Gebärdensprache:Wegschauen ist unhöflich

Gebärdensprache: Thomas Staudt ist taub und kommuniziert mit Gebärdenzeichen. Hier zeigt er die Gebärde für "Mir ist warm". Im Umgang mit Hörenden liest er von den Lippen ab.

Thomas Staudt ist taub und kommuniziert mit Gebärdenzeichen. Hier zeigt er die Gebärde für "Mir ist warm". Im Umgang mit Hörenden liest er von den Lippen ab.

(Foto: Marco Einfeldt)

Thomas und Kelly Staudt sind taub, aber nicht stumm. Sie wünschen sich, dass Hörende ohne Hemmungen direkt mit ihnen kommunizieren - und dass taube Menschen selbstbestimmter leben können.

Interview von Clara Lipkowski, Moosburg

Wenn Thomas und Kelly Staudt telefonieren, machen sie das per Videotelefonie. Beide sind taub. Stumm sind sie aber nicht, weshalb sie darum bitten, nicht den Begriff "taubstumm" zu verwenden, der als veraltet und abwertend gilt. Das Interview findet zunächst bei einem Treffen statt und später über einen telefonischen Dolmetscherdienst für Gebärdensprache, den Kelly Staudt per Videotelefon kontaktiert. Die Dolmetscherin wiederum telefoniert zeitgleich per Headset mit der Reporterin.

SZ: Frau Staudt, Herr Staudt, wie kommunizieren Sie im Alltag mit Hörenden?

Thomas Staudt: Meist geht es schnell, dass man sich nähert. Nach ein paar Unsicherheiten schaffen es die meisten Menschen schon, sich mit mir über alltägliche Dinge zu verständigen, etwa indem man auf Dinge zeigt. Aber wenn man wirklich tiefer gehende Gespräche führen will, muss man schon richtig die Gebärdensprache können und das fünf bis sieben Semester studieren. Ich musste jahrelang in der Schule von den Lippen meines Lehrers lesen, weil die Gebärdensprache verboten war und er meinte, ich könne doch so alles verstehen.

Kelly Staudt: In den Siebzigern gab es keine Gebärdensprachkurse. Die Linie war, dass man sich an die Hörenden anzupassen hatte, also sollte man Lippenlesen. Wir haben aber heimlich gebärdet. So konnte über die Zeit die Gebärdensprache gepflegt werden. Aber so entstand auch eine Parallelgesellschaft.

Wir kommunizieren, weil Sie, Herr Staudt, jetzt von meinen Lippen ablesen.

Thomas Staudt: Ja, man kann beim Lippenlesen aber nur elf von 26 Buchstaben des Alphabets unterscheiden. Denn: "B" und "P" - und "T" und "D" - werden mit dem Mund gleich geformt. "S" sieht man nicht. "H" auch nicht. "Gabel" könnte auch "Kabel" sein - das muss ich aus dem Kontext erschließen. Sagt jemand "Thomas", sieht das für mich aus wie "Oma".

Manchen tauben Menschen hilft ein Hörgerät, um Geräusche wahrzunehmen. Warum haben Sie sich dagegen entschieden?

Thomas Staudt: Weil es mir ohne das besser geht. Jetzt habe ich zwar Tinnitus. Aber ich bin jetzt viel glücklicher. Denn, mit Hörgerät sagen die Leute: Du hast doch ein Hörgerät, du hörst mich doch. Aber das stimmt nicht. Außerdem war mein Ohr ständig entzündet. Das Gerät liegt nämlich auf, da kommt keine Luft mehr dran. Ich hatte an drei bis vier Tagen in der Woche Migräne. Jetzt nur noch hin und wieder einen halben Tag. Und abends nach der Arbeit war ich fix und fertig, weil ich den ganzen Tag über Geräusche gehört habe. An der Schule meiner Tochter war ich sechs Jahre im Elternbeirat. Da habe ich mich mit Eltern gestritten, die für CI waren ...

Kelly Staudt: ...CI sind Cochlea Implantate, die man sich in die Hörschnecke einsetzen lassen kann, wenn Teile des Hörnervs funktionieren.

Thomas Staudt: Ich bin gegen die Implantate. Ich finde, die Kinder sollten sich stattdessen darauf konzentrieren, die Gebärdensprache zu lernen.

