Süddeutsche Zeitung

Corona-Alltag an den Schulen:Von Normalität meilenweit entfernt

Lehrer und eine Mutter berichten über ihre Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen Präsenz- und Fernunterricht.

Von Gudrun Regelein und Alexandra Vettori, Freising

Seit Februar sind die Grundschüler wieder in den Schulen, bei den restlichen Schultypen zumindest die Abschlussklassen. Der Rest sitzt daheim und lernt weiter per Fernunterricht. Das hat sich inzwischen einigermaßen eingespielt, dank des Engagements vieler Lehrer, Schulleiter und schulischer Systembetreuer. Die SZ sprach mit Vertretern von Schulen, die erfahrungsgemäß auch Problemgruppen betreuen, und mit einer Mutter über ihre Erfahrungen.

Marietta Hager, Leiterin der Neufahrner Mittelschule:

Die neunten Regelklassen, die neunten Klassen des M-Zuges und die zehnten Klassen, insgesamt etwa 80 Jugendliche sind an der Jo-Mihaly-Mittelschule derzeit vor Ort. Dazu kommen sieben Kinder aus der Notbetreuung der Fünften und Sechsten. Marietta Hager ist froh über den Präsenzunterricht der Abschlussklassen, "wir können glücklicherweise alle gleichzeitig da haben, mit Riesen-Abständen und Hygieneregeln". Der Distanzunterricht laufe "deutlich besser" als beim ersten Lockdown. Digital funktioniert das ab der siebten Klasse, die Kleineren holen sich Arbeitsaufträge an der Schule ab oder bekommen sie per Mail.

Marietta Hager ist voll des Lobs für ihr Kollegium. Die Lehrkräfte hätten viele Fortbildungen besucht und kommunizierten jetzt über Plattformen, "sie sind da enorm gereift. Wenn Probleme auftauchen, sind die in kürzester Zeit gelöst, irgendjemand weiß immer etwas", schwärmt Hager geradezu. Ohne die Leistungsbereitschaft der Lehrerschaft aber wäre das nicht machbar gewesen, "wir haben keine Anrechnungsstunden bekommen, zum Beispiel für das Schulen der Kinder für digitalen Unterricht oder das Einrichten der Leih-Laptops. Sie können sich nicht vorstellen was hier zurzeit zu bewerkstelligen ist". Immerhin besteht an ihrer Schule kein Mangel an Laptops. 120 Geräte hat die Gemeinde mit staatlichem Fördergeld angeschafft, "die sind noch nicht mal alle verteilt", so Hager. Der Grund: Viele Kinder sind nicht in der Lage, sie zu bedienen.

"Die können zwar mit dem Handy Filmchen anschauen und chatten, aber eine Datei herunter laden und bearbeiten, können sie nicht. Und die Eltern können es auch nicht oder sind in der Arbeit." Die Arbeit rund um die Laptops, vom Update an Schüler-Computern bis zu den Leihverträgen mit den Eltern erledigt die Schule - nebenbei. Es gebe sogar Schüler und Schülerinnen, die im Heimunterricht besser arbeiten, erzählt Schulleiterin Hager, "die sagen, sie werde da nicht abgelenkt und sie schätzen die Einzelgespräche mit dem Lehrer". Doch es gebe auch "Einzelfälle, die abtauchen", sprich, morgens einfach den Computer nicht anschalten. Erster Schritt sei, Eltern telefonisch zu erreichen, dann übernehme die Schulsozialarbeit und statte dem Schulverweigerer einem Besuch ab, zuletzt wird die Polizei eingeschaltet.

Ingrid Link, stellvertretende Leiterin im Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Freising:

Probleme mit dem digitale Fernunterricht gibt es auch an der Berufsschule, allerdings weniger bei den Berufsschülern. "Da ist viel gelaufen, wir haben sehr engagierte Lehrkräfte", erzählt sie. Weil der Praxisbezug doch groß sei, seien einige dazu übergegangen, sich selbst bei Tätigkeiten zu filmen. Und die Abschlussklassen, seien ja wie überall wieder im Präsenzunterricht.

