Süddeutsche Zeitung

Hunde spüren Vermisste und Verschüttete auf:Immer der Nase nach

Mehrmals in der Woche trainieren die Mitglieder der Rettungshundestaffel Isar mit ihren Vierbeinern für den Ernstfall. Der Verein hat jedoch ein großes Problem: Er hat kein eigenes Trainingsgelände mehr.

Von Laura Dahmer, Freising

Nur einen kurzen Moment schnüffelt Spike an dem Taschentuch, das ihm Hundeführerin Andrea unter die Nase hält. Dann läuft der Große Schweizer Sennenhund los, in eine Einfahrt. Bleibt stehen, schnüffelt. "Auf geht's", ruft Andrea ihrem Hund zu, die ihn an einer langen Leine führt und seinen Schritten folgt. Spike legt den Kopf schief und läuft in eine andere Richtung weiter, die Nase auf dem Boden, immer der Fährte nach. Spike ist Personensuchhund der Rettungshundestaffel Isar. Er ist auf der Suche nach Hannah, die sich auf dem Parkplatz einer Wohnsiedlung versteckt. Denn Spike ist nicht im Einsatz, er trainiert für den Ernstfall.

Die ehrenamtliche Rettungshundestaffel trifft sich mehrmals die Woche, um ihre Hunde darauf vorzubereiten. An dem kalten, windigen Dezemberabend sind die Mantrailer an der Reihe, die Personensuchhunde. Ihre Aufgabe ist es, den Weg der verschwundenen Person aufzuspüren - und sie am Ende hoffentlich zu finden. Bevor Spike sich aber auf die Suche nach der "vermissten" Hannah machen kann, muss diese zuerst eine Fährte legen. Ausbilderin Ella Hufnagel hat davor einen Ort ausgesucht, an dem sich Hannah verstecken soll. Mit Google Maps manövriert sie durch die Wohnsiedlung, es geht über dunkle Seitenwege und eine Wiese, über die ein kalter Wind bläst. Der wird dem Hund nachher die Arbeit erschweren.

"Mit jedem Schritt, den du machst, hinterlässt du deinen Geruch. Unser Körper regeneriert sich permanent, dabei hinterlassen wir Schuppen. Diese Schuppen, man kann sich das vorstellen wie Fitzelchen von Laub, werden bei jedem Luftstoß mitgenommen", erklärt Hufnagel. Sie zeigt auf einen Weg, der von der Wiese herunterführt. "Wir nehmen jetzt noch diesen Trampelpfad, der quer rübergeht, und dann ist es, glaub ich, gut." Der Ausflug endet auf dem Parkplatz. "Hannah, hier darfst du dich gerne bewegen, wir gehen wieder. Bis gleich!" Dann geht es zurück zu den anderen, um Spike an den Start zu bringen. Die Hundeführer, das sind Ehrenamtliche, ihre Tiere Privathunde. Irgendwann haben sie alle sich entschlossen, ihren Vierbeiner auszubilden - zum Mantrailer oder Trümmer- und Flächensuchhund, dem anderen Teil der Rettungshundestaffel. "Der Unterschied: Mantrailer suchen nach dem individuellen Geruch einer Person, Trümmerhunde nach jedem menschlichen Geruch", erklärt Hufnagel, die für die Ausbildung der Mantrailer verantwortlich ist. Die Trümmerhunde werden zum Beispiel in eingestürzten Gebäuden eingesetzt, um nach Überlebenden zu suchen. Jetzt aber soll Hannah gefunden werden.

Spike bekommt sein Geschirr angezogen, das in einer meterlangen Leine endet. Von dem Moment an weiß er: Jetzt bin ich im Einsatz. Auch sein Körper beginnt zu arbeiten. Und der läuft bei der Personensuche auf Hochtouren: Bis zu 300 Mal pro Minute atmen die Hunde ein und aus, "teilweise kriegen sie sogar Fieber", so Andreas Inioutis, Vorsitzender der Rettungshundestaffel Isar. "Aber es macht ihnen Spaß, sie wollen arbeiten. Meine Hunde springen sofort in die Box, wenn sie merken, es geht zum Training."

Auch Spike wirkt motiviert, trotzdem läuft er ganz ruhig los, Hannahs Fährte nach. Trainiert werden die Hunde drei Jahre lang, müssen dann noch eine Prüfung bestehen, bevor sie einsatzfähig sind. Dazu gehört auch, dass sie "umweltsouverän" werden, wie Hufnagel es nennt. "Die müssen Busse können, die müssen S-Bahn können, die dürfen sich nicht von schreienden Kindern oder so was ablenken lassen." Das Suchteam trifft sich immer an verschiedenen Orten. "Mal in Erding an der S-Bahn-Station, mal in Freising im Wald. So lernt der Hund alles kennen. Er muss auch differenzieren lernen. Zum Beispiel, wenn wir nach einer dementen Person suchen, die zuletzt vor dem Seniorenheim gesehen wurde. Die geht da täglich ein und aus, jedes Mal hinterlässt sie Geruch. Der Hund muss irgendwann differenzieren können: Die ist vier Mal weggegangen und nur drei Mal zurückgekommen. Die vierte Spur, die führt weg und kommt nicht mehr wieder."

Durch diese Umstände sind die Mantrailer nicht unbedingt auf ein eigenes Trainingsgelände angewiesen. Die Trümmer- und Flächenhundestaffel hingegen schon, auch die anderen Aktivitäten des Vereins. Hier gibt es ein großes Problem: Vor zwei Jahren verlor der Verein den Übungsplatz, trotz großer Anstrengungen haben sie bisher keinen neuen. "Dabei hapert es nicht an Geländen", weiß Vorsitzender Inioutis. "Aber: So ein Gelände muss gesetzlich einige Vorgaben erfüllen." Wegen des Lärms müsse es zum Beispiel im Außenbereich liegen. "Hierfür gibt es den schönen Paragrafen 35 im Baugesetz und der besagt: Im Außenbereich musst du privilegiert sein. Wer ist privilegiert? Der Landwirt. Vielleicht die Polizei, eventuell die Feuerwehr." Die Rettungshundestaffel aber nicht. Mit einer Ausnahme sollte es aus Inioutis Sicht aber trotzdem gehen: "Wir suchen eine Gemeinde oder einen Landkreis, der sagt: Ja, wir wollen euch unterstützen. Klar, die müssen gesetzlich eine Lücke finden. Aber ich bin der Meinung, das kann gehen."

Mittlerweile ist das Team am Parkplatz angekommen. Der vorher noch so ruhige Spike zieht jetzt schnell und zielstrebig auf die Autos zu. Auch die Schritte von Hundeführerin Andrea werden schneller, und dann meldet sich Hannah zu Wort: "Super, das hast du toll gemacht!" Sie stellt eine Tupperbox mit geschnittener Wurst direkt vor sich auf den Boden. Schon hat Spike kein Interesse mehr an der gefundenen Person und stürzt sich auf seine Belohnung. Training beendet.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019
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