Süddeutsche Zeitung

Internet und Learningapps:Technische Revolution im Klassenzimmer

Interaktive Tafeln für die Kranzberger Grundschule: Mit der Ausstattung aller Klassenzimmer hätte die Schule eine Vorreiterrolle im Landkreis Freising. Doch was können diese Geräte eigentlich?

Von Matthias Weinzierl, Freising/Kranzberg

Die Schulleitung der Kranzberger Grundschule erwägt auf eine Initiative der Gemeinde hin eine Vollausstattung der Klassenzimmer mit interaktiven Tafeln. Sie wäre damit eine der ersten im Landkreis Freising und nähme somit eine Vorreiterrolle ein. Von den 50 Schulen im Landkreis haben nicht mal zehn überhaupt eine interaktive Tafel. Diese sollen die herkömmlichen Kreidetafeln in den Klassen ersetzen.

Die Arbeit mit diesen Geräten wäre ein überlegenswertes Unterfangen. Da die Stellung des Lehrers als Allwissender im Informationszeitalter überholt sei und die Schüler mit Hilfe von Smartphones und Suchmaschinen schnell und problemlos an Informationen kämen, müsse man das Internet konstruktiv in den Unterricht einbinden, sagt dazu Ursula Zitzelsberger, Geografielehrerin und Mitglied der Schulleitung der Karl-Meichelbeck-Realschule. Diese Interaktivität zwischen Klasse, Lehrer und Lerninhalt sei für sie mit den neuen Tafeln gewährleistet.

Wissen für Nerds

Eine interaktive Tafel ist von der Idee her die Weiterentwicklung der herkömmlichen Tafel durch Computereinsatz. In der Mitte der oberen Kante ist ein auf die weiße Projektionsfläche gerichteter Beamer angebracht, der den Desktopinhalt des angeschlossenen Computers abbildet. Das bedeutet, dass auf der ersten Ebene alles möglich ist, was man auch mit einem PC und einem angeschlossenen Beamer machen könnte.

Für die Interaktion gibt es laut Landesmedienzentrum Baden-Württemberg vier verschiedene Möglichkeiten: Analog resistive Whiteboards haben eine Oberfläche, die auf Druck reagiert. Elektromagnetische Whiteboards funktionieren ähnlich wie Tablets: Durch die Berührung mit einem speziellen Stift wird eine Spannung im Board induziert. Trigonometrische Whiteboards arbeiten mit einem Stift, der Laser-, Infrarotstrahlung oder Ultraschall aussendet. Durch Empfänger an den vier Seiten des Boards wird so immer die genaue Position des Stifts ermittelt. Die vierte Möglichkeit sind kapazitive Whiteboards. Diese funktionieren ähnlich dem iPhone. Durch eine Berührung mit dem Finger oder einem speziellen Stift entsteht eine kapazitive Erdverbindung. Dadurch werden Ladungen transportiert. Diese Veränderung wird von Sensoren am Board erkannt.

Auf der zweiten Ebene können jeder grafische Inhalt, einfache Bilder oder etwa auch Google Earth beliebig bearbeitet werden. Man kann es sich vorstellen, als ob der Bildschirminhalt dauerhaft in Windows Paint geöffnet wäre: An der ersten Ebene - dem Bild, einer geöffneten Website oder was auch immer - kann man nichts verändern. In Paint wäre das der weiße Hintergrund. Allerdings ist es möglich, auf der zweiten Ebene alles Mögliche einzufügen, markieren, darauf zu schreiben oder zu malen. matw

Als die Realschule vor einigen Jahren ihren Erweiterungsbau an der Düwellstraße plante, habe sie sich entschlossen, den neuen Gebäudeteil voll mit 14 interaktiven Whiteboards auszustatten. "Es war nicht so schwer, sich in das neue System einzuarbeiten", sagt Ursula Zitzelsberger. Die Kollegen machten sich auf Fortbildungen mit dem neuen Unterrichtsgerät vertraut und jeder neue Lehrer oder Referendar bekommt während seiner ersten Wochen dafür eine Einweisung.

"Auf einer schwarz-weiß gedruckten Karte für den Overhead-Projektor kann ich nicht so viel vermitteln"

Für sie als Erdkundelehrerin seien die grafischen Möglichkeiten besonders attraktiv: "Auf einer schwarz-weiß gedruckten Karte für den Overhead-Projektor kann ich natürlich nicht so viel vermitteln wie mit einer farbigen Animation, in der die verschiedenen Kartenebenen einzeln betrachtet werden können", sagt sie.

... und der Erklärbär

Das neue Gerät ist gerade erst eingebaut und man ist schon ganz aufgeregt, was denn dieser neumodische Schickschnack so alles kann. Daneben fühlt man ein wenig Unlust, im Alter noch etwas Neues lernen zu müssen. Gehen wir vorsichtshalber davon aus, dass jemand PC und Whiteboard schon eingeschaltet und kalibriert hat. Man sieht also auf dieser "Tafel" den Desktop. Man positioniert sich mittig so vor der Tafel, dass man seinen Schreibarm gut bewegen und deutlich sehen kann, was gerade auf dem Bildschirm passiert, aber nicht so weit weg, dass man mit ausgestrecktem Arm noch gerade so die Oberfläche berühren könnte. Man bedient das Gerät mit dem mitgelieferten Stift.

