In Berlin spielt die Musik:Würstchen mit "Herrn Oberländer"

Freisings Kreisräte erfahren bei einer Informationsfahrt viel über die Stimmungslage in der Hauptstadt und was ihr Abgeordneter im Bundestag so treibt

Peter Becker

Ich fühl mich gut. Ich steh auf Berlin!" So lautet der Refrain eines Hits der Band Ideal, die Anfang der 1980er Jahr das Lebensgefühl in der damaligen Mauerstadt beschrieb. Er könnte aber auch ganz gut für das Stimmungsbild unter den etwa 80 Kreisräten und Bürgermeistern stehen, die an der Informationsfahrt des Kreistags in die Bundeshauptstadt teilnahmen. Sie überzeugten sich davon, dass "in Berlin die Musik spielt", wie es Jürgen Thiel von der Bayerischen Vertretung formulierte. Anita Fußeder von der Pressestelle des Landratsamts hatte von der nächtlichen Fahrt auf der Spree bis zur Besichtigung der Baustelle des Schönefelder Flughafens ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt, das die Berlin-Fahrer ordentlich in Trab hielt. Nach acht Stunden Busfahrt blieb am Donnerstagabend nur kurz Zeit zum Einchecken ins Hotel, dann ging's schon los zur Fahrt auf der Spree. Museumsinsel, Reichstagsgebäude, Bundeskanzleramt und andere Sehenswürdigkeiten zogen zu Suppe, Hauptgang und Nachspeise an den Augen der Betrachter vorbei. Politisch-kulinarisch startete der Freitagmorgen in der Bayerischen Vertretung auf der Behrenstraße. Beflissen stand Franz Obermeier an der Glastür des ehemaligen Bankgebäudes und begrüßte die Besucher aus dem heimatlichen Landkreis per Handschlag. Die offizielle Begrüßung übernahm Jürgen Thiel, Beschäftigter im Inneren Dienst der Institution mit dem Habitus eines Majordomus eines fürstlichen Hofes. Sicherlich keiner einzigen Silbe des Bayerischen mächtig, erläuterte er die Geschichte des Gebäudes im ehemaligen Berliner Bankenviertels. Zu DDR-Zeiten war dort die Deutsche Handelsbank untergebracht. Im ehemaligen Tresorraum des Geldinstituts befindet sich der legendäre Bierkeller. 40 000 Gäste empfängt und bewirtetet die bayerische Niederlassung laut Thiel im Jahr. Am Abend zuvor war erst der Verband der bayerischen Seilbahn- und Schleppliftbetreiber zugegen. Und jetzt die Freisinger Delegation. "Jetzt übergebe ich an den Herrn Oberländer", sagte Thiel in Richtung des irritiert dreinblickenden Franz Obermeier. Da halfen auch alle berichtigenden Zurufe seitens der Freisinger Kreisräte und Bürgermeister nichts: Thiel hatte seinen eigenen Kopf und bezeichnete Franz Obermeier weiterhin beharrlich als "Herr Oberländer" und wünschte im Übrigen guten Appetit beim Verzehr der "Würstchen". Gemeint waren die servierten Weißwürste. Einstweilen hatte Landrat Michael Schwaiger das Wappen des Freisinger Landkreises entdeckt. "Ich hab nur zehn Minuten Zeit", hatte Obermeier schon beim Empfang seiner Gäste bekundet. Er erklärte, warum es ihm so pressierte. Zunächst zeichnete er ein düsteres Bild im Zeichen der Euro-Krise. "Die Zeiten können kritischer nicht sein", sagte er. "Wir stehen extrem unter Spannung, alle miteinander", beschrieb er die Stimmungslage in der Hauptstadt. Weil Obermeier zur Rettung des Euros, so gerne er auch möchte, wenig beitragen kann, wirft er sich andernorts in die Bresche. "Ich muss weg", sagte er. Er brach auf zu einer Gesprächsrunde, in der es wieder einmal um die von der Europäischen Kommission geforderte Liberalisierung der Bodenverkehrsdienste gehe. "Wir haben kein Interesse an Lohndumping an Flughäfen", betonte Obermeier. Hintergrund ist, dass die Dienstleistungen an Flughäfen neu vergeben werden. Diese könnten dann zu diesem Zweck keine eigenen Gesellschaften mehr unterhalten, sondern müssten Billiganbietern das Feld überlassen. "Die Bundesregierung hat keine Position zu dieser Frage", erklärte Obermeier. Deshalb nehme er an einer Gesprächsrunde teil, "um die Leute einzuschwören". Der Bundestagsabgeordnete betonte: "Ich bin ein Kämpfer für die Bodenverkehrsdienste." Obermeier forderte einen Mindestlohn für diese Branche. "Nicht 7,50 sondern 10 Euro!" Dann sei das leidige Thema vom Tisch. Als