Kichbergers Woche:Augenmaß statt Schnapsideen

In verrückten Zeiten wie diesen läuft viel anders, als man sich das wünschen würde

Von Johann Kirchberger

Die Inzidenz steigt und steigt, täglich werden neue Rekordzahlen erreicht und wenn es so weitergeht, werden wir im Landkreis bald die 2000er-Marke knacken. Da ist es höchste Zeit gegenzusteuern. Da müssen wir lockern, mehr Kontakte zulassen und auf das Plus hinter dem 2G verzichten. Sonst steigt nicht nur die Inzidenz, sondern auch die Zahl der Montags-Spaziergänger, die ohne Masken durch die Straßen ziehen. Und so etwas wollen weder Hubert Aiwanger, Bayerns Minister für Wirtschaften, noch Markus Söder, ehemals selbsternannter Chef vom Team Vorsicht, inzwischen gewechselt ins Team Augenmaß.

Noch vor ein paar Wochen war von Corona-Hotspots die Rede, wenn in einem Landkreis die Inzidenz auf über 1000 gestiegen ist. Der Katastrophenfall wurde ausgerufen und alle Schotten dichtgemacht. Und nun? Jetzt lockern wir. Dabei sind die Neuwahlen in Bayern erst im nächsten Jahr. Aber man muss wohl aufpassen, sonst setzt sich in den Köpfen noch der Eindruck fest, bei uns werde da und dort ein wenig übertrieben. Aber zum Glück gibt es ja die bayerischen Sonderwege. Ist schon eine verrückte Zeit.

In Freising finden die Stadtrats- und Ausschusssitzungen weiterhin nicht im Rathaus, sondern in der Luitpoldhalle statt und es gilt die 3G-Regel. Zutritt bekommen nur vollständig Geimpfte, Genesene oder negativ Getestete. Bleibt nur zu hoffen, dass der Heilige Geist entweder eine dieser Kriterien erfüllt oder sich sonst irgendwie in diesen neuen Sitzungssaal schmuggeln kann. Denn wenn der Stadtrat demnächst darüber entscheidet, welche der vom Team Radentscheid geforderten Maßnahmen bis 2027 umgesetzt oder aber geplant werden, braucht es viel Geist, damit am Ende nicht noch Schnapsideen realisiert werden. Ein Einbahnstraßensystem in Lerchenfeld etwa, ausgelöst durch breite Fahrradwege.

Dass es für Stadtbewohner sinnvoller ist, mit dem Fahrrad zu fahren, statt mit dem Auto, ist unbestritten. Aber es gibt Menschen, die außerhalb Freisings wohnen. Will man die wirklich aussperren, will man ihnen einen Besuch der Stadt verleiden? Noch schweigt die Mehrheit der Freisinger Bevölkerung, weil sie noch gar nicht mitbekommen hat, was da alles beschlossen werden soll. Das ändert sich üblicherweise erst, wenn es um die Umsetzung geht. Dann könnte es leicht sein, dass sich ganz schnell eine Bürgerinitiative Pro-Auto bildet, die Unterschriften sammelt und ihrerseits ein Bürgerbegehren anstrebt. Und was machen die Stadträtinnen und Stadträte dann, wenn es zu einer offenen Konfrontation zwischen Autobefürwortern und Autogegnern kommt, so wie zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern?

Aber vielleicht wechselt die Stadtratsmehrheit ja rechtzeitig ins Team Augenmaß. Vor einem Bürgerentscheid bräuchten sich Stadtmütter und -väter übrigens gar nicht so zu fürchten. Denn daran müssten sich mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen. Eine hohe Hürde, denn an einem Sonntag in ein Wahllokal zu gehen ist etwas anderes, als mal schnell seinen Namen auf einen Zettel zu schreiben.

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