Corona im Landkreis Freising:"Das kann ganz übel werden"

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Im Klinikum Freising könnten deutlich mehr Betten belegt werden, wenn mehr Personal vorhanden wäre. Doch im Gesundheitswesen wird seit vielen Jahren gespart. (Foto: Johannes Simon)

Das Klinikum Freising ist schon jetzt voll belegt, Pandemiebeauftragter Christian Fiedler warnt aber, dass die neue Corona-Welle für die Krankenhäuser und ihre Intensivstationen gerade erst begonnen hat.

Von Charline Schreiber, Freising

Christian Fiedler, Pandemiebeauftragter des Klinikums Freising, arbeitet derzeit bis zu zwölf Stunden am Tag. Das Klinikum ist voll belegt, trotzdem kommen täglich weitere Patienten dazu, die stationär aufgenommen werden müssten. Um einen Einblick in die pandemische Lage in der Klinik zu bekommen, fragte die Freisinger SZ bei dem Mediziner nach. Das Gespräch fand am Dienstagmorgen statt, an einem seiner wenigen Urlaubstage.

Herr Fiedler, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage im Klinikum Freising?

Das Klinikum ist voll belegt, durch verschiedenste Patienten. Dazu kommen immer mehr Corona-Kranke. Bisher waren es immer so um die zehn, wir haben welche entlassen, dafür sind neue gekommen. Jetzt haben wir alleine gestern sechs neue bekommen. Wir sind bei 20 auf der Normalstation und sieben auf der Intensivstation. Die Nicht-Corona-Patienten gibt es aber trotzdem noch. Das ist sehr belastend. Denn wenn ein Haus voll ist, dann müssen wir Betten frei machen für Neue, das heißt: Man muss immer wieder jemanden rausschmeißen - in einem immer kürzer werdenden Zeitraum. Wir haben überhaupt keine Zeit mehr, die Leute kennenzulernen, können kaum zuschauen, wie es ihnen besser geht, oder sie in Ruhe behandeln. Denn jeden Tag gibt es die Diskussion: "Wen könnten wir rausschmeißen, wem geht es am besten von allen?" Jeder, der nicht unmittelbar zwingend ein Krankenhaus braucht, muss nach Hause gehen.

Was sind die stationären Kapazitäten für Covid-Patienten, gibt es eine Obergrenze?

Christian Fiedler ist Pandemiebeauftragter des Klnikums Freising. (Foto: Marco Einfeldt)

So etwas gibt es nicht. Wir können normalerweise auf den internistischen, chirurgischen Stationen um die 165 Menschen, plus minus zehn, versorgen. Da sind die Gynäkologie, Onkologie oder die fachspezifischen Abteilungen nicht dabei, da können normale Patienten ja nicht aufgenommen werden. Das heißt: Je mehr Corona Patienten ich aufnehme, desto weniger Platz ist für andere. Und der Corona-Bereich muss abgetrennt sein, man benötigt viele Einzelzimmer. Jetzt wird die Abteilung für Lymphangiologie geschlossen. Das ist besonders schade, weil das eine Fachklinik ist, die deutschlandweit selten ist, mit endlos langen Wartezeiten. Und jetzt muss man den Leuten, die ein Dreivierteljahr auf ihren Termin gewartet haben, absagen. Aber wir brauchen einfach die Betten.

Angenommen jemand ist krank, setzt den Notruf ab, kommt in die Freisinger Klinik und ist Notfallpatient. Die Klinik hat aber keine Kapazitäten und kann den Betreffenden nicht aufnehmen. Was genau passiert dann, wird er weggeschickt?

Wenn jemand dringend behandlungsbedürftig ist, müssen und werden wir ihn behandeln. In der Notaufnahme wird die Behandlung sowieso begonnen, da muss jetzt keiner ersticken. Aber dann hat man natürlich das Problem: Man hat keine Betten mehr frei. Und da gibt es dann das Stufenkonzept. Wir haben die genannten 165 Betten, eine Zahl, die entsteht, weil wir einfach nicht mehr Personal haben. Es sind aber im Haus, ganz pauschal gesagt, um die 80 Betten nicht belegt. Natürlich könnten wir immer mehr Patienten aufnehmen, bis auch das letzte Bettgestell belegt ist. Allerdings müssten diejenigen, die schon jetzt mit letzter Kraft arbeiten, dann noch mehr Patienten versorgen. Und dass dadurch die Pflegequalität und die Stimmung schlechter wird, das kann man sich vorstellen. Helfende Hände von der Feuerwehr, THW, BRK kann man schon bekommen. Aber Pflege kann einfach nicht jeder machen.

Befürchten Sie, dass erkrankte Personen sich nicht mehr trauen, den Notruf zu wählen, weil sie das Gefühl haben, die Kapazitäten seien sowieso nicht vorhanden?

Ja. Man hofft natürlich, dass das nicht der Fall ist. Alles, was ein akutes Problem ist, muss natürlich ins Krankenhaus. Die Versorgung kann man in der Notaufnahme sicherstellen, auch wenn es da hektisch zugeht. Auf der Station kann die Versorgung allerdings nicht den gewohnten Standard haben. Wenn man auf die Glocke drückt, weil das Kopfkissen ausgeschüttelt werden muss, ist das einfach nicht mehr drin.

