Süddeutsche Zeitung

Inhabergeführte Geschäfte:Mit harter Arbeit zum Lebenstraum

Renate Rieger hat sich vor 40 Jahren eine Bohrmaschine gekauft und ihren ersten Laden eröffnet. Angefangen hat sie mit Räucherstäbchen und Patchouli. Heute präsentiert sie bei "Jahreszeiten" zusammen mit ihrer Tochter Nadine Mode und Accessoires abseits vom Mainstream.

Von Katharina Aurich, Freising

Wer das Geschäft "Jahreszeiten" an der Freisinger Bahnhofstraße betritt, taucht in eine Wunderwelt aus schönen Dingen ein und verlässt es meist nicht, ohne etwas erstanden zu haben. Kleidung in allen Farben, glänzende Dekowaren, geschmeidige Stoffe, gewagte und vorteilhafte Schnitte, Accessoires, glitzernder Schmuck, betörende Parfüms und gute Musik verführen einen zum Bleiben. Vor fast 40 Jahren entschloss sich die damals 24-jährige Renate Rieger, ihren Bürojob an den Nagel zu hängen, kaufte sich eine Bohrmaschine und begann, ihren ersten Laden, den "Hinterhofladen" in Freising einzurichten. 10 000 Mark hatte sie damals zur Verfügung . "Ich wollte meinen Traum wahr machen", lacht die quirlige Geschäftsfrau.

"Jahreszeiten" bezeichnet man heute als "Konzeptstore", eine Art Gemischtwarenladen, erklärt Riegers Tochter Nadine, die im Geschäft aufwuchs und es inzwischen mit ihrer Mutter gemeinsam führt. Ein Glücksfall ist das alte Freisinger Kino an der Bahnhofstraße mit 6,5 Metern Wandhöhe, in das der Laden vor einigen Jahren zog. Es ist wie geschaffen für das Dekorieren und Gestalten. Ihr Geschäft sei einmalig, die Mode aus Frankreich und Italien und das ganze Drumherum gebe es so nirgends, die "Jahreszeiten" seien das Gegenteil zur Uniformität der großen Kleidungsketten, beschreibt Renate Rieger. Die Kunden, viele seien Stammkunden, kämen aus aller Welt. Der Flughafen mache es möglich. Seit sechs Jahren gebe es auch einen "Jahreszeiten" in Landshut. Das Geschäft hat eine wechselvolle Geschichte, die immer auch die Trends der jeweiligen Zeit wieder spiegelte. Angefangen habe es 1979 mit ihrem "Hippieladen", erinnert sich Rieger. "Wir führten Kleider aus Indien, Räucherstäbchen, viele Öle, natürlich auch Patchouli und offene Weine". Nach einigen Jahren vergrößerte sich der Laden und zog in die Hauptstraße, dann in die Bahnhofstraße, in das Gebäude neben seinem jetzigen Domizil. Riegers Tochter Nadine kam auf die Welt. Sie spielt schon als Kind am liebsten mit der großen Registrierkasse. In dieser Zeit hieß das Geschäft "Regenbogen. Inzwischen wurde das Sortiment verändert und der Schwerpunkt auf Mode gelegt, die sich je nach Jahreszeit verändert. Dies führte auch zur erneuten Umbenennung in "Jahreszeiten".

Zwei Mal im Jahr kaufen Mutter und Tochter in Italien neue Ware

Die Begeisterung und Leichtigkeit, mit der Renate Rieger erzählt, täuscht nicht drüber hinweg, dass es harte Arbeit ist, einen solches Inhaber geführtes Geschäft vier Jahrzehnte lang erfolgreich zu führen. Zwei Mal im Jahr sind Mutter und Tochter mit ihrem Transporter auf Messen in Italien unterwegs und kaufen neue Ware ein. "Das ist Stress pur, die Fahrt über den Brenner und dann den ganzen Tag in den Messehallen zu verbringen und zu verhandeln. Das hat nichts mit Urlaub zu tun", beschreibt Nadine Rieger. Sie studierte Soziologie und Politik, entschied sich dann aber für die "Jahreszeiten".

Natürlich spüre das Geschäft - wie alle anderen Modeketten auch - den Internethandel, aber das, was die Kunden hier fänden, gäbe es sonst nicht, schildert Nadine Rieger. Die beiden Geschäftsfrauen achten auch darauf, dass ihre Waren nicht teuer sind, sondern sich im mittleren Preissegment bewegen, wie sie sagen. Jeder solle sich in den "Jahreszeiten" etwas Schönes leisten können und das Geschäft glücklich verlassen, so ihr Anspruch. Dazu trage nicht nur ein vielfältiges Angebot und die "handverlesene Mode", sondern auch das liebenswürdige, kompetente Personal. "Die Atmosphäre ist familiär, die Mitarbeiter identifizieren sich mit dem Geschäft und beraten aufrichtig", beschreibt Renate Rieger. "Damit behaupten wir uns gegen den gesichtslosen Massenkonsum." Die Kunden kommen aus allen Altersgruppen, im "Jahreszeiten"-Laden stöbern und kaufen Teenager und ihre Großmütter. Sie freue sich besonders, wenn auch ältere Frauen ein besonderes, auffallendes Kleid für sich auswählten, sagt Renate Rieger. Zum Glück seien sie und ihre Tochter ein gutes Team, sie hätten zwar nicht immer den gleichen Geschmack, aber das komme schließlich den Kunden zu Gute.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2018/nta
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