Der Treffpunkt am Marienplatz in Freising liegt an diesem späten Juni-Nachmittag in der prallen Sonne, es weht nicht der Hauch eines Lüftchens und wer klug ist, hat sich für den anstehenden „Klimaspaziergang“ locker gekleidet und einen Hut aufgesetzt. Was der besungene „Sommer in der Stadt“ in Zeiten des Klimawandels bedeutet, lässt sich da schon erahnen, dabei stehen die ersten wirklich heißen Tage des Jahres noch bevor. Die immer wärmeren Sommer und der enorme Versiegelungsgrad in dicht bebauten Städten schmälern nicht nur deren Aufenthaltsqualität, sondern lassen diese für Kinder, ältere oder kranke Menschen zunehmend auch zu einem Gesundheitsrisiko werden.
Erst vor wenigen Tagen schlug die Deutsche Umwelthilfe Alarm: Für ihren zweiten Hitzebetroffenheitsindex hat die Organisation 190 Städte mit mehr als 50 000 Einwohnern auf ihre Hitzebelastung untersucht. Insgesamt stufte die Umwelthilfe danach 31 Städte in die Kategorie rot und damit als besonders belastet ein. 131 Städte liegen in der mittleren Kategorie gelb, darunter auch Landshut und München.
„Die Städte sind unter Anpassungsdruck geraten, müssen Klimaschutz betreiben, den Energieverbrauch reduzieren, aber auch Anpassungen vornehmen, die blaue und grüne Infrastruktur ausbauen“, sagt Stefanie Burger vom Bund Naturschutz (Arbeitskreis Stadtnatur). Zusammen mit Studierenden der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) begleitet sie an diesem Abend den Klimaspaziergang durch die Stadt, angeboten wird die Reihe von Agenda 21 und dem Arbeitskreis Stadtnatur in Kooperation mit der HSWT.
Die jungen Leute haben Messgeräte und Wärmebildkameras dabei. Temperatur, Wind, Luftfeuchtigkeit und Strahlung können sie damit erfassen. An den Stationen des Spaziergangs sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Fragebögen ausfüllen, die Erkenntnisse werden für das Seminar „Stadt als sozialer Raum“ ausgewertet.

Nach einführenden Worten von Marita Hanold (Agenda 21) hören die Spaziergänger dann zum ersten Mal von der „3 - 30 - 300“-Regel. Diese Leitlinie besagt, dass jeder von seinem Wohnort aus mindestens drei Bäume sehen sollte, in einem Quartier sollten 30 Prozent der Fläche mit Baumkronen bedeckt sein und von einem Gebäude aus sollten es maximal 300 Meter bis zum nächsten Park sein.
Dass das hier, mitten in der Stadt, nicht erfüllt ist, liegt auf der Hand und ein Teil des Problems zeigt sich schon an der ersten Station der Tour, im nahen Asam-Innenhof. Obwohl auch hier die Fläche bei der kürzlich erfolgten Neugestaltung vollständig versiegelt wurde, ist der Temperaturunterschied zum Marienplatz enorm. Denn das hohe, aus dem Barock stammende Gebäude verschattet den Innenhof, die dicken Mauern heizen sich nicht so leicht auf, wie Student Vinzenz Fanger erklärt. Doch die alten Gebäude erschweren in den Innenstädten andererseits Maßnahmen zur Klimaanpassung, weil oft wegen des Denkmalschutzes wenig Spielraum für Veränderung besteht. Trotzdem gibt es Möglichkeiten. Eine Fassadenbegrünung fällt der Gruppe zur Abkühlung ein, Brunnen oder „Wasserspiele“.

Wie gut Wasser – die blaue Infrastruktur – diese Aufgabe erfüllt, lässt sich an der nächsten Station überprüfen. In Freising wurde bei der Sanierung der Innenstadt die bis dahin unterirdisch fließende Stadtmoosach geöffnet. Die Wärmebildkamera belegt, was die Teilnehmerinnen, die auf den Sitzstufen unten am Bach Platz genommen haben, auch fühlen. Ohne auch nur einen Hauch von Schatten lässt es sich dort dennoch gut aushalten. Das liege an der Verdunstung, erklärt Student Pirmin Gutleber. Aber auch die Materialien, für die sich Städtebauer der Zukunft entscheiden, spielten eine Rolle. Das Holz, mit dem die Sitzstufen belegt sind, heize sich längst nicht so schnell auf wie Stein oder auch das Metallgeländer. Zehn Grad Temperaturunterschied zeigen die Geräte der Studierenden hier.

