Süddeutsche Zeitung

Fastenbräuche:Wie Biber einst zu Fischen wurden

Um den Entbehrungen der Fastenzeit zu entgehen, haben sich schon immer Wege gefunden. Dabei geht es bei diesen 40 Tagen im Christentum gar nicht in erster Linie um körperlichen Verzicht.

Von Simon Bauer, Freising

Mit dem Aschermittwoch beginnt jedes Jahr vor Ostern die Fastenzeit. Eine vierzigtägige Zeit des Verzichts, in der viele Leute ihren Konsum einschränken. Meist gibt es dann weniger Schokolade, Alkohol, Nikotin oder Fleisch. Einige lassen auch das Handy, den Fernseher oder das Auto aus. Dabei sei der religiöse Grundgedanke der Fastenzeit im christlichen Glauben ein anderer, erläutert Prälat Walter Brugger, seit 1995 Priester der Wieskirche in Freising. Es solle als Vorbereitung auf das Osterfest nicht nur körperlich, sondern als "Heilfasten" besonders auf geistiger Ebene für alle Sinne stattfinden. Kunsthistoriker Bernd Feiler bestätigt das. Um visuell und akustisch zu fasten, würden in den Kirchen die Altare und Kreuze verhüllt und in Freising seit dem 17. Jahrhundert sogar die Domorgel gedämpft.

Erste Hinweise auf diesen christlichen Brauch stammten aus dem vierten Jahrhundert, erklärt der Kunsthistoriker. "In dieser Zeit taucht die biblische Zahl vierzig auf. Eine symbolträchtige Zahl, die auch in Zusammenhang mit der Sintflut und dem Auszug aus Ägypten erkennbar ist." Dass die Fastenzeit im Frühjahr beginne, ließe sich allerdings auch überreligiös erklären, fügt Feiler an. Für viele Völker seien die Vorräte nach dem überstandenen Winter aufgebraucht gewesen, man hätte sich somit einschränken müssen. Für Geistliche bedeutete "Buße tun", in diesem Zeitraum vermehrt an Gottesdiensten teilzunehmen, zu beten und Fastenopfer in Form von Spenden darzubringen. Pflichten, die vielerorts auch heute noch aktuell sind.

Seit Beginn des Mittelalters sei in der Fastenzeit am Tag nur eine Mahlzeit erlaubt gewesen, Fleisch, Eier, Milch und Alkohol komplett verboten. Ein Verstoß, also ein "Fastenbruch", sei sogar mit Strafen geahndet worden. Doch schon damals hätten sich Möglichkeiten gefunden, diese Vorschriften zu umgehen, erzählt Feiler. "Enten, Otter, Frösche, Biber und sogar Meerschweinchen wurden zu Fischen erklärt, um so das Fleischverbot zu umgehen", die einmalige Mahlzeit am Tag sei aufwendig und in großer Menge zubereitet worden.

Über die Dauer der christlichen Fastenzeit gebe es verschiedene Ansichten, so Feiler. Der Aschermittwoch als Startdatum stehe seit dem sechsten Jahrhundert fest. Die ursprünglichen vierzig Tage endeten am Palmsonntag, wobei viele den Zeitraum bis Ostern verlängern würden. Wieskurat Brugger bezeichnet den Gründonnerstag als das Ende der Fastenzeit.

Im evangelischen Glauben gibt es keine solche Fastenzeit

Im evangelischen Glauben gebe es "in diesem Sinn" keine Fastenzeit, erläutert Feiler. Die Reformation habe die Fastenzeit kritisiert, man würde die Erlösung nur durch Gnade und nicht durch Buße und Opfer erlangen. Dennoch läuft unter dem Titel "Sieben Wochen ohne" aktuell ein Fastenprojekt der evangelischen Kirche. Dabei geht es um "Fasten im Kopf", ein Aufruf zur gezielten Stressvermeidung im Alltag. Praktisch eine moderne Version des Heilfastens.

Einige traditionelle Fastenbräuche hätten die Jahrhunderte überdauert und würden aktuell wieder stärker aufkommen, erklärt Walter Brugger. Einige Beispiele könne er in seiner Kirche feststellen. Das traditionelle Fastentuch etwa, auch Hungertuch genannt. Dieses große Stofftuch ist mit religiösen Bildern, Szenen und Heiligenfiguren verziert und dient während der Fastenzeit dem Verhängen der Altare. In der Wieskirche würden zusätzlich zwei Wochen vor Ostern die Kreuze verdeckt und erst am Karfreitag wieder enthüllt. "Ich selbst habe ein solches Fastentuch herstellen lassen, es ist bis heute in der Kirche St. Georg zu sehen", erzählt Brugger. Heutzutage stehe das Tuch zusätzlich als Symbol des Teilens für Hilfe für die dritte Welt.

Palmbuschen symbolisieren "das Erwachen im Frühling"

Auch der Palmsonntag in Verbindung mit dem Palmesel, den man mit in die Kirche führe, sei wieder "sehr lebendig geworden", erklärt der Wieskurat. Verschiedene kirchliche Organisationen fänden sich am Vortag zum Palmbuschbinden zusammen. Die alten Bündel vom Vorjahr würden im Osterfeuer verbrannt. Die Palmbuschen sollten "das Erwachen im Frühling" symbolisieren. Auch die seit dem frühen Mittelalter durchgeführten katholischen Fastenpredigten seien bis heute überliefert. Brugger bietet sie in seiner Kirche selbst an. Sein Predigtzyklus mit Titeln wie "Glaube gegen Atheismus" erstreckt sich über drei Sonntage von Aschermittwoch bis Ostern.

Bernd Feiler beteiligt sich am Fasten in kulinarischer Hinsicht. "Ich verzichte auf Süßigkeiten und Alkohol, das Übliche eben." Wieskurat Brugger hat sich hingegen als Ziel gesetzt, in Zukunft und besonders während der Fastenzeit, nicht schlecht über seine Mitmenschen zu sprechen und auf Vorurteile zu verzichten.

Dieser Text ist am 20. März 2017 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3426053
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.03.2017/zim/kast
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.