„Ich muss mich noch mal richtig ausruhen“, sagt Jamie Graf alias „DJ Sekt auf Eis“ am Vorabend seines Auftritts in der „Alten Mälzerei“ auf dem Regensburger Galgenberg. „So ein eineinhalbstündiges DJ-Set nimmt viel Energie in Anspruch“, erklärt er. Jamie ist in Freising geboren und aufgewachsen und seit zwei Jahren einer der Mitwirkenden von „Tour de Schrance“. Das Kollektiv hat an diesem Abend die Party in Regensburg organisiert, zu der überwiegend Studierende erwartet werden.
Neben Jamie haben auch andere Beteiligte einen engen Bezug zu Freising, Till Alefelder beispielsweise, der auch dort aufgewachsen ist, die Freunde kennen sich seit fünf Jahren aus der Heimat. Als Dj „Turtilltaube“ ist er ebenso ein wichtiges Element des Kollektivs. Die „Tour de Schrance“ ist ein Symbol dafür, wie Studierende aus Freising die Regensburger Szene bereichern. Die Partyreihe wurde im Dezember 2022 von jungen Musikbegeisterten gegründet, Jamie und Till kamen 2023 dazu. Seither hat sich das Kollektiv in der Subkultur der Region etabliert.
„S-Bahn sitzen – München“, so sahen die Abende von Jamie und Till aus, bevor sie nach Regensburg gezogen sind. Wenn sie Techno feiern, die subkulturelle Szene erleben wollten, mussten die Jungs damals immer nach München. „In Freising gab es nichts, es war nicht greifbar“, berichtet Jamie: „Es fehlen einem einfach die Möglichkeiten und die Lokalitäten. Die Leute sind da, aber man braucht auch einen Platz, an dem man sich ausleben darf.“ Zwar habe es kurz den Ansatz einer Freisinger Technokultur gegeben, aber der sei schnell wieder weg gewesen. „Es gab, wenn überhaupt, nur private Veranstaltungen, aber die waren nicht legal“, ergänzt Till. Die beiden sind sich einig: „Es gibt genügend Leute, die wollen, die Talent und Engagement haben, Künstler und Künstlerinnen, die sich ausleben wollten, aber die Frage war immer: Wo?“
Im Kontrast zu seinem Mathematik-Studium hat Till eine kreative Seite und er sagt, Regensburg habe etwas Kreatives in ihm geweckt, was in Freising nicht gefördert worden wäre. Der Umzug sei eine prägende Erfahrung gewesen, es sei ein großer Schritt, aus seiner Heimatstadt und von Zuhause wegzuziehen. „Man merkt zum ersten Mal, dass man einen freien Willen hat und machen kann, worauf man Lust hat. Erst hier hatte ich so richtig die Möglichkeit, mich zu entfalten.“ Wenn man in einer kleineren Stadt groß werde, wachse man in eine Rolle hinein. "Wenn du dann aus diesem Umfeld mal rauskommst, hast du ganz neue Möglichkeiten.“ Er habe seine Kindheit und Jugend grundsätzlich sehr genossen, ergänzt Jamie, „aber wenn du in ein gewisses Alter kommst, entsteht so ein kleines Loch, in dem du dich nicht weiterentwickeln kannst, weil du keine Erfahrungen machen kannst. Du kannst immer nur in die üblichen Kneipen gehen, in manche willst du gar nicht mehr.“
Christoph „Chris“ Prange aus Amberg kann das gut nachvollziehen. Er hat ähnliche Erfahrungen in seiner Jugend gemacht. Chris beschreibt seinen damals begrenzten Horizont in Amberg: „Da gibt es halt sowas wie alternative Clubs nicht. Man kommt damit nicht in Berührung.“ Er und ebenfalls Amberger Ferdinand „Ferdi“ Winter, beide 25, waren an der Gründung von „Tour de Schrance“ beteiligt und auch sie schwärmen von ihrer neuen Heimat. „Für uns war es eine völlig neue Welt, als wir nach Regensburg kamen.“

Als ein Name für das Projekt gefunden werden musste, wussten die Beteiligten noch nicht genau, wo ihre musikalischen Grenzen lagen. Also legten sie sich zunächst auf den harten, schnellen "Schranz"-Stil fest, später wurde daraus „Schrance“. Aber zunächst war „alles nur noch Schranz“, erinnert sich Till, „Schranzpsychose trifft’s ganz gut.“ Sie machten über alles und jeden Wortwitze – so entstand auch unter anderem Chris DJ-Name „Schranz Beckenbauer“. „Wenn man zurückschaut, war es echt mieser Trash“, erinnert sich Ferdi an den ersten offiziellen Auftritt von „Tour de Schrance“ am 25. Dezember 2022 im Trio Club Amberg. „Wir haben wirklich nicht gut aufgelegt, das muss man schon so sagen, wir hatten keine Ahnung von irgendwas“, gibt auch Chris zu. Dennoch kam der Auftritt an, vor allem durch viele Remixe und eine Mischung aus Trance und Schranz, was die Jungs motivierte, weiterzumachen.