Schwieriger ist es aber in den fünf Flüchtlingsklassen mit rund 100 jungen Geflüchteten. Sie haben, wo nötig, von der Schule zwar Leihgeräte bekommen, "oft gibt es in den Unterkünften aber kein W-Lan, und mobiles Datenvolumen über das Handy ist schnell aufgebraucht", sagt Link. Zum Teil hätten die Lehrkräfte das Material ausgefahren. Die zwei Abschlussklassen sind wieder an der Schule. Hier bereiten sich die jungen Leute auf den Mittelschulabschluss, die Quali-Prüfung oder ein Deutsch-Diplom vor.

"Den ersten Lockdown haben wir noch ganz gut gestemmt", berichtet eine Mutter aus Neustift, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Aber der zweite ging an die Substanz. Unsere Große ist acht und hat den Schulstoff Gott sei Dank schnell kapiert, aber die Motivation, irgend etwas für die Schule zu tun, war halt irgendwann weg. Täglich gab es deshalb längere Diskussionen, manchmal auch Streit. Die Erklär-Videos der Lehrerin kamen sehr gut an, aber diese Menge Stoff dann alleine einfach nur abzuarbeiten, ohne Klassengemeinschaft, ohne die Aussicht auf Ratschen mit Freundinnen in der Pause, war hart für sie. Zeitgleich musste natürlich die kleine dreijährige Schwester, die frei hatte, davon abgehalten werden, die Große von ihren Schulaufgaben abzulenken. Nicht leicht, wenn beide vor Energie überquellen und man selbst ganz nebenbei noch etwas im Haushalt tun sollte, ein Elternteil Homeoffice macht und der andere tageweise auch ins Büro fährt - aber die Jobs koordinieren müssen wir beim Wechselunterricht ja auch. Wir sind froh, dass unsere Tochter nun tageweise wieder in die Schule kann. Das gibt dem Alltag wieder etwas Struktur."

Thomas Dittmeyer, Rektor der Grund- und Mittelschule Zolling:

Gerade für die Erstklässler sei es "unglaublich wichtig" gewesen, nach vielen Wochen wieder an die Schule zurückkommen zu dürfen. "Immer noch ist es jedoch so, dass wir im Unterricht selbst und auch beim Spielen der Kinder untereinander noch meilenweit von einem normalen Umgang miteinander entfernt sind", sagt Dittmeyer. Maske und Abstand stellten nach wie vor die wichtigsten Regeln im Schulalltag dar, eine emotionale Interaktion sei nur eingeschränkt möglich.

Bei den Übertrittsklassen sei zwar vom Kultusministerium die Zahl der Proben reduziert worden. Dennoch werde nach wie vor der Leistungsgedanke hochgehalten. "Die Kinder der vierten Klassen erleben jetzt schon das zweite schwierige Schuljahr in Folge." Die Zeit in der Schule sollte gefühlt aber nicht hauptsächlich für die Leistungserhebung genutzt werden, da der Übertritt drängt - sondern um sich mehr um die anderen Bedürfnisse der Kinder zu kümmern. "Schule ist ein Ort der sozialen Begegnung, des gemeinschaftlichen Lernens und Entdeckens - und auch ein Ort, um irgendwann zu Abschlüssen zu kommen." Die beiden ersten Punkte aber seien in den beiden vergangenen Schuljahren viel zu kurz gekommen.

Bei den Mittelschülern dagegen zeichne sich im Homeschooling ein unterschiedliches Bild ab. Viele von ihnen wurden schnell zu schulischen Digitalexperten. Schon im Herbst wurden Lern - und Kommunikationsplattform installiert. Dennoch komme man nicht gleich gut an alle heran, bei manchen mache man sich Sorgen. "Wir hoffen, dass bald wieder alle in die Schule kommen können."

Gabriele Potthast, Leiterin der Grundschule Marzling:

Das Homeschooling funktioniere mittlerweile problemlos, die Schule sei mit einem Kraftakt in nur wenigen Monaten digitalisiert worden, sagt sie. "Aber wir sind heilfroh, dass die Schüler wieder zurück sind." Sie selbst unterrichtet eine erste Klasse, auch da habe es mit dem Homeschooling "super geklappt". "Die Eltern haben ihre Kinder sehr unterstützt, die haben das prima hingekriegt." Bei keinem ihrer Schüler gebe es ein Leistungsdefizit - einige könnten dank des elterlichen Engagements sogar besser lesen als zuvor. Dennoch sei der Präsenzunterricht gerade bei den Jüngsten der bessere: "Alleine schon deshalb, weil man da anschaulicher und individueller erklären kann", sagt Potthast.

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Quelle:
SZ vom 06.03.2021/psc
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