Obermeier davongeeilt war, erschien Thiel wieder auf der Bühne. Er hatte die Frage von Landrat Schwaiger geklärt, ob auch Interessenvertreter der Landkreise oder Kommunen öfters in der Bayerischen Vertretung zu Besuch seien. Das sei weniger der Fall, beschied Thiel. Nach der politischen Runde ging's wieder in den Bus, in dem inzwischen eine Fremdenführerin angeheuert hatte. Kreuz und quer fuhr der Fahrer scheinbar durch die Stadt, im wesentlichen aber immer um die neue Mitte herum. Die Stadtführerin erzählte von den Gepflogenheiten am preußischen Hofstaat. Da war es mit Hygiene nicht weit her. Selbst die Adligen scheuten den Kontakt mit Wasser zu Reinigungszwecken, weil sie Angst hatten, dieses könnte ansteckende Krankheiten wie Pest und Syphilis übertragen. Stattdessen überschütteten sie sich mit teuren Parfüms. Als die Stadtführerin verkündete, in den bayerischen Schlössern sei es damals nicht anders gewesen, sie seien ebenfalls nicht mit Bädern ausgestattet gewesen, protestierte das Ehepaar Sahlmüller. "Das wissen wir aber anders." Die Stadtführerin beschrieb auch den trockenen Berliner Humor und die Respektlosigkeit der Obrigkeit gegenüber. Als der Bus den Sitz des Bundestagspräsidenten passierte, berichtete sie über ein eklatantes Beispiel. "Ist der Lappen drauf, ist der Lump drunter", zitierte sie. Will heißen: Weht die deutsche Fahne auf dem Dach, ist der Bundespräsident im Haus. Nach kurzer Verschnaufpause stand der Besuch im Reichstagsgebäude an. Langwierigen Sicherheitskontrollen folgte eine lange Wartezeit, bevor Reinhard Steinhausen vom Besucherdienst erschien und die Landkreis-Delegation in den Plenarsaal führte. Steinhausen erläuterte die Sitzordnung und die Gepflogenheiten im Haus. Für Murren sorgte, dass es viele Abgeordnete mit der Anwesenheitspflicht offenbar nicht so genau nehmen und Gebrauch von zahlreichen Möglichkeiten von Entschuldigungen machen. Da ist dann der "Einpeitscher" einer jeweiligen Fraktion gefragt. Er muss den Überblick über seine Abgeordneten behalten und eventuell Kontakt zu anderen Parteivertretern herstellen. Die müssen dann bei Abstimmungen eigene Leute aus dem Plenum schicken, damit der Parteienproporz erhalten bleibt. Steinhausen zeigte auf die beiden Digitaltafeln im Hintergrund des Plenarsaals. Leuchte dort ein "F" auf, dann sei das der Hinweis, dass eine Fernsehübertragung laufe. Das sei für die Abgeordneten das Signal damit aufzuhören, "in ihrer Gesichtsmitte mit dem Finger allzu offensichtlich nach Problemlösungen zu bohren". Als Gemütsmensch zeigte sich Kreisrat Georg Sellmair. Er empfindet die Streitereien zwischen den Abgeordneten, wie sie oft bei Fernsehübertragungen gezeigt werden, als Zumutung. Ob man diese nicht unterbinden könne, wollte er von Steinhausen wissen. "Jeder Fernseher hat einen Knopf", sagte dieser trocken. Meinungsverschiedenheiten ließen sich halt nicht durch Fingerhakeln lösen. "Streiten gehört zur Demokratie dazu", belehrte er Sellmair. Der Tross zog dann weiter zu einem Besprechungszimmer, in dem auch bald der Kämpfer für die Bodenverkehrsdienste, Franz Obermeier, erschien. Er sagte, dass jedes Jahr 3000 Besucher aus dem Wahlkreis bei ihm erscheinen. Davon seien 2000 Schüler aus den weiterführenden Schulen der Landkreise Freising und Pfaffenhofen. Er wünschte es könnten mehr sein. Dies lässt aber der Etat nicht zu. "Für Vereine bleibt da nichts über", sagte er auf Nachfrage. Anschließend berichtete der Herr "Oberländer", wie er von allen nur noch genannt wird, gestenreich und mit hochgezogenen Augenbrauen über seine rastlosen Wochen in Berlin. Er erzählte von Themen, die unabhängig von Krisen immer komplexer werden. Schuld daran sei die Globalisierung, die die Welt in unvorhersehbarer Art und Weise getroffen habe. Deshalb tue man sich mit der Problemlösung so schwer. Die globalen Zusammenhänge zu verstehen und zu erfassen, wie sie sich auf den eigenen Landkreis auswirkten, sei schwer. "Da hilft es ja nicht, in den Gesetzestext zu schauen, was das für den eigenen Wahlkreis bedeutet", stellte