Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Viel zu überstürzt

Im Falle des Schulkorridors sind vor allem die Kommunen gefordert. In vielen Gemeinden ist die Situation in den Kindergärten schon seit Langem angespannt, die Wartelisten sind lang

Von Gudrun Regelein

Es begann vor fast genau einem Jahr. Damals initiierte eine Münchner Mutter die Online-Petition "Stoppt die Früheinschulung". 22 000 Menschen unterzeichneten diese. Kultusminister Michael Piazolo war damals noch bildungspolitischer Sprecher der Freien Wähler. Er sprang auf den Zug auf und brachte den Vorschlag des Einschulungskorridors in den Landtag ein. Als er Minister wurde, wollte er diese Idee dann auch sofort umsetzen: "Der Korridor steht im Koalitionsvertrag, die Leute wollen das unbedingt haben, also muss das jetzt zügig kommen", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Danach ging es schnell. Vielen - wie dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) - zu schnell. Deren Präsidentin Simone Fleischmann wirft dem Kultusminister eine "hektische Umstellung" vor. Ein nicht ausgegorenes Konzept sei mit Vollgas umgesetzt worden, lautet ihr Vorwurf.

Tatsächlich ist die bayerische Bildungspolitik durch Aktionismus und anschließenden Salti rückwärts geprägt. An die Konsequenzen wird dabei selten gedacht. Das sieht man wunderbar am Beispiel G 8/G 9. Das Turboabitur wurde überstürzt eingeführt, nach heftiger und andauernder Kritik haben wir nun wieder das Abitur nach 13 Jahren. Leidtragende dieser übereilten Reformen sind immer diejenigen, die sie umsetzen, mittragen oder erdulden müssen.

Im Falle des Schulkorridors sind vor allem die Kommunen gefordert. In vielen Gemeinden ist die Situation in den Kindergärten schon seit Langem angespannt, die Wartelisten sind lang. Zwar bauen die Kommunen seit Jahren immer neue Einrichtungen, aber selbst wenn sie die erforderliche Zahl an Plätzen schaffen, so fehlt dann oft das eigentlich notwendige Personal. So ist auch die Situation im Landkreis Freising, der wegen seiner Nähe zur Landeshauptstadt ein beliebter Wohnort gerade für junge Familien ist. Und nun noch der Korridor, der offensichtlich viele Eltern dazu bewegt, ihr Kind noch ein Jahr länger den Kindergarten besuchen zu lassen. Schon jetzt gibt es in vielen Gemeinden des Landkreises Wartelisten. Besser wird die Situation nun sicher nicht.

Eltern mehr Mitspracherecht geben: weshalb nicht? Aber dann bitte wohlüberlegt und mit Blick auf die Konsequenzen. Eine Änderung, den ersten Salto rückwärts, wird es übrigens schon im kommenden Jahr geben: Die Entscheidungsfrist der Eltern wird von 2020 an auf März vorverlegt. Damit soll zukünftig zumindest das Planungschaos vermieden werden.

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Quelle:
SZ vom 31.05.2019
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