Die Sonne scheint an diesem Montagnachmittag Ende März, da kommt Ismet Ünal mit seiner Ismet-Ünal-typischen, selbsttönenden Brille über die Wippenhauser Straße gelaufen, eine Aktentasche unterm Arm. Er ruft: "Sie wollen bestimmt zu uns?" und streckt grinsend die Hand hin. Im gelben Gebäude der Islamischen Gemeinde verweilen hier und da ein paar Leute, die Tür zum Gebetsraum der Männer im ersten Stock steht weit offen. Das Gebetszentrum eröffnete 2006, nachdem das Vorgängergebäude an der Erdinger Straße 2000 eingestürzt war. Im Innern reflektieren die blau-türkisen Mosaike an den Wänden das Sonnenlicht. Zum Gespräch geht es in einen Aufenthaltsraum nebenan mit orangefarbenen Streifen auf dem Teppich, die gen Mekka zeigen. Ein junger, sportlich gekleideter Mann setzt sich etwas abseits hin und hört zu.
SZ: Herr Ünal, Sie waren zehn Jahre Vorsitzender der Gemeinde. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Ismet Ünal: Hm. Ich bin eigentlich ein bisschen emotional, aber auch locker.
Wie wurden Sie Vorsitzender?
Ich konnte ein bisschen besser Deutsch als die anderen (lacht). Wirklich, das war so.
Warum haben Sie sich aus der Gemeindearbeit zurückgezogen?
Nach dem Einsturz 2000 haben wir mit Null angefangen, ach was, mit Minus. Wir haben uns für den Neubau der Moschee Geld geliehen. Da habe ich mir selbst geschworen, dass wir das komplette Geld zurückzahlen und wenn wir das geschafft haben, trete ich zurück. Die Schulden haben wir 2013 abbezahlt, dann habe ich aufgehört.
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Ismet Ünal ist ein typisches Gastarbeiterkind und seit vielen Jahren das Gesicht der Islamischen Gemeinde.
Was war einer der prägendsten Momente in Ihrer Zeit als Vorsitzender?
Ich denke, nach dem Einsturz 2000 sind wir aufgewacht. Vorher haben wir wie in einer Parallelgesellschaft gelebt, aber danach haben wir Kontakt zu unseren deutschen Nachbarn geknüpft und sie mit uns. Und da war die Fußball-EM 2008, als die Türkei Dritter geworden ist, da haben wir hier alle zusammen das Spiel geschaut. Da waren auch viele Deutsche da.
Ist Ihre Gemeinde vor allem türkisch?
Türken sind etwa die Hälfte. Die andere Hälfte sind Menschen aus dem Maghreb, aber auch aus Togo. Und wir haben viele Flüchtlinge. Leider haben wir zu ihnen nur wenig Kontakt, wegen der Sprachbarriere. Sie kommen zum Beten und gehen wieder. Uns ist wichtig, dass jeder die Predigt verstehen kann, jeden Freitag wird sie auf Arabisch, Türkisch und Deutsch gelesen. Da kann uns keiner damit kommen, dass wir unter uns bleiben. Deutsch ist die Verständigungssprache von uns allen. Unsere Kinder können meist eher Straßentürkisch, auch deswegen ist die Predigt auf Deutsch. Und den Togoern hilft es auch.
Ein arabischsprachiger Journalist hat kürzlich einen Text veröffentlicht: Er berichtet von seinen Besuchen bei 13 Freitagspredigten in Deutschland. Er hat ein negatives Bild bekommen. Wie sind Ihre Predigten?
Unser Standpunkt ist: Niemand darf ausgeschlossen werden. Die Predigten müssen verbindend, nicht trennend sein. Früher gab es Predigten, die habe ich zerrissen, als man sie mir gab, die habe ich nicht angenommen. Aber hören Sie sich doch mal unsere Predigten an. Da müssen Sie sich Ihr eigenes Bild machen.
Was halten Sie von der Forderung von Politikern, dass Imame, die in Deutschland predigen, auch hier ausgebildet werden sollen?
Das befürworte ich. Ich finde es auch sehr gut, dass es an immer mehr Hochschulen möglich ist, Islam zu studieren. Ich bin auch für Islamunterricht an Schulen. Ein Imam sollte beides haben: Das Leben hier kennen, aber auch den Hintergrund der Kultur haben, also der türkischen.
Wie haben Sie den starken Flüchtlingszuzug wahrgenommen?
Ach, ihnen hat es an allem gefehlt. Wir haben im Ramadan abends Essen ver- teilt, da war es hier im Hof voll, da ka- men bestimmt 300, 400 Menschen pro Abend.
Erleben Sie Anfeindungen in Freising?
Kaum. Ich habe mal einen Hassbrief bekommen, wohl von einem älteren Mann. Darin stand: "Ihr Erdoğan-Türken, wenn ihr Erdoğan liebt, dann könnt ihr nach Hause gehen." Aber das war nur ein Brief. Ich hoffe, dass das so bleibt.
Würden Sie von sich sagen, dass Sie ein liberaler Muslim sind?
Ich sage von mir, dass ich gläubig bin. Beten ist für mich ein Muss. Betet jemand nicht, muss er das für sich selber entscheiden. Ich urteile darüber nicht. Wir sind alle keine Engel, wir sollen uns aber anstrengen, gute Menschen zu sein.
Sie sind mit Nadine Sukniak seit ver- gangenem Sommer Sprecher der Mi- grationsgruppe der Stadt. Was heißt das?
Wir koordinieren Angebote für Migranten, Straßenfeste etwa, damit Integration klappt. Die Gruppe hat das Haus der Vereine aufgebaut. Dort macht sie viel. Für die Zukunft wünschen wir uns ein Kulturzentrum. Aber das steht noch in den Sternen.
Das Referendum in der Türkei am 16. April, ist das auch Thema bei Ihnen?
Ja, natürlich. Vor allem die Älteren diskutieren viel. Für sie ist die Türkei ja noch die erste Heimat.
Werden Sie abstimmen?
Ich habe den Doppelpass. Ich entscheide mich spontan, ob ich wähle. Für mich ist wichtiger, was in Deutschland passiert.
Was würden Sie sich von Freising für Ihre Gemeinde wünschen?
Wir müssen kritischer werden miteinander. Wir bieten einen Tag der Offenen Moschee an, jedes Jahr am 3. Oktober. Da kommen aber nur unsere Freunde, die uns sowieso mögen, es sollen aber alle kommen. Wir wünschen uns Freisinger, Deutsche und dass wir ins Gespräch kommen - auch kritisch, denn beide Seiten müssen mit Kritik umgehen können.