Süddeutsche Zeitung

Kirchbergers Woche:Die Ungewissheit beunruhigt

Lesezeit: 2 min

Nichts ist so wie es mal war, vieles was früher wichtig war, ist es heute nicht mehr

Kolumne von Johann Kirchberger

Vieles, was uns gestern bedeutsam und wichtig erschien, ist heute in den Hintergrund gerückt. Der Klimawandel, der Brexit, der Syrienkrieg oder das Flüchtlingselend kommen in den Nachrichten nur noch am Rande vor und machen kaum noch Schlagzeilen. Alles dreht sich nur noch um das Coronavirus. Wie viele Menschen haben sich neu infiziert, wie viele sind schon wieder gestorben, wann gibt es einen Impfstoff, wann ein Medikament, um diese heimtückische Krankheit zu besiegen? Wer kann sich bei welchen Symptomen testen lassen, wie viele Intensivbetten gibt es, wie viele Beatmungsgeräte stehen in den Krankenhäusern zur Verfügung? Wann und wo gibt es wieder Toilettenpapier, Hefe und Mehl? Wo und mit wem darf ich joggen oder radeln, mit wem darf ich überhaupt noch reden? Das sind die Themen der Woche, und nicht einmal das Ergebnis der Kommunalwahlen scheint noch so richtig zu interessieren.

Vielen ist längst egal, wer da alles im neuen Stadtrat, Kreistag oder Gemeinderat sitzt, welche Partei wie viele Prozente gewonnen oder verloren hat. Dabei gäbe es viel zu diskutieren. Wie es kommt, dass die CSU im Freisinger Stadtrat nur noch vier von 40 Sitzen einnimmt, während es 1978 noch 23 waren. Wie es möglich sein kann, dass die SPD in Freising nur noch drei, in Moosburg sogar nur noch zwei Sitze gewonnen hat. Warum ein Mann wie Sebastian Thaler in Eching mit 77 Prozent als Bürgermeister bestätigt wird, obwohl er im Gemeinderat von CSU und Freien Wählern in den vergangenen vier Jahren so scharf angegangen wurde? Diskutieren könnte man auch darüber, warum in Attenkirchen der amtierende Bürgermeister abgewählt und durch einen SPD-Mann ersetzt wird.

Am Sonntag wird ausgezählt, wer neuer Landrat wird. Könnte spannend werden. Aber wen interessiert das wirklich? Wann wieder Fußball gespielt wird, mit oder auch ohne Zuschauer, wann die Olympischen Spiele stattfinden und ob Donald Trump dank seines Bauchgefühls wirklich der beste Virologe aller Zeiten ist, das will man wissen. Längst haben sich die Leute daran gewöhnt, täglich nach den TV-Nachrichten ein Spezial und kurz danach ein Extra zu schauen, auch wenn nichts Neues zu berichten ist. Niemand stört sich daran, dass in den Corona-Talkrunden - andere gibt es nicht mehr - kein Publikum sitzt, das jeden Satz beklatscht. Das Bayerische Fernsehen hat bei allen Sendungen rechts oben "Daheim bleiben" eingeblendet, RTL schreibt links oben "Wir bleiben Zuhause" und Sat 1 bittet rechts oben "Bleibts dahoam". Eigentlich verständliche, aber höchst überflüssige Hinweise. Denn wo soll man denn hin? Ist doch alles geschlossen. Kneipen, Wirtshäuser, Kinos, Schwimmbäder, Fitnessstudios, Sportplätze, Geschäfte und alles andere auch, alles ist dicht.

Es ist eine schwere Zeit, die wir gerade durchmachen müssen. Zur Angst um die Gesundheit kommt die Angst um den Arbeitsplatz, um die Existenz. Und es ist vor allem die Ungewissheit, die beunruhigt. Wie lange liegt das öffentliche Leben noch darnieder, wann dürfen wieder Feste gefeiert und Veranstaltungen besucht werden? Noch glauben ja viele, dass mit dem Ende der Osterferien Normalität einkehrt und der Albtraum vorbei ist. Eine Hoffnung, die sehr trügerisch sein kann.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2020
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