Kommentar:Abstoßende Machtprobe

Dem gesunden Menschenverstand wird nicht ganz klar, warum am Sonntag in Freising derart massiv gegen die Flüchtlinge vorgegangen werden musste. Der Verdacht: Es herrscht Wahlkampf

Von Kerstin Vogel

Das Wort, das an diesem Montag in den Diskussionen über den Polizeieinsatz gegen den Flüchtlingsmarsch häufig zu hören ist, heißt: Verhältnismäßigkeit. Die gibt einem im Normalfall der gesunde Menschenverstand vor - und der hat durchaus Schwierigkeiten zu erfassen, warum es 140 martialisch gekleidete Polizeibeamte braucht, um ein Häuflein Asylbewerber zu stoppen, deren einziges mutmaßliches Verbrechen darin besteht, den ihnen zugewiesenen Regierungsbezirk verlassen zu haben. Natürlich konnte die Staatsmacht hier den berechtigten Verdacht haben, dass Verstöße gegen die Residenzpflicht vorliegen, der Flüchtlingsmarsch hatte schließlich erst zwei Tage vorher unübersehbar die Grenze zwischen zwei Regierungsbezirken passiert. Und natürlich ist die Polizei verpflichtet, dem Verdacht auf eine Straftat nachzugehen.

Doch die Asylbewerber haben nicht gestohlen, gemordet oder Bomben transportiert, sie haben niemanden angegriffen und dazu auch keine Absicht erkennen lassen. Sie haben lediglich demonstriert, um auf ihr Elend aufmerksam zu machen - ordnungsgemäß angemeldet, wohlgemerkt. Und neben der unsäglich schikanösen Residenzpflicht, an der von den Bundesländern ohnehin fast nur noch die Bayern so eisern festhalten, gibt es in Deutschland immerhin auch noch ein weitreichendes Demonstrationsrecht. Dieses zu schützen würde dem Staat viel besser zu Gesicht stehen, als eine überflüssige und teilweise auch abstoßende Machtdemonstration wie am Sonntag in Freising.

Der Polizei ist dabei höchstens bedingt ein Vorwurf zu machen, weil manch ein Beamter bei der Durchsetzung der Kontrollen vielleicht ein wenig übereifrig zur Sache ging. Angeordnet aber wurde die Aktion auf politischer Ebene - und da ist der Verdacht, dass man sich zwei Wochen vor der Landtagswahl mit einer harten Linie bei einer bestimmten Wählerklientel anbiedern will, nicht von der Hand zu weisen.

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