Süddeutsche Zeitung

24 Jahre lang Bürgermeister in Hohenkammer:Johann Stegmair: "Ich habe mich schwer getan mit dem Aufhören"

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Johann Stegmair hat die Vernunft entscheiden lassen und auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Der Abschied ist jedoch nicht leicht, auch weil wegen besonderer Umstände erst im September ein Nachfolger gewählt werden kann.

Interview von Petra Schnirch, Hohenkammer

Johann Stegmair hat seinen letzten Arbeitstag im Rathaus hinter sich. 24 Jahre lang war er Bürgermeister in Hohenkammer. Anders als seine Kollegen, die aus dem Amt scheiden, hat der 61-Jährige vorerst aber keinen Nachfolger. Nach dem Tod des CSU-Kandidaten und aufgrund der Corona-Krise musste die Bürgermeisterwahl zwei Mal verschoben werden. Voraussichtlich wird sie nun am 13. September nachgeholt. Die SZ Freising sprach mit Stegmair über diese besondere Situation sowie über seine Bilanz der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte.

SZ: Mit welchen Gefühlen gehen Sie angesichts der Tatsache in Ruhestand, dass es erst einmal keinen neuen Bürgermeister in Hohenkammer geben wird?

Stegmair: Das habe ich mir natürlich anders vorgestellt. Ich wollte ein gut bestelltes Haus ordnungsgemäß übergeben. Im Vorfeld haben wir zumindest alles Menschenmögliche für einen reibungslosen Übergang gemacht. Die Haushaltsplanung ist im Januar verabschiedet worden. Alle Aufträge sind erteilt. In der nächsten Gemeinderatssitzung ist geplant, einen Zweiten und diesmal auch einen Dritten Bürgermeister zu installieren, ganz bewusst für diese Zeit. Und Hohenkammer hat mit Marco Unruh einen erfahrenen Geschäftsleiter, der das Haus sehr gut kennt.

Trotzdem dürfte es für einen Zweiten Bürgermeister in den kommenden Monaten schwierig werden, weil er ja nur nebenberuflich tätig ist.

Das ist sicher so. Auch im Rathaus wird nicht nur der Chef abgehen, sondern ein Sachbearbeiter. Es ist ja nicht so, dass ich nur delegiert hätte. Ich habe Notarverträge abwickelt, Verhandlungen geführt, war für das Baustellenmanagement und den ganzen Bereich Kläranlage zuständig.

War es nicht möglich, für einige Monate weiterzumachen?

Natürlich wäre es mir lieber gewesen, ich hätte es noch die paar Monate weitermachen können, bis ein neuer Bürgermeister gewählt wird. Aber die rechtlichen Gegebenheiten sind eben so. Dem steht wohl das Grundgesetz entgegen. In Deutschland ist alles geregelt. Man kann zwar Grundrechte reihenweise aushebeln, wenn eine Pandemie ist ( lacht), aber man kann wohl einen Bürgermeister nicht zwei oder drei Monate weiterarbeiten lassen.

Stehen in diesem Jahr größere Projekte an?

Die Sachen sind weitestgehend auf den Weg gebracht. Es ist geplant, die Pfarrer-Egger-Straße zu sanieren, dann stehen, aufgeteilt auf drei Jahre, Kamerabefahrungen an, um zu kontrollieren, ob irgendwo ein Leck im Kanal ist. Ansonsten gibt es nur kleinere Anschaffungen und Untersuchungen.

Sie waren 24 Jahre lang Bürgermeister, auf was sind Sie besonders stolz?

Hohenkammer hat sich schon grundlegend verändert. Als ich das Amt übernommen habe, waren wir noch Mitglied in der Verwaltungsgemeinschaft Allershausen. Zum 1. Januar 1998 sind wir wieder eine selbständige Gemeinde geworden. Außerdem war Hohenkammer damals wirtschaftlich in einer sehr schwierigen Situation. Unter meinem Vorgänger wurde sehr viel gebaut, zum Beispiel die Grundschule und die Mehrzweckhalle, die Gemeinde ist kanalisiert worden. Dann wurde die Schlossbrauerei zugesperrt. Das war ein herber Schlag, sie war praktisch der einzige größere Arbeitgeber mit über 60 Arbeitsplätzen. Wir waren damals die am höchsten verschuldete Gemeinde im Landkreis. 1996 habe ich dem Gemeinderat schon in der ersten Sitzung gesagt, wir müssen uns auf völlig neue Beine stellen.

Wie ist das gelungen?

Wir haben etwa acht Hektar für ein Gewerbegebiet im Ortsteil Eglhausen erworben. Der große Vorteil war, dass die Gemeinde die Firmen ansiedeln konnte. Das war wirtschaftlich die Initialzündung.

Was ist Ihnen nicht geglückt?

Nicht gelöst ist der Bereich Ortsumfahrung. Wobei das in Hohenkammer aus der Bürgerschaft nicht mit der Vehemenz angeschoben wird wie in anderen Gemeinden, weil an der B 13 überwiegend Geschäfte oder öffentliche Einrichtungen sind, von denen kein unmittelbarer Druck kommt. In Spitzenzeiten, wenn 10 000 bis 14 000 Fahrzeuge am Tag durch Hohenkammer fahren, ist es aber schwierig, die Straßenseite zu wechseln. Auf der anderen Seite leben die Geschäfte natürlich zum Teil vom Verkehr. Auch nicht gelungen ist, dass bei Petershausen ein kleines Stück Radweg geschlossen wird. Das habe ich versucht, bei vier Amtskollegen durchzudrücken, aber das hatte wohl bei keinem die Priorität, die ich der Sache zugemessen habe.

