Wenn man bei den lokalen Parteien anfragt, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in deren Reihen kandidieren, bekommt man meistens keine Antwort. Oder eine, die so lautet: "Bei uns sind alle willkommen" oder "wir sammeln solche personenbezogenen Daten nicht". Ein Blick auf die Kandidatenlisten für die Kommunalwahlen zeigt dennoch: Namen, die auf ausländische Wurzeln hinweisen, tauchen nur selten auf, insbesondere im oberen Bereich der Listen.
In den aktuellen Gremien ist das Bild ähnlich. So sitzt im Kreistag nur ein Politiker mit Migrationshintergrund, im Freisinger Stadtrat keiner. Und das, obwohl Ausländer fast 19 Prozent der Einwohner im Landkreis Freising ausmachen. Wenn man deutsche Bürger mit Migrationshintergrund mitrechnet, ist der Anteil noch höher. Zugegeben: Viele Einwohner haben keine deutsche Staatsangehörigkeit und dürfen somit gar nicht antreten. Bei der Kommunalwahl ist allerdings die Wählerschaft weiter gefasst, denn auch EU-Bürger haben ein Stimmrecht und dürfen kandidieren. Außerdem haben zum Beispiel viele türkischstämmige Freisinger, die seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland sind, mittlerweile einen deutschen Pass.
Den Dialog mit den Minderheiten pflegen
Fragt man bei den Betroffenen nach, bekommt man trotz der unterschiedlichen politischen Einstellungen ähnliche Antworten. So seien die Politiker mit einer Migrationsgeschichte im Landkreis "viel zu wenig", denn zu lange seien sie vergessen worden. Aufgabe der Politik sei es nun, aktiv den Dialog mit den Minderheiten zu pflegen. Migranten wiederum sollten sich "mehr einbringen".
Ozan Iyibas, geboren in Freising und aufgewachsen in Neufahrn, gehört zu den wenigen Politikern im Landkreis mit einer Migrationsgeschichte. Bis an die Spitze der CSU-Liste hat er es geschafft: Der 37-Jährige sitzt schon im Neufahrner Gemeinderat und kandidiert nun wieder für die Gemeinderatsliste auf Platz eins. Seine vier wichtigsten Themenfelder heißen: Wirtschaft, Infrastruktur, Familie und Heimat. "Ich habe trotz Migrationsgeschichte in der CSU einiges erreicht, aber ich muss sagen: Hätte ich einen anderen Namen gehabt, hätte ich noch mehr erreicht", sagt er über seine persönliche Erfahrung.

"Vieles ist verschlafen worden"
Iyibas glaubt, dass es für den niedrigen Migrantenanteil zwei Gründe gibt. Erstens, weil "in den Parteien, auch in der CSU, in der Vergangenheit vieles verschlafen worden ist"; zweitens, "weil Menschen mit einem Migrationshintergrund nicht in die Politik eintreten wollen, weil sie der Meinung sind, nicht viel verändern zu können". Außerdem müssen noch viele von ihnen "die Mitte finden, für welche Partei man sich einsetzen möchte". Für Iyibas sollte man mit Migranten und deren Vereinen einen regelmäßigen Dialog führen und versuchen, sie für die Politik zu gewinnen, vor allem auf kommunaler Ebene. Auch in Anbetracht der zukünftigen Wählerschaft, die immer vielschichtiger wird. Derzeit, stellt er aber fest, seien "wir in Deutschland, vor allem in Bayern, noch nicht bereit, einen türkischstämmigen Landrat oder Minister zu haben. Ich hoffe, das ändert sich".

Auch Selahattin Sen sitzt im Neufahrner Gemeinderat, allerdings in den Reihen der Grünen. Geboren wurde er 1953 in Antakya, nahe der syrischen Grenze. Seit über 40 Jahren lebt er in Deutschland, seit 25 Jahren sitzt er im Gemeinderat und kandidiert erneut bei der kommenden Wahl. Auch er glaubt, dass es in der Kommunalpolitik sehr wenige Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Er selber habe mehrmals versucht, Menschen aus Griechenland, Italien oder der Türkei einzubinden, ohne Erfolg. "Sie sagen zu mir: Was soll ich da machen, ich bin Ausländer. Die Politiker machen sowieso, was sie wollen", sagt er. Dass Menschen mit einem Migrationshintergrund unpolitisch seien, dem kann er aber nicht zustimmen. "Türkischstämmige Jugendliche sind politisch aktiv, allerdings nicht hier. Warum? Weil sie alleine gelassen wurden, weil man sie in eine Ecke gedrängt hat. Sie haben nach einer Identität gesucht und sie in der Türkei gefunden". Die Politik sollte aktiv mit Migranten sprechen, auch dafür will er sich engagieren, sollte er wiedergewählt werden.
Kaum Namen mit ausländischen Wurzeln