Doch wie so oft ist auch im modernen Städtebau nichts wirklich einfach. Weil mit dem Klimawandel auch eine gesteigerte Hochwassergefahr einhergehe, müssten die Bachläufe so konstruiert werden, dass ein Ausgleich möglich sei, sagt Gutleber. In Freising könnten zumindest die Stufen überschwemmt werden, doch das Konzept der Schwammstadt, das einen Weg in die Zukunft weist, fordert noch mehr: Moderne Städte müssten generell Wasser aufnehmen können, anstatt es durch die Kanalisation wegzuschicken. Dafür brauche es Bäume und offene Böden, etwa durch Rasengitter. Das biete zum einen Schutz vor Hochwasser, zum anderen werde das gespeicherte Wasser bei Hitze über die Verdunstung wieder freigegeben und kühle so die Luft.
Wer es in einer Stadt kühler haben will, müsste grundsätzlich vor allem Bäume pflanzen. Bis zu zehn Grad kälter ist es unter großen Bäumen als auf offenen Flächen – doch dass das speziell in Innenstädten nicht so einfach ist, haben die Freisinger beim Umbau ihrer City auch lernen müssen. Die Sparten, so das Fachwort für Kabel und Leitungen aller Art, liegen in der Oberen und Unteren Hauptstraße so dicht und weit verzweigt im Boden, dass sie einfach keinen Platz für Baumpflanzungen lassen. Hier Lösungen zu finden, wäre schlicht zu teuer.
Blau, grün, kühl und lebenswert soll die Stadt der Zukunft sein
Wie man sich behelfen kann, zeigen die Studierenden den Teilnehmern des Spaziergangs an der dritten Station vor der Q-Bar an der Oberen Hauptstraße: In überdimensionalen Kübeln finden sich hier Bäume – und das ist zumindest eine Alternative, wie Studentin Ronja Herget sagt. „Das ist auch ein Lebensraum für Insekten und filtert Feinstaub aus der Luft und es ist auf jeden Fall besser als nichts.“
Eigentlich aber bräuchten die Menschen genau wie die Tierwelt vernetzte Grünräume, sie müssten sich quasi über grüne Inseln durch die Innenstadt bewegen können, erklärt Steffi Burger. Die Studierenden haben eine derartige Insel hinter dem Johannispark am Wörth gefunden. Eine grüne Oase sei das, in der sich sogar Hochbeete für Urban Gardening finden. Hier könnten Menschen ohne eigenen Garten, Senioren, aber auch junge Leute Gewürze oder Gemüse anbauen, den Kopf freibekommen und Stress abbauen, sagt Student Lukas Feneberg. Und das in unmittelbarer Nähe zum Stadtkern.

30 Sekunden lang lässt Steffi Burger die Spaziergänger an dieser Station die Augen schließen und sich auf ihr Gehör konzentrieren. Und tatsächlich nehmen alle schon nach kurzer Zeit neben dem Autolärm von der nahen Johannisstraße Vogelgezwitscher wahr und die Windgeräusche. Wichtig seien solche Orte, sagt Burger und empfiehlt, öfter mal gezielt einen Umweg durch solche Oasen zu nehmen: „Das macht etwas mit uns.“
Blau, grün, kühl und lebenswert soll die Stadt der Zukunft also sein – und alle sollen Zugang zu ihr haben. Umwelt- und Generationengerechtigkeit ist hier ein weiteres Stichwort. Die Studierenden wünschen sich auf dem Weg zu diesem Ziel eine generationenübergreifende Zusammenarbeit, einen respektvollen Umgang mit Ökosystemen und Ressourcen und nachhaltige Mobilitätskonzepte.

Der Spaziergang ist inzwischen auf der Roseninsel angekommen, einem kleinen Park, der Sitzgelegenheiten für Senioren bietet, einen Spielplatz für kleine Kinder, aber auch ein paar versteckte Ecken, für die Jugend, wie Steffi Burger sagt. Es sei wichtig, dass sich junge Menschen auch ohne ständige soziale Kontrolle treffen könnten, das gehöre auch zur Generationengerechtigkeit.
Bei der notwendigen Schaffung neuer Grünflächen drohe jedoch die Gentrifizierung, zeigt Studentin Lea Weihrich ein nächstes Problem auf. Denn überall dort, wo die Versorgung mit Grünraum gut sei, stiegen die Mieten, die ursprünglichen Einwohner würden von Besserverdienern verdrängt. Das aber dürfe nicht passieren, die 3 – 30 – 300-Regel müsse für alle gelten, erinnert Stefanie Burger: „Grün darf kein Luxus sein.“