er klar. Ihm als Abgeordneten bliebe da nichts anderes übrig, als nur noch "bestimmte Sektoren" zu bearbeiten. Dann sagte er Worte, die Sellmair verdrießen mussten: "Es gibt ständig was zum Streiten, Tag und Nacht." Obermeier berichtet dann noch über einen Besuch in Griechenland bei Papandreou, in dem es um U-Boote ging. Mit dem französischen Regierungschef Sarkozy scheint er auf gutem Fuß zu stehen, denn er nennt ihn ganz lässig "den Sarko". Obermeier outet sich auch als Gegner der PKW-Maut und hat das ganz deutlich dem Verkehrsminister Peter Ramsauer klargemacht: "Erst neulich, als er nicht da war." Eine gute Stunde des Parlierens mochte vorbei gewesen sein, als Obermeier sagte, er könne jetzt noch stundenlang einen Vortrag über die EU halten. Da erhob sich aufgeregtes Gemurmel im Saal. "Das muss wirklich nicht sein." Andere applaudierten Obermeier einfach zu dem Monolog, den er bislang gehalten hatte. Samstagvormittag durfte die zweite Gruppe, die am Abend zuvor "frei" hatte, ins Kanzleramt. Natürlich wiederum nach weiteren schweren Sicherheitskontrollen. Beim Rundgang durch das Zuhause von Angela Merkel glänzte "Guide" Matthias Hopp mit staubtrockenem Humor. Zu jedem Raum wusste er eine Geschichte. Etwa über den Teppich des Bankettsaals, der Wellen warf, die man mit Blumenkübeln notdürftig kaschierte. Über den offenen Flur mit Glasfassaden, der sich über alle acht Etagen erstreckt. "Der Architekt hat garantiert, dass es dort nicht wärmer als 25 Grad wird", sagte Hopp und fügte lakonisch hinzu. "An heißen Tagen herrschen im oberen Stockwerk konstant 36 Grad." Das habe immerhin den Vorteil, im Gebäude seltene einheimische Bäume pflanzen zu können. "Hier sehen Sie eine kalifornische Olive", sagte der Guide und deutete auf einen Baum. Hinunter ging es unter anderem über "eine arthrosefreundliche Treppe". Die Besuchergruppe verließ beeindruckt das Kanzleramt - bis auf Rudelzhausens Bürgermeister Konrad Schickaneder. Der hatte eine Toilette aufgesucht. Nach dem Geschmack der Sicherheitskräfte hielt er sich verdächtig lang auf dem stillen Örtchen auf. Die Polizeikräfte störten dessen Beschaulichkeit und eskortierten Schickaneder nach draußen. Als letzte Station stand der neue Berliner Flughafen - offiziell Berlin-Brandenburg International Willy Brandt - auf dem Programm. Ein Blick aus dem Bus lehrt, dass dieser wesentlich besser an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen ist als der vor der eigenen Haustür im Erdinger Moos. Hinauf geht's auf einen 47 Meter hohen Aussichtsturm, von dem es einen Überblick auf das Gelände mit den zwei Startbahnen gibt. Bis zu 50 Millionen Passagiere sollen hier dereinst im Jahr abgefertigt werden. "In der Eingangshalle sind 100 000 Tonnen Stahl verbaut - mehr als am Eiffelturm", verrät die sichtlich stolze Reiseführerin. Zwar sollte am Sonntagmorgen eine Demonstration von Menschen stattfinden, die künftig von Fluglärm betroffen sind. "Doch das sind 200 000 Personen weniger als aktuell", verrät die Frau. Doch insgesamt überwiegt wohl in der Berliner Bevölkerung die Zustimmung für das 2,4 Milliarden-Euro-Projekt, mit dem sich die Bundeshauptstadt schmückt. Zwei Ortschaften mussten dem neuen Flughafen weichen. Die Bewohner sind abgesiedelt. Nach Königswusterhausen, da wo schon einst Theodor Fontane auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg wandelte. Aus dieser Zeit scheinen, abgesehen von ein paar Bauten im typischen DDR-Stil, die meisten Häuser des Weilers Selchow zu bestehen. Dort wohnen, künftig eingepfercht zwischen den beiden Startbahnen, etwa 100 Menschen und 400 Pferde. Gefragt, ob sie abgesiedelt werden wollen, entschieden sich die Leute fürs Ausharren, Lärmschutzfenster und eine Entschädigung. Beeindruckt vom Mammutprojekt wechselte die Landkreis-Delegation wieder in die eigenen Reisebusse und brach gen Freising auf. Nach einer Einkehr in einem Wirtshaus bei Bayreuth kamen die Ausflügler wieder wohlbehalten vor dem Landratsamt an.

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