Kelly Staudt: Das Problem ist, dass immer noch Ärzte Druck auf Eltern tauber Kinder ausüben. Sie finden, Kinder sollten die Implantate bekommen, um sich den Hörenden anzupassen. Solche Operationen sind aber sehr aufwendig und bedeuten viel Zeit im Krankenhaus und eine lange Reha zur Sprachförderung. Ich finde das schwierig, denn der Ansatz ist defizitorientiert - Menschen, die taub sind, haben demnach ein Defizit. Manche Ärzte fordern sogar noch Zwangsimplantationen. Ein Arzt in Goslar ist vor Gericht gezogen, weil er den Eltern Kindeswohlgefährdung vorwarf. Ich hatte als Kind ein Hörgerät, weil es Pflicht war, habe es aber irgendwann abgenommen, weil ich zu viele Geräusche gehört habe und das gestört hat. Mein Leben läuft gut, ich bin zufrieden. Aber man wird trotzdem als defizitär wahrgenommen.

Welche Probleme treten in der Alltagskommunikation mit Hörenden auf?

Thomas Staudt: Also, ich habe keine Probleme. Aber viele können mit mir erst nichts anfangen. Als meine erste Frau einen Verkehrsunfall hatte, sie ist damals gestorben, kamen die Polizei und die Feuerwehr. Man wusste gar nicht, wie man mit mir kommunizieren sollte. Jemand von den Rettungskräften hat die Situation dann aber erkannt und uns beruhigt. Aber das war das totale Chaos. Sie haben sich geweigert, einen Dolmetscher zu holen. So was müsse man drei, vier Wochen vorausplanen, hieß es. Oder beim Arzt. Einmal hieß es, mein Sohn soll jetzt übersetzen. Aber ich war doch da! Man soll direkt mit mir kommunizieren. Früher, als ich Telefonanschlüsse verlegt habe, haben Kunden, zu denen ich gekommen bin, erst mal große Augen gemacht, wenn denen klar wurde, dass ich taub bin. Einer hat gefragt, als alles fertig war: "Funktioniert das jetzt wirklich?" Er hat nicht geglaubt, dass ich das Telefon verlegen kann. Ein lustiges Beispiel ist mir mal beim Tauchen passiert: Der Lehrer fragt per Handzeichen: Ist es gut? Und ich zeige "Daumen hoch", weil ich es toll finde. Das heißt aber unter Wasser nicht "gut", sondern "hoch, an die Wasseroberfläche". "Gut" zeigt man, wenn man ein "O" mit Daumen und Zeigefinger formt."

Was wünschen Sie sich von Hörenden?

Thomas Staudt: Man sollte einfach darauf achten, Gesten deutlich zu zeigen. Es hilft sehr, wenn man sich dabei immer in die Augen schaut. Guckt man weg, ist das wie in der gesprochenen Sprache unhöflich. Die Mimik ist auch sehr wichtig, damit zeigt man, ob man fröhlich ist oder schlecht drauf.

Kelly Staudt: Mir ist auch sehr wichtig, Blickkontakt zu halten. Und, dass man einfach ohne Angst und Hemmungen auf taube Menschen zugeht. Ich merke manchmal, dass wegen der Vorbehalte keine Herzlichkeit und Wärme entsteht. Auch wenn etwas unklar ist, ist es wichtig, immer direkt mit uns zu reden, nicht mit dem Umfeld. Was ich mir grundsätzlich wünsche, ist, dass taube Menschen selbstbestimmter leben können. Etwa indem man ihnen ein Inklusionsbudget bereitstellt. Damit man Geld beantragen kann, wenn man mal einen Dolmetscher braucht.

Erst kürzlich klagten Lehrer in Berlin offen darüber, die Inklusion nicht stemmen zu können. Wie steht es um die Inklusion tauber Menschen?

Kelly Staudt: Puh, da haben wir noch einen langen Weg vor uns. Wichtig für die tauben Kinder ist, dass sie im Unterricht Gebärdensprache vermittelt bekommen, da ist noch wenig geschafft. Auch der Einsatz von Technik fehlt, zum Beispiel mit Untertitelung. Das Problem ist, dass man immer einen anwesenden Dolmetscher braucht. Bleibt er weg, ist Beschulung nicht mehr möglich. Ich fände Schulen gut, die einen Gebärdensprachschwerpunkt haben. Dort könnten auch Hörende die Gebärdensprache lernen und so zu Gebärdensprachnutzern werden. Es wäre schön, wenn sich auch mal die Welt der Hörenden an die der Nichthörenden anpasst, nicht immer nur umgekehrt. Das ist wirklich anstrengend.

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