Durch zwei schnell hintereinander ausgeführte Berührungen ("Doppelklick") eines Programmsymbols schickt man per Kabel dem PC einen Befehl, ein bestimmtes Programm zu öffnen. Der Computer öffnet das Programm, sendet den veränderten Zustand des Bildschirms wieder an den Beamer, der das Bild auf die Tafel wirft. So ist man immer auf dem aktuellsten Stand. Falls man das Symbol zum Schreibprogramm doppelt geklickt hat, sollte auf der Tafel größtenteils eine weiße Fläche zu sehen sein. Ganz am Rand gibt es eine Reihe kleiner Symbole. Nehmen wir uns von diesen den Stift vor. Vielleicht muss man dafür einen kleinen Schritt zur Seite machen - wie bei einer echten Kreidetafel. Man berührt den Symbolstift. Jetzt begibt man sich zur Position, von der man anfangen möchte zu schreiben. In unserem Kulturkreis beginnt man im linken oberen Eck. Um zu schreiben, setzt man den echten, mitgelieferten Stift an den gewünschten Startpunkt und schreibt. Da das Gefühl einer Kreidetafel erhalten werden soll, setzt man den Stift genau so an und ab, wie ein Buchstabe oder Wort es verlangt. matw

Außerdem gebe es im Internet konkrete Angebote speziell für Schüler, die über die interaktiven Tafeln gezielt eingesetzt werden können. Auf www.mebis.bayern.de beispielsweise, einer Seite des Bayerischen Kultusministeriums, sind allerlei Optionen für einen technikunterstützten Unterricht gegeben: Neben kleinen "Learningapps", Spielen, mit denen man das gelernte Wissen festigen kann, werden auch jugendorientierte Unterrichtsmaterialien angeboten, beispielsweise ein Konzept namens "Die Inszenierung von Castingshows im Fernsehen erkennen und bewerten".

Im Erweiterungsgebäude der Realschule findet sich außerdem ein weiteres technisches Hilfsmittel: An den Lehrerpulten sind Kameras angebracht...

Durch Tischkameras an den Lehrerpulten kann zum Beispiel ein auf dem Pult liegendes Heft auf dem elektronischen Whiteboard abgebildet werden. Die Verbindung der beiden Apparate lässt zu, dass Klasse und Lehrer die handschriftliche Lösung eines Schülers zusammen an der Tafel verbessern können. Dadurch eröffnen sich neue Dimensionen für den Unterricht.

Heike Hartmann, Rektorin der Grundschule Kranzberg, sieht die Frage nach der Anschaffung von interaktiven Tafeln als eine Frage der Prioritäten. Natürlich sei Medienerziehung ein Thema, das immer mehr in den Vordergrund rücke und das ernst genommen werden müsse. Dieses neue Gerät biete einen direkten Zugang zur Medienwelt an sich. Neben den interaktiven und motivierenden Möglichkeiten für den Unterricht ergäben sich für den Lehrer weitere Vorteile: "Es erspart einem viel Zeit, wenn man seine Tafelbilder schon vor dem Unterricht vorbereiten kann, die Visualisierung ist viel leichter und man hat mehr Platz, wenn man, sobald die eine Seite vollgeschrieben ist, eine neue öffnen kann. Von der Vernetzung über das Internet erhoffe ich mir außerdem einen einfacheren Austausch zwischen den Lehrkräften."

Was passiert, wenn der Strom ausfällt?

Andererseits habe sie gewisse Zweifel: Was passiert, wenn der Strom ausfällt oder wenn einer der Computer kaputt geht? Deshalb würde sie sich im Falle einer Anschaffung von interaktiven Tafeln den vollen Rückhalt der Gemeinde wünschen. Sie betont dabei, dass die Idee der interaktiven Tafeln aus der Gemeinde gekommen sei und sie ihr bei diesem Thema sehr entgegen komme.

Ein Muss sei trotzdem, dass es neben den elektronischen noch analoge Tafeln in den Klassenzimmern gäbe, also nicht elektrische, mit speziellen Filzstiften beschreibbare Magnetwände. Diese müssten zwar ein wenig kleiner sein, aber ohne sie könne man den Kindern die Handhabung ihrer Arbeitsmaterialien nicht beibringen. Der Umgang mit Zirkel oder Lineal sei an einem elektronischen Whiteboard nicht vermittelbar, weil diese Funktionen am Computer schlicht und einfach nicht zeigen, wie sie analog umgesetzt werden können.

Eine interaktive Tafel sei auch nicht der entscheidende Faktor für guten Unterricht. Sie könne ihn zwar verbessern, doch hänge die Qualität immer noch vom Können der Lehrkraft ab.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2016/zim
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