Gibt es weitere offene Baustellen, zum Beispiel eine Arztpraxis?

Arzt haben wir leider keinen mehr. Ich habe da alle Kopfstände gemacht, die zu machen sind. Das große Problem war, dass der damalige Arzt die Zulassung zurückgegeben hat, als er aufgehört hat. Das war eine Hürde, die wir nie mehr vernünftig überwinden konnten. Dieser Sitz ist woanders hingewandert. Ich habe alles versucht, bis zur Ministerin Melanie Huml, die dann vor etwa zwei Jahren doch einen Arztsitz frei gemacht hätte. Das Problem ist, dass mittlerweile die Patienten weg sind. Letztlich ist es daran gescheitert, dass wir keinen Arzt installieren konnten. Das sind die Probleme kleinerer Gemeinden. Einem Supermarkt bin ich 20 Jahre lang nachgelaufen. Jetzt haben wir ihn und er wird sehr gut angenommen. Es war immer mein Bestreben, Hohenkammer so gut aufzustellen, dass man gut leben kann.

Fürchten Sie, dass die Corona-Krise auf die Gemeinde große Auswirkungen haben wird?

Ich gehe davon aus, dass wir eine Delle bekommen. Im Laufe des Jahres werden sich die Steuereinnahmen etwas nach unten korrigieren, aber wir werden dadurch nicht Schiffbruch erleiden. Wir haben auch gut vorgesorgt. Wir haben zweieinhalb Millionen Euro Rücklagen und viele Grundstücke, 18 Bauplätze, die genehmigt sind und verkauft werden können.

Hat das Miteinander im Gemeinderat gestimmt?

Ich habe immer eine Politik betrieben ohne jede Parteipolitik, da ist Hohenkammer gut gefahren. Es war ein gutes Zusammenarbeiten. Ein Bürgermeister sollte zusammenführen können, damit die Einheit Gemeinderat in eine Richtung marschiert. Wenn das ohne größere Reibungsverluste geht, sind die Erfolge deutlich besser, als wenn man sich im Klein-Klein schon viel Kraft raubt.

Was kommt für Sie jetzt nach der Zeit als Bürgermeister?

Danach kommt mehr Selbstbestimmtheit. Ich habe am Anfang gesagt, ich bin 24 Stunden am Tag für die Bürger da. Das haben manche sehr ernst genommen (lacht). Aber ich habe das Amt immer sehr gerne ausgefüllt. Das heißt auch: Es hatte immer Priorität, vor der Familie. Ich habe immer alles dem untergeordnet, was der Gemeinde am meisten dient.

Das klingt nach einer ganz schönen Belastung.

Ja, man braucht schon einen verständnisvollen Ehepartner, der das mitträgt. Ich kann verstehen, warum in der Politik viele Ehen auf Dauer nicht funktionieren. Ich ziehe mich jetzt nicht ganz aus der Politik zurück, ich bin wieder in den Kreistag gewählt worden, hier stehen noch wichtige Themen wie die Verkehrswende an. Also, ich habe zumindest nicht einen Ausstieg von hundert auf null, sondern vielleicht auf zwanzig.

Was haben Sie sich für die neu gewonnene Freizeit vorgenommen?

Als Erstes kommen mein Haus und mein Garten dran, die etwas gelitten haben. Da stehen einige Reparaturen an. Heuer ist das sehr passend, weil ich mein Hobby, das Reisen, deutlich zurückfahren muss, weil man nirgends hinfahren kann. Ansonsten gehe ich auch zum Jagen, zum Fischen. Ich habe keine Angst, dass mir langweilig wird. Aber ich muss sagen: Das Bürgermeisteramt war mein Beruf und mein Hobby. Ich habe mich sehr schwer getan mit dem Aufhören, das sage ich ganz ehrlich. Diese Sache habe ich nicht mit dem Herzen entschieden, sondern mit dem Kopf.

Warum?

Aus zwei Gründen. Zum einen wäre ich nach einer weiteren Amtszeit fast 68. Ich hatte vergangenes Jahr die ersten Eheschließungen, wo die Eltern schon bei mir geheiratet haben und jetzt die Kinder. Da hat man eine Generation durch. Politik ist ein Mandat auf Zeit, das muss man sich immer vor Augen führen. Ich wollte immer über hundert Prozent bringen und habe die Gefahr gesehen, dass man sich mit zunehmendem Alter fragen muss, ob man dem Amt und der Gemeinde damit einen Gefallen tut. Man schleift sich schon auch ab. Ich habe es mit Herzblut gemacht, aber ich wollte auf der Höhe aufhören. Ich bin jeden Tag gerne in die Arbeit gegangen, das ist ein großes Glück, wenn man das sagen kann. Das Schönste an dem Amt ist die Nähe zu den Bürgern und dass man vielen helfen kann, ohne es an die große Glocke zu hängen.

Aber man muss doch auch viel Ärger wegstecken können.

Wer mit Ärger nicht umgehen kann, passt nicht in die Politik. Was mich geärgert hat, ist, dass zum Teil meine Familie reingezogen worden ist.

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Quelle:
SZ vom 04.05.2020
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