Jetzt werden durch die Belastung der Krankenhäuser Operationen verschoben, was passiert mit diesen Patienten?

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Die müssen einen neuen Termin ausmachen. Alles, was man nicht verschieben kann, findet ja statt. Aber Personen mit Operationen, die medizinisch aufschiebbar sind, die werden angeschrieben, wenn es wieder möglich ist und bekommen einen Terminvorschlag. Man versucht einfach, das alles ein bisschen zu entspannen.

Ist die gefürchtete Triage in Freising schon ein Thema?

Eine Triage gibt es immer. Man muss sich doch immer überlegen: Wer kommt in welcher Reihenfolge dran? Es kommen eine ganz Menge Leute rein und man muss herausfinden, ob einer davon wirklich bedrohlich erkrankt ist. Der muss vorgezogen werden. Und die, die stabil sind, müssen eben länger warten. Das ist auch unser ständiger Streitpunkt. Wenn jemand sagt: "Ich war aber vor diesem Patienten da, warum muss ich länger warten?". Ja, weil man eben eine Triage macht und es darum geht, dass die Kränksten zuerst drankommen. Das entscheidet der aufnehmende Arzt. Was wir bis jetzt noch nicht machen mussten, ist zu entscheiden, wer gar keine Behandlung bekommt. Das gibt es nicht.

Wie verteilen sich geimpfte und nicht geimpfte Personen auf den Stationen?

Auf der Intensivstation liegen derzeit nur Ungeimpfte und demnach auch Schwererkrankte, das muss man sagen. Auf der anderen Station ist es ungefähr Fünfzig-Fünfzig. Da gibt es auch welche, die liegen da wegen eines gebrochenen Beins und dann stellt sich zufällig heraus, dass sie positiv sind. Die merken nichts, sind aber trotzdem auf der Corona-Station, weil sie potenziell ansteckend sind. Und dann gibt es welche, die sind im Januar geimpft worden, haben aber noch keine Booster-Impfung und der Impfschutz hat nachgelassen.

Diskutieren Sie noch mit Impfgegnern?

Nein, das ist vergebliche Liebesmühe. Wir behandeln auch jeden gleich. Natürlich empfehlen wir dringend eine Impfung oder eine Booster-Impfung. Aber jetzt zu versuchen, jemanden zu überzeugen, der nicht will... Wenn jemand sowieso schon am Ende mit der Arbeit ist und dann kommt wieder ein Ungeimpfter, der jammert und sagt, obwohl er positiv ist, "das stimmt alles nicht, Corona gibt's nicht", da denkt man sich schon: ( seufzt). Aber der Patient ist ein Patient und wird behandelt.

Inwiefern hätte die aktuelle pandemische Lage in den Kliniken durch eine bessere Bezahlung des medizinischen Personals verhindert werden können?

Das ist ein Fehler, der vor vielen Jahren passiert ist, dass man das Gesundheitswesen ökonomischen Gesichtspunkten unterworfen hat. Da ist jemand auf die falsche Idee gekommen, es wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen, das Krankenhaus auf Effizienz zu trimmen. Allein an der Sprache hat sich das gezeigt. Man versucht, einen Produktivitätsstandard aus der Industrie einfach auf ein Krankenhaus anzuwenden und es der Wirtschaftlichkeit zu unterwerfen. Und damit ist ganz klar, dass ich keine Reserven habe. Die kosten Geld.

Also sollte das Gesundheitswesen in dieser Hinsicht neu ausgerichtet werden?

Man müsste sich Gedanken darüber machen, dass wir mehr Personal brauchen. Momentan ist die Rechnung so, dass ich eine gewisse Anzahl an Pflegenden habe und damit kann ich eine entsprechende Anzahl an Betten betreiben. Das ist dieser Effizienzgedanke. Eigentlich müsste man sagen: Ich habe genug Pflegekräfte, die können ihrer Arbeit in Ruhe nachgehen, auch mal einen Kaffee trinken oder mit dem Patienten reden. Dann wäre auch der Beruf attraktiver. Da geht es nicht um 200 Euro hin oder her, da geht es darum, ob ich jeden Tag Angst habe, arbeiten zu gehen, weil ich Angst habe, mit der Arbeit nicht hinterherzukommen oder einen Fehler zu machen.

Was für eine Entwicklung erwarten Sie in den nächsten Wochen in den Kliniken?

Es war jetzt immer das Gleiche: Mit einer Verzögerung von zwei bis drei Wochen sieht man die positiven Fälle im Krankenhaus. Das heißt, dass wir jetzt am Beginn der Welle für die Krankenhauseinweisungen stehen. Jetzt geht es erst los mit der Zahl der Leute, die ins Krankenhaus drängen und dann mit einer kleineren Verzögerung auf die Intensivstation müssen. Und da haben wir einfach keine Kapazitäten, das kann also ganz übel werden.

© SZ vom 24.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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