Seinen Durchbruch erlebte das Kollektiv im Mai 2023 in der Regensburger „Waschbar“. Es war das erste Mal, dass sie in ihrer aktuellen Konstellation auftraten. Ursprünglich waren sie nur für den Sidefloor gebucht. Jamie erinnert sich: „Die Leute haben überall getanzt, wo man nur tanzen konnte. Sie sind auf Tische, Boxen und überall hochgeklettert. Man konnte niemanden mehr erkennen, weil so viele da waren.“ Zudem sei eine große Anhängerschaft aus Freising und Amberg angereist. „Das war das erste Mal, dass Leute gekommen sind, um uns zu sehen, die sogar Eintritt gezahlt haben, um uns zu hören“, erzählt Till stolz, „zu jedem Zeitpunkt war bei uns doppelt so viel los wie auf dem Mainfloor“. Die Mitglieder von Tour de Schrance sind sich einig: In ihren Ursprungsstädten hätten sie niemals eine solche Chance gehabt.
Bei jeder Veranstaltung ist auch ein Awareness-Team im Einsatz
Markenzeichen der Gruppe ist der melodische, groovige Sound, der sonst in Regensburg nicht oft zu finden war. Ein wichtiger Faktor für ihren Erfolg war zunächst der Trend zu Trance-Remixen, den sie gut für sich nutzen konnten. „Wir hatten Sau-Glück, es war einsteigerfreundlich“, sagt Jamie. Er vergleicht die Rolle des DJs, mit der eines Dirigenten oder Animateurs: „Du stehst vorne und machst die Musik, reagierst spontan, siehst, ob es den Leuten gefällt.“ Neben der Musik gehöre es zur offenen und respektvollen Atmosphäre, bei den Events einen Raum zu schaffen, in dem sich alle Feiernden wohlfühlen können. Dafür haben sie bei jeder Veranstaltung ein Awareness-Team, das Konzept spielt eine große Rolle.
Man sei „eine lustige, kunterbunte Truppe", fasst Till zusammen: „Wenn wir irgendwo hingehen, nehmen wir uns nicht so ernst. Wir bilden uns nichts darauf ein, dass wir jetzt DJs sind.“ „Wenn wir bunt sind, dann kommen auch alle, die bunt sind. Wir wollen für alle offen sein“, sagt Chris. Till ergänzt: „Genau das, was wir da oben präsentieren, das sind wir auch.“ Mittlerweile hat sich das Kollektiv musikalisch weiterentwickelt. „Jeder von uns hat seinen eigenen Sound gefunden, den er gerne auflegt und zu dem er gerne tanzt“, sagt Ferdi. „Es ist nicht mehr nur Trance, nicht mehr nur Schranz. Wir sind weg davon, nur Remixe zu spielen“, schildert er.
Es ist Freitagabend, kurz vor 23 Uhr. Die letzten Vorbereitungen laufen, bevor das Event von „Tour de Schrance“ in der „Alten Mälzerei“ startet, ein Abend, den das Kollektiv seit rund vier Monaten plant. Chris ist zuversichtlich, „klar, steigt grad die Spannung, aber ich freue mich, ich habe Bock“. Das Kollektiv denkt sich auch immer etwas Besonderes aus, um den mittlerweile 1,5 Tausend Followern auf Instagram etwas zu bieten. Mit witzigen Aktionen, kreativen Designs und ausgefallenen Videos zur Vermarktung halten sie ihre Anhängerschaft auf dem Laufenden. Die kreativen grafischen Designs, die von Lucas Hartung, ebenfalls Gründungsmitglied des Kollektivs, kreiert werden, finden viel Anerkennung.

Neues aus der Partyszene:Der Lindenkeller wird zum Boiler-Room
Samuel Nierhaus, Korbinian Keeser und Leo Saidely haben sich zum Geburtstag ihres Party-Kollektivs Trapgarden etwas überlegt, das es so zuvor noch nie in Freising gab: Ein DJ-Event, das live gestreamt wird.
Für das erste Event dieses Jahres lassen sie „überfett die Reifen quietschen“, so kündigte das Kollektiv die aktuelle Veranstaltung auf ihrem Instagram an. Als Highlight werden Gäste aus Hamburg erwartet: das DJ-Duo „formula.303“. Passend dazu ist das Event im Formel-1-Stil gestaltet. Zielflaggen hängen zur Dekoration als Girlanden von der Decke, was der Veranstaltung zum passenden Namen „Formel Schranz“ verhilft.
Die Mitglieder von „Tour de Schrance“ betonen, dass ihr Fokus nicht auf Profit liegt. Mit den Einnahmen ihrer Veranstaltungen fördern sie sich selbst, in dem sie neues Equipment anschaffen oder gute Künstler und Künstlerinnen nach Regensburg holen, um noch spannendere Events zu organisieren. Zudem zeigten sie im Dezember 2024 ihre soziale Ader durch eine Spendenaktion: Das Kollektiv hat 2222 Euro für ein Schulprojekt in Brasilien gespendet. Stolz sagen sie, das sei, „mehr als es ein paar Menschen aus der Politik bei der vergangenen ,Ein Herz für Kinder`-Gala getan haben.“ Trotz ihrer Erfolge weiß die Gruppe, dass sie sich noch am Beginn ihrer Reise befinden. „Wir sind zwar jetzt ein bisschen etablierter in Regensburg, aber wir stehen immer noch ganz am Anfang“, sagt Chris. Ihr Ziel sei es, weiterhin Türen zu öffnen, authentisch weiterzumachen und Gas zu geben.
An diesem Abend scheint das geglückt zu sein. Gegen 1.20 Uhr sind bereits 350 Leute da, man erwägt einen Einlass-Stop. Jamie hat den aufregendsten Teil hinter sich, sein DJ-Set endet um halb zwei, er strahlt. „Es war der Hammer, die Stimmung ist super da vorne“ - und: „Ich bin erleichtert, jetzt wird noch weitergefeiert.“