Die Menschen in Deutschland konsumieren durchschnittlich je 200 Kilogramm tierische Nahrungsmittel pro Jahr. Obwohl diese eine wichtige Nahrungsquelle sind, hat ihre Produktion erhebliche Auswirkungen auf das Ökosystem. Wie sich diese Belastungen durch kultiviertes Fleisch verringern lassen, erläuterte der Weihenstephaner Professor Marius Henkel am Donnerstag bei einem Vortrag in der Reihe TUM@Freising im Lindenkeller. Was zunächst ungewohnt zu sein scheint, könnte langfristig große Vorteile für Umwelt und Tierwohl bringen.
Für die Kultivierung von Fleisch im Labor spricht unter anderem, dass Landwirte durch die intensive und teils ineffiziente Fleischproduktion zunehmend an ihre Grenzen stoßen. Zudem gibt es ethische Bedenken gegen die Massentierhaltung. Jährlich werden 1,2 Milliarden Schweine geschlachtet, täglich 137 Millionen Hühner. Diese, wie Henkel es nannte, „absurden Zahlen“ verdeutlichten die Notwendigkeit eines Wandels in der Nahrungsmittelproduktion.

Marius Henkel ist Professor für Cellular Agriculture an der TUM School of Life Sciences in Weihenstephan. Cellular Agriculture bezeichnet die Kultivierung und gezielte Veränderung von tierischen Zellen, Gewebe und Mikroorganismen in einer kontrollierten Umgebung zur Herstellung landwirtschaftlicher Produkte. Dazu zählt das Laborfleisch – auch bekannt als kultiviertes oder In-vitro-Fleisch. Dieses soll nicht nur Konsistenz, Geschmack und Aussehen von herkömmlichem Fleisch nachbilden, möglicherweise ist es sogar leichter verdaulich und gesünder. Bis es für alle verfügbar ist, sind aber noch zahlreiche Herausforderungen zu meistern.
Die ersten Zulassungen für kultiviertes Fleisch erfolgten im Jahr 2020. Damals wurden in Singapur die ersten Chicken Nuggets aus kultivierten Zellen produziert und auf den Markt gebracht. Genehmigungen wurden zudem in den USA, den Niederlanden, Israel und England erteilt. Bisher handelt es sich aber um Prototypen, die nur in begrenzten Mengen, zu hohen Preisen und für eine exklusive Kundschaft erhältlich sind. Eine breite Markteinführung steht noch aus.
Während des Vortrags betonte der Weihenstephaner Professor, wie sensibel und emotional das Thema sei. „Es ist gut, dass es so viele Hürden im Prozess gibt. Auch die Skepsis der Gesellschaft gegenüber diesen Produkten kann ich nachvollziehen“, sagte er. Eine der großen offenen Fragen bleibe: Wie reagiert der menschliche Körper auf diese Nahrungsmittel – sowohl kurzfristig als auch langfristig? Bisher gibt es dazu keine aussagekräftigen Studien. Ob kultiviertes Fleisch tatsächlich gesünder ist, bleibt noch unklar.
Auch wie die Gesellschaft darauf reagieren wird, ist ungewiss. Erste Akzeptanzstudien zeigten aber positive Tendenzen, so Henkel. Solange die Produkte „echt schmecken, lecker und günstig sind“, stehe einer breiten Akzeptanz wenig im Weg. Zur Rolle der Landwirte erklärte er: „Es gibt Ideen und erste Pläne, wie eine Zusammenarbeit mit Landwirten für die großflächige Produktion von Laborfleisch funktionieren könnte.“ Daten für Forschungszwecke würden bereits von Bauernverbänden zur Verfügung gestellt. Im Gespräch mit der SZ betonte er, dass ihm eine Kooperation mit den Landwirten am Herzen liege: „Ich bezeichne mich selbst als den konservativsten Biotechnologen in diesem Bereich.“
Auf die Frage, wie nah eine Markteinführung von Laborfleischprodukten ist, antwortete Henkel: „Es kommt ganz auf das Erzeugnis an. Unser Fokus liegt auf Hybridprodukten“ – also einer Kombination aus kultiviertem Fleisch und pflanzlichen Zutaten. Der pflanzliche Anteil macht dabei den Großteil des Erzeugnisses aus. Für solche Hybridprodukte hält der Professor eine Markteinführung bald für realistisch. Bei rein kultivierten Fleischprodukten sei das anders, vor allem aufgrund finanzieller und technischer Hürden.
Marius Henkel ist seit 2022 Professor für Cellular Agriculture an der TU München. Für Verpackungen von Lebensmitteln interessierte er sich schon als Kind. Seine Motivation als Forscher? „Einen Neuwert schaffen, die Umwelt retten und das Tierleid lindern.“ Ambitionierte Ziele. Warum also ein so komplexes Forschungsfeld mit zahlreichen Hürden wählen? „Rein akademisch betrachtet ist es gar nicht schlimm, wenn der Forschungsprozess schwierig ist – das macht es spannend“, sagt der Weihenstephaner Professor. „Das Großartige ist, dass man mit jedem ins Gespräch kommt. Der Austausch macht die Arbeit wertvoll, und ich bin dankbar, an einem so relevanten Thema forschen zu dürfen.“
Die Veranstaltung war Teil der Vortragsreihe der TUM School of Life Sciences und der Stadt Freising mit dem Titel „TUM@Freising. Wissenschaft – erklärt für alle“. Sie hat zum Ziel, der Freisinger Bevölkerung wissenschaftliche Themen verständlich und informativ näherzubringen.