Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarkt in Freising:Später Start in die Kinderpflege

Das Assistenzkraftmodell ermöglicht es auch älteren Arbeitnehmern, die gar keinen Berufsabschluss haben oder eine ungelernte Tätigkeit ausüben, eine zweijährige Ausbildung im Kindergarten zu absolvieren.

Von Maike Velden und Johanna Pichler, Freising

"Es ist der Renner", sagt Alexandra Weinzierl. "Es läuft richtig gut und ich sehe darin auch die Zukunft". Sie meint damit das Assistenzkraftmodell in der Kinderpflege. Alexandra Weinzierl war ehemals Beraterin im Freisinger Jobcenter und ist jetzt Berufsberaterin bei der Agentur für Arbeit und hat das Projekt ins Leben gerufen. Die Ausbildung zur Kinderpflegerin oder zum Kinderpfleger nach dem Assistenzkraftmodell dauert zwei Jahre und richtet sich an Frauen und Männer ohne Berufsabschluss und auch an Interessenten, die in den vergangenen vier Jahren eine an- oder ungelernte Tätigkeit ausgeübt haben.

"Ich habe in den Beratungsgesprächen gesehen, dass das Potenzial da war. Da musste ein realistisches Modell her, das Familie und Ausbildung vereinbaren kann", erklärt die Berufsberaterin. Es habe einige Zeit gedauert, bis das Qualifizierungschancengesetz geprüft und damit alle rechtlichen Voraussetzungen geschaffen waren. "Dann brauchten wir nur noch einen Türöffner. In unserem Fall war das Martina Bock vom Fachbereich Kindertageseinrichtungen im Landkreis Freising. Sie hat E-Mails an alle Träger und Leiter verschickt", erzählt Weinzierl. "Das Telefon ist gar nicht mehr stillgestanden".

Es musste ein Modell her, mit dem sich Ausbildung und Familie vereinbaren lassen

Johanna Bauer ist Quereinsteigerin und wagte den beruflichen Neustart mit Mitte 40. Sie nahm die zweijährige Ausbildung zur Kinderpflegerin auf sich und absolvierte den praktischen Teil im Johannes-Kindergarten in Nandlstadt. Zuvor war sie bereits als Quereinsteigerin in der Ganztagsschule in Nandlstadt tätig und suchte währenddessen nach Weiterbildungsmöglichkeiten. "Die Entscheidung habe ich dann ziemlich kurzfristig im Sommer 2019 getroffen", sagt Bauer.

"Am Anfang war es ein Hin und Her. Mache ich das Richtige? Schaffe ich das überhaupt? Das waren die Fragen, die ich mir gestellt habe." Die Chance auf die Ausbildung wollte sich die Mutter von zwei Kindern jedoch nicht entgehen lassen. "Ich habe mir die Einrichtung angeschaut und es war einfach total schön", schwärmt Bauer. Auch ihr Umfeld habe durchwegs positiv auf die Entscheidung reagiert. "Klar, manche haben mich gefragt, wie das eigentlich funktioniert. Das muss man dann erst einmal erklären."

"Man war dankbar, dass ich schon älter bin, weil ich einen ganz anderen Blick als viele junge Praktikanten aus der Kinderpflegeschule habe"

Die Auszubildenden bekommen für die Dauer der Ausbildung einen Arbeitsvertrag als Assistenzkraft und werden dementsprechend vergütet. "Ohne Geld wäre das nicht gegangen", meint auch Johanna Bauer. Laut Alexandra Weinzierl ist die Finanzierungsfrage die wohl größte Hürde für viele ältere Interessierte.

Johanna Bauer ist mit ihrer Stelle im Kindergarten sehr zufrieden und will dort auch nach ihren Abschlussprüfungen im Sommer weiterarbeiten. "Ich wurde von Anfang an positiv aufgenommen. Und tatsächlich war man auch dankbar, dass ich schon älter bin, weil ich einen ganz anderen Blick als viele junge Praktikanten aus der Kinderpflegeschule habe." Das Assistenzmodell war für Bauer eine gute Möglichkeit. "Es muss einem aber liegen und auch ein bisschen Berufung sein".

Vor allem auf der Seite der Arbeitnehmer gibt es bereits großes Interesse

Auch die Freisinger Bürgermeisterin Eva Bönig (Grüne) sieht Potenzial im Assistenzkraftmodell. "Quereinsteiger bringen ganz andere Erfahrungen mit. Das ist gut und wichtig." Trotzdem seien gleiche Standards bei den Lerninhalten und Prüfungen essenziell. Sie sollten laut Bönig klar definiert sein." Speziell im pädagogischen Bereich müsse man natürlich auch schauen, dass eine berufliche Eignung da ist", sagt die Bürgermeisterin, selbst jahrelang Kita-Leiterin. Um diese "Eignung" zu überprüfen, wird vor dem Start ein berufspsychologischer Test gemacht.

"Es gibt natürlich geistige und intellektuelle Voraussetzungen", sagt Tugba Kurt. Sie arbeitet bei der Agentur für Arbeit in Freising und ist für die Förderung der Umschulung verantwortlich. "Auch die Motivation muss da sein. Es sollte eine gut überlegte Entscheidung sein und man muss sich intensiv mit der Thematik beschäftigt haben", erklärt Kurt. Auf Seite der Arbeitnehmer gebe es bereits großes Interesse. Auch bei den Arbeitgebern kommt das Modell bisher offenkundig gut an. Trotzdem wird nach weiteren Arbeitgebern gesucht, sie können sich bei der Agentur für Arbeit melden

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SZ vom 24.03.2021/ilos
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