"Ich habe alles verdrängt":Internetbekanntschaft mit fatalen Folgen

53-jährige Freisingerin überweist Betrüger 130 000 Euro. Das Geld hat sie bis heute nicht wiedergesehen

Von Alexander Kappen, Landshut/Freising

So richtig erklären konnte sie das Ganze nicht. "Das ist skurril, ich weiß", sagte die 53-jährige Freisingerin: "Ich habe alles verdrängt und mir eine Welt zusammenfantasiert." Und so kam es, dass sie trotz intensiver und frühzeitiger Warnungen einer Freundin auf eine international agierende Betrügerbande hereinfiel. Sie überwies einem angeblichen Bauingenieur aus Australien, den sie über ein Partnerschaftsportal im Internet kennengelernt, aber noch nie persönlich gesehen hatte, im Sommer 2017 insgesamt 130 000 Euro. Das Geld hat sie bis heute nicht wiedergesehen.

Seit Juli muss sich dafür ein 24-jähriger Mann, der zuletzt in München gelebt hatte, vor dem Landshuter Landgericht verantworten. Der gebürtige Nigerianer, der über ein Fake-Profil samt falschen Fotos mit der Freisingerin gechattet und telefoniert haben soll, streitet bislang alles ab. Am zweiten Verhandlungstag am Dienstag kamen Zweifel daran auf, ob er es tatsächlich er war, der mit der Geschädigten telefoniert hatte. Diese war sich, als sie seine Stimme im Gerichtssaal hörte, relativ sicher, dass er es nicht war. Weitere Aufschlüsse soll nun eine Sprachaufnahme bringen, welche die 53-Jährige auf ihrem Laptop gespeichert hat und der Polizei zur Auswertung übergeben soll. Auf den Angeklagten waren die Ermittler durch die Handy-Sim-Karte gekommen, die bei den betrügerischen Chats und Telefonaten verwendet worden ist. Sie wurde in der Wohnung des 24-Jährigen sichergestellt. Es sei nun wichtig, über besagte Aufnahme herauszufinden, ob sein Mandant "selber telefoniert oder die Sim-Karte vielleicht jemand anderem überlassen hat, der sie verwendet hat", sagte der Verteidiger.

Wie bereits am ersten Verhandlungstag festgestellt worden ist, hatte die auch als "Nigeria-Connection" bezeichnete Betrügerbande offenbar junge Afrikaner angeworben, die über falsche Internetprofile auf Partnerbörsen Frauen ausnehmen sollten. In einem anderen Verfahren ist in dieser Sache am Montag bereits ein geständiger Angeklagter zur einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden.

In dem Prozess gegen den 24-Jährigen sagte zunächst eine 40-Jährige aus Filderstadt aus, die auf ihrem Handy von der beim Angeklagten sichergestellten Sim-Karte aus kontaktiert worden war, aber kein Geld überwiesen hatte. Eine 43-Jährige aus Wadgassen, die ebenfalls als Zeugin gehört wurde, fiel dagegen wie die Freisingerin auf das falsche Internetprofil herein und überwies knapp 11 000 Euro.

Die Freisingerin wurde über besagtes Fake-Profil auf der Internetplattform neu.de kontaktiert. Auf dem Profilbild war ein Weißer, um die 50 Jahre alt, zu sehen. Er gab sich als ein gewisser "Bill Turner" aus. "Wir haben geschrieben und relativ schnell telefoniert", erzählte die 53-Jährige dem Gericht unter Vorsitz von Ralph Reiter. Auf Englisch habe man sich "intensiv unterhalten, auch über Kultur, ich habe gemeint, dass man was mit dem anfangen kann, weil er was in der Birne hat". Ihre Bekanntschaft gab vor, weltweit Projekte für Ölfirmen abzuwickeln. Dann teilte er mit, beruflich in die Türkei zu müssen - von wo er sich dann meldete und angab, dass sein Konto gehackt worden sei. Er bat die Frau wiederholt um Geld - und die überwies in mehreren Raten rund 130 000 Euro. Das Geld lieh sie sich von ihrem Ex-Mann, ihren Eltern, ihren Kindern und zu guter Letzt auch von der Freundin, die sie zuvor vor dem "Trickbetrüger", wie sie sagte, gewarnt hatte. Die 53-Jährige sagte ihnen über die Verwendung des Geldes nicht die Wahrheit: "Ich habe sie alle angelogen."

Als ihre Internetbekanntschaft immer mehr Geld forderte, vertraute sie sich schließlich besagter Freundin an und ging zur Polizei. In Abstimmung mit dieser hielt sie Kontakt zu dem Betrüger, um so bei den Ermittlungen zu helfen. Am 3. September wurde der Angeklagte festgenommen - und dennoch bekam sie weiter Nachrichten von seinem Handy. Der Prozess wird fortgesetzt.

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