Justiz in Bayern:"Es kann nicht angehen, dass man einfach auf jemanden einsticht"

Justiz sucht Schöffen

Die Justiz in Bayern sucht neue Schöffen.

(Foto: dpa)
  • In ganz Bayern werden wieder an den Amts- und Landgerichten Schöffen und Jugendschöffen für die neue Amtsperiode gesucht, die am 1. Januar 2019 beginnt.
  • Jeder Schöffe wird für eine Periode einem Amtsrichter zugeordnet.
  • Im Dezember bekommt man eine Liste mit den Terminen für das folgende Jahr. In der Regel ist das einer pro Monat.

Von Alexander Kappen

Durch seinen Beruf hat Markus John einen gewissen Vorteil. Er ist Pastoralreferent der Moosburger Pfarrei Sankt Kastulus. "Und wenn man im Bereich der Seelsorge tätig ist, lernt man ganz gut, sich abzugrenzen", sagt er. Die Dinge nicht so nah an sich heranzulassen, ist eine Kunst, die dem Moosburger auch in seiner ehrenamtlichen Nebentätigkeit zugute kommt: Markus John ist Schöffe am Freisinger Amtsgericht.

In ganz Bayern werden wieder an den Amts- und Landgerichten Schöffen und Jugendschöffen für die neue Amtsperiode gesucht, die am 1. Januar 2019 beginnt. Markus John wird dann seine erste, fünf Jahre währende Amtszeit hinter sich haben. Früher zählte er mal für zwei Perioden zur Riege der Ersatzschöffen am Jugendgericht. Diese springen ein, wenn die etatmäßigen Amtsträger verhindert sind.

Schöffen werden von den Kommunen vorgeschlagen und dann von einem Wahlausschuss bestimmt. Eine juristische Ausbildung erhalten die Laien-Richter nicht. "Man kann eine Fortbildung machen, die Kosten muss man allerdings zu 100 Prozent selbst übernehmen", erzählt John. Er selbst hat keinen Kurs belegt. Was man als Schöffe an juristischem Rüstzeug benötige, könne man sich schaffen, "indem man beim Richter nachfragt und selbst mitdenkt".

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Markus John ist Schöffe am Amtsgericht.

(Foto: Privat)

Ein Schöffe ist eben ein Laien-Richter. "Und das ist auch so gewollt", sagt der Moosburger: "Als Schöffen werden Frauen und Männer jeglichen Alters gesucht, die ihre Lebenserfahrung einbringen". Für das rechtliche Knowhow ist in erster Linie der Berufsrichter zuständig.

Jeder Schöffe wird für eine Periode einem Amtsrichter zugeordnet. Im Dezember bekommt man eine Liste mit den Terminen für das folgende Jahr. In der Regel ist das einer pro Monat. Es kann aber auch vorkommen, dass man mal ein paar Monate nicht benötigt wird. Für jeden Termin bekommt man eine extra Ladung. Warum es in dem jeweiligen Fall geht, "weiß ich als Schöffe überhaupt nicht", erklärt Markus John: "Auf der Ladung stehen lediglich Termin, Uhrzeit und Aktenzeichen."

So gehen die Schöffen unvoreingenommen in eine Verhandlung. Vor der Verhandlung setzen sie sich mit dem Richter zusammen. "Der skizziert grob die Aktenlage, erzählt, worum es geht und wo vielleicht der Knackpunkt in dem Fall ist", erläutert John. Die beiden Schöffen und der Berufsrichter sind gleichberechtigt. Sie alle können die Angeklagten und die Zeugen befragen, bei der Urteilsfindung ist die Stimme von Laien- und Berufsrichtern gleich viel wert. Die beiden Schöffen könnten den Vorsitzenden also auch überstimmen. Rein theoretisch zumindest.

Welche Fälle dem Schöffen in Erinnerung geblieben sind

In der Realität habe er "ganz krasse Diskrepanzen" zwischen Schöffen und Berufsrichter noch nicht erlebt, sagt John. Als Schöffe bilde er sich während der Verhandlung und der Plädoyers eine Meinung "und überlege, in welche Richtung kann es gehen". Bei der Urteilsberatung trägt jeder seine Einschätzung vor, ehe man nach einem Konsens sucht.

Manche Fälle bleiben in den Erinnerungen eines Schöffen besonders haften. Davon kann sich niemand ganz frei machen. Auch John nicht. Er denkt da etwa an den Fall einer Angeklagten, Mutter eines zweijährigen Mädchens, die mit einem Messer auf ihren Mann eingestochen hat und zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. "Da macht man sich natürlich Gedanken über die junge Familie", sagt der Moosburger.

Andererseits habe man sich an Fakten und Gesetze zu halten: "Und was auch immer gewesen sein mag - es kann nicht angehen, dass man einfach auf jemanden einsticht." Die Frau ins Gefängnis zu schicken, obwohl auch ihr Mann von einem Unfall sprach, sei "natürlich eine gewisse Härte, aber - pathetisch ausgedrückt - um den Rechtsfrieden zu wahren, bleibt einem nichts anderes übrig".

Andere Fälle bleiben im Gedächtnis haften, weil sie kurios sind und zum Schmunzeln anregen. Etwa der Fall eines schwerhörigen Manns, der seinen Fernseher so laut stellte, dass er die Proteste der Nachbarn nicht hörte - und auch nicht das Klingen der verständigten Polizisten. Letztere sahen sich, als niemand öffnete, im Garten um und fanden eine Marihuana-Plantage. "Aber der Mann hatte gesundheitliche Probleme und hat das aus medizinischen Gründen genommen, der hat keinen Handel betrieben oder so", sagt John. Abgesehen davon habe es im Wirkstoff-Gutachten geheißen, "dass der Mann genauso gut das Gras aus seinem Rasenmäher hätte rauchen können, das hätte ungefähr die gleiche Wirkung gehabt". Der Angeklagte kam mit einer milden Geldstrafe davon.

Insgesamt, so John, gewinne man durch das Schöffenamt viele neue Einblicke. Man erfahre etwa, "dass es neben dem eigenen noch viele andere Lebensentwürfe gibt - und dass man sich im Vergleich zu manchem echt glücklich schätzen kann". Viele Straftäter sind geprägt von den schwierigen Verhältnissen, unter denen sie aufwachsen und die eine kriminelle Karriere oft forcieren. Wobei einige Angeklagte eine vermeintlich schwierige Kindheit nur als Vorwand nutzen.

"Aber man muss für sein Leben Verantwortung übernehmen und kann nicht immer 1000 und drei Gründe als Entschuldigung dafür anführen, dass es zu einer Tat gekommen ist", sagt John: "Ich kann nicht sagen, dass mit acht mein Hamster gestorben ist und ich deshalb mit 20 einer Oma die Handtasche geklaut habe."

Im Laufe der Jahre lernt man als Schöffe, das Gehörte im Gerichtssaal richtig einzuschätzen. Man lernt aber auch, "dass es manchmal gewisse Diskrepanzen zwischen moralischen Grundsätzen und einem Rechtsspruch gibt", so John. Etwa wenn das Gericht von der Schuld eines Angeklagten überzeugt ist, die Tat aber nicht sanktionieren kann, weil die handfesten Beweise fehlen.

Er habe gelernt, so der Schöffe, "dass ein Freispruch nicht immer bedeutet, dass jemand unschuldig ist". Im Umkehrschluss sehe er das aber als das Positive an unserem Rechtsstaat: "Dass man manchmal jemanden aus Mangel an Beweisen gehen lassen muss, ist mir lieber, als in einem Staat zu leben, in dem die Leute willkürlich weggesperrt werden."

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