ja nicht jemanden reintun, der nur seine Zeit absitzt. Es war immer unser Anspruch, ein Fachgeschäft zu sein", erklärt Uwe Linn. Mit 59 Jahren wolle er allerdings auch nicht mehr fast jeden Tag von Ingolstadt nach Neufahrn fahren. "Beruflich habe ich mein Lebensziel erreicht", sagt er. Leid tun ihm die Stammkunden. Aber es sei nun mal so, dass in den vergangenen drei, vier Jahren die Umsätze zurück gingen. Man könne schon noch davon leben, aber es fehle die Zukunftsperspektive. Auch er habe einen Nachfolger gesucht, leider vergebens. Mit Staunen verfolge er, erzählt Uwe Linn, die Aktivitäten seines Neffen im Online-Handel: "Wenn ich sehe, was er in den vergangenen drei Jahren auf die Beine gestellt hat, frage ich mich, was habe ich in den vergangenen 30 Jahren gemacht", sagt er, lacht und fügt hinzu, "war halt eine andere Zeit." Und, wenn er sehe, dass da nachts um drei Uhr so und so viele Schuhe bestellt werden, frage man sich schon irgendwie. Dass sein Neffe die Familientradition weiter führt, freut Uwe Linn. Schließlich hat schon sein Vater mit Schuhen zu tun gehabt und sie bis zum Zweiten Weltkrieg sogar selbst produziert. Schuhe von Schuh Linn können sich auch die Neufahrner natürlich immer noch kaufen, unter www.deinschuhladen.de, aber eben ohne Beratung und persönlichen Gruß.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2018
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