Kritik aus Freising:Schulen als "Virenschleudern"

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Gerade lernt Andreas Hauner noch Zuhause im Garten. Bald soll er wieder in die Schule gehen.

(Foto: privat)

Schüler und Lehrer halten geplante Schulöffnung trotz Corona für gefährlich.

Von Thilo Schröder, Freising

Schüler, Schulleiter und der Lehrerverband im Landkreis Freising üben massive Kritik an den Plänen von Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Der hat angekündigt, bei der baldigen Wiederöffnung der Schulen auf eine Mundschutzpflicht im Klassenzimmer zu verzichten. Die leichtere Übertragung gerade durch Jüngere und der Kontakt zu Personen der Risikogruppen in den Familien werde die Schulen in "Virenschleudern" verwandeln, mahnt Kerstin Rehm, Kreissprecherin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV). Zudem seien die Schulen im Landkreis weder logistisch noch materiell auf die strengen Abstands- und Hygieneregelungen vorbereitet.

Andreas Hauner bereitet sich dieser Tage daheim auf das Abitur am Dom-Gymnasium vor. Dessen geplante Wiederöffnung für Prüflinge am 27. April bereitet ihm Kopfzerbrechen, wegen seines Bruders. "Mein Bruder hat einen schweren Herzfehler, er hat quasi nur ein halbes Herz, und dadurch eine geringere Sauerstoffsättigung im Blut", erklärt der 18-Jährige. "Die ersten drei Jahre hat er das Krankenhaus praktisch nicht verlassen. Er ist 24 Jahre alt, geht zwar selbst nicht zur Schule, lebt aber im Haushalt. "Meiner Meinung nach werden Risikogruppen im familiären Hintergrund nicht ausreichend berücksichtigt, da muss der Blick ausgeweitet werden", sagt Hauner. "Und warum soll man im Supermarkt Schutzmasken tragen, aber in der Schule nicht? Das erschließt sich mir überhaupt nicht."

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Andreas Hauner bereitet die geplante Wiederöffnung des Freisinger Dom-Gymnasiums für Prüflinge am 27. April Kopfzerbrechen.

(Foto: Privat)

Der Vorwurf der Realitätsferne steht im Raum

Der Kultusminister, kritisiert er, kommuniziere wenig direkt mit den Betroffenen. "Unsere Sorgen und Unsicherheiten werden nicht angesprochen. Auch der Stundenplan muss ja genau abgestimmt werden. Abschlussprüfungen seien für Abiturienten wie ihn die bislang wichtigste Prüfung im Leben. Dem Minister wirft er Realitätsferne vor. "Diese erwähnten fairen Bedingungen, etwa beim Lernen, die gibt es nicht. Mit fünf Geschwistern und einem alleinerziehenden Elternteil ist das zum Beispiel gerade daheim viel schwieriger."

Unterstützung bekommen die Schüler von den Lehrerverbänden. "Ich halte das für eine potenzielle Gefahr und nicht durchführbar", sagt Rehm, "die Öffnung der Schulen kommt grundsätzlich zu früh." Die Bedingungen vor Ort seien unzureichend. "Ich weiß von Schulen, dass die noch keine Masken haben, auch Desinfektionsmittel fehlen. Schulleiter fragen mich ganz konkret, wie das denn gehen soll."

Auch kleine Klassen sind hygienisch problematisch

Sechs Stunden am Stück eine Maske im Unterricht zu tragen, das sei zweifelhaft, meint Thomas Dittmeyer, BLLV-Schulleitersprecher im Landkreis. Insofern sei die Entscheidung des Ministeriums nachvollziehbar. "Allerdings erscheint mir persönlich generell das Vorhaben problematisch, die Kinder wieder in die Schule zu holen. Ein Klassenzimmer ist auch mit 15 Neunt- oder Zehntklässlern gut gefüllt und hygienisch sicher problematisch." Piazolo hatte eine solche Klassengröße zuletzt ins Spiel gebracht. Dittmeyer stimmt Hauner zu, dass dieses Vorgehen "im gefühlten Gegensatz zu den sonstigen Regelungen" des Freistaats stehe.

Sicherheitsabstände einzuhalten, sei auch gerade in den Pausenzeiten schwierig, sagt Kilian Winhart. Der 16-Jährige ist einer der beiden Kreisschülersprecher. "Das halte ich für unrealistisch, was man da erwarten kann, gerade von jüngeren Schülern. Und ein Lehrer hat ja auch keine Rolle als Gefängniswärter, der für Abstand sorgt." An seiner Schule, dem Josef-Hofmiller-Gymnasium, sei die Hygienesituation zudem generell schlecht. "Es gibt nicht überall Seife, kein heißes Wasser", auch berührungslos funktionierende Wasserhähne fehlten. "Bei uns lässt sich das definitiv nicht umsetzen." Mitschüler wohnten überdies zum Teil mit ihren zur Risikogruppe gehörenden Großeltern unter einem Dach.

Die anstehenden Prüfungen sind ein Problem

Dittmeyer, Leiter der Zollinger Grund- und Mittelschule, sieht eine zentrale Frage in der Durchführung von Prüfungen: "Machen Prüfungen generell unter solchen schwierigen Bedingungen einen Sinn, vor allem vor dem Hintergrund, dass viele Schülerinnen und Schüler in den vergangenen Wochen völlig unterschiedliche Lernumgebungen zuhause hatten?" Auch hier deckt sich die Einschätzung mit der des Schülers Andreas Hauner. Rehm hofft indes, dass bis zum 27. April "jede Schule eine perfekte Ausrüstung hat". Die Formulierung klingt zynisch. Sie sagt: "Da gehört dazu, dass jeden Tag alles desinfiziert wird. Wer macht das? Und es braucht täglich neue Handschuhe für alle. Vom Kultusministerium fühlt man sich da allein gelassen, die müssen da ganz konkret logistisch arbeiten."

Schulleiter Dittmeyer hält die Sorgen von Schülern wie Andreas Hauner für "absolut berechtigt", genauso die Ängste von Seiten der Lehrkräfte. Sie sei "in großer Sorge um die Gesundheit der Schüler, ihrer Eltern und Familien", sagt die frühere Grundschulleiterin Rehm. Stickige Klassenzimmer, dazu Allergiker und Lehrer in der Risiko-Altersgruppe, die mangels Nachwuchs nicht ersetzt werden können, sollten sie erkranken - Kerstin Rehm bettet dieses befürchtete Szenario in eine Kriegsmetapher ein: "Die Schulfamilie als Ganzes scheint mir gerade Kanonenfutter fürs Volk zu sein."

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