Neu in der Kommunalpolitik ist Ticen Genc. Die Inhaberin eines Reisebüros kandidiert zum ersten Mal für die Grünen in Au. Sie bezeichnet sich als "bayerische Türkin": geboren und verwurzelt in der Hallertau, aber immer wieder gerne in der Türkei, insbesondere in Istanbul, wo sie Erlebnistouren anbietet. Ob es in der Lokalpolitik zu wenige Menschen mit Migrationshintergrund gibt, kann sie nicht genau sagen. "Gefühlt sind es aber sicher noch nicht genug. Denn wenn ich Zeitung lese oder in den sozialen Medien schaue, sieht man kaum mal einen Namen, der auf ausländische Wurzeln hinweist", sagt sie. Nicht nur die Einheimischen sollen da was ändern: "Wer kritisiert, der soll auch mal sagen, wie er es besser machen würde. Natürlich stehen da die Mitbürger mit ausländischen Wurzeln auch in der Pflicht - aber wir müssen sie auch offen einbinden und zu Veranstaltungen einladen".
Nigar Tiryaki, dreifache Mutter und selbständige Taxi-Unternehmerin, kandidiert auf Platz zwei der SPD-Liste in Moosburg, die "absichtlich bunt" ist, um auch mit den Migranten besser in Verbindung zu treten. Ihr Schwerpunkt sind Schul- und Bildungsangelegenheiten. "Es gibt nicht genügend Politiker mit Migrationshintergrund, daher bemühe ich mich auch. Im Moosburger Stadtrat sitzt zum Beispiel keiner", erklärt sie. Die Politik sollte die Ohren aufhalten, mit Migranten sprechen, ihre Probleme verstehen. "Nach dem Erstarken der AfD ist das noch wichtiger", sagt sie. Sie glaubt, dass Migranten sich wenig engagieren, weil sie sich benachteiligt fühlen. "Vor Kurzem war ich in der Moschee in Moosburg, da ist mir ein älterer Herr entgegengekommen und sagte bezüglich meiner Kandidatur: "Du gibst dir umsonst Mühe. Du bist Ausländerin und wirst sowieso nicht gewählt". Auch deshalb engagiert sie sich: Sie will zeigen, dass die Politik für alle ist.
Samuel Fosso sieht viel Nachholbedarf
Der einzige Migrant im aktuellen Kreistag ist Samuel Fosso. Der Softwareentwickler ist in Kamerun geboren und wohnt seit 2001 in Freising, in der Freisinger Mitte hat er seine Partei gefunden. "Ich bin sehr aktiv und gestalte gerne", sagt er. Was den Migrantenanteil in der Kommunalpolitik angeht, gibt es seiner Meinung nach Nachholbedarf.
Allerdings sollten sich alle einbringen, sagt er, denn: "Sich in die Opferrolle zu begeben, ist natürlich negativ und nicht zielführend". Er betont aber auch, dass Menschen häufig in den Herkunftsländern schlechte politische Erfahrungen gemacht hätten und die deutschen Strukturen nicht kennen. Die Politik sollte deshalb gezielt Migranten ansprechen, zum Beispiel über die Agenda 21. "Mit der Agenda 21 haben wir in Freising eine sehr gute Basis für einen Dialog zwischen Politikern und Migrantenvereinen. Aber leider kommen die Parteien selten und sporadisch". Auch dafür will er sich einsetzen, sollte er wiedergewählt werden. "Wir sollten die Ängste durch Begegnungen abbauen und auch gute Migrationsbeispiele hervorheben. Dann merkt man, dass die Migration keine Gefahr ist".