Hof in Lageltshausen:"Kühe sind zärtliche Mütter"

Auf seinem Hof in Lageltshausen kreuzt Bauer Lorenz Kratzer französisches Limousinrind mit bayerischem Fleckvieh.

Alexandra Vettori

Der König auf dem Kratzerhof in Lageltshausen bei Freising heißt Leo. Majestätisch schreitet er durch sein Reich, das im Winter aus einem riesigen Offenstall besteht. Hier lebt Leo mit 35 Mutterkühen und an die 20 Kälbchen. Leo ist ein Brackel von Stier und praktiziert hier etwas, was es in der modernen Landwirtschaft nicht mehr so oft gibt: den Natursprung.

Hof in Lageltshausen: Barbara und Lorenz Kratzer auf ihrem Hof in Lageltshausen.

Barbara und Lorenz Kratzer auf ihrem Hof in Lageltshausen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Das heißt, Leo besamt der Reihe nach, immer dann, wenn eine der Kuhdamen rindert, also empfängnisbereit ist. Wer nicht rindert, wird in Ruhe gelassen, so einfach ist das bei Kühen. An diesem Tag aber ist eine kurz davor, Leo pflügt zielsicher hinter ihr her. Grob wirkt sein Werben nicht, erstaunlich für ein so massiges, hunderte Kilogramm schweres Fleischpaket. Liegt vielleicht an der Nationalität: Leo ist ein Limousinrind, eine französische Fleischrasse, die Bauer Lorenz Kratzer hier in Lageltshausen mit bayerischem Fleckvieh kreuzt.

1996 hat er mit seiner Frau Barbara den Hof auf Biowirtschaft umgestellt. Damals musste er sich entscheiden: "Mit 24 Milchkühen hätten wir nicht mehr überleben können, also brauchten wir einen neuen Stall und mehr Vieh. Wir wollten aber keine Schulden", erzählt er. Als Biobetrieb ist er auf Mutterkühe und Direktvermarktung gekommen. Nur Bio hat ihm nicht gereicht. "Man kann auch im Ökolandbau recht intensiv wirtschaften, aber wir wollten es extensiv. Es war die Einsicht und die Erfahrung, wir kannten ja beide Seiten", erinnert er sich.

80 Hektar Land hat er, auf 50 Hektar weiden die Kühe, auf 30 Hektar wächst das Winterfutter. Extensiv wirtschaften heißt, die Kühe bekommen weder Getreide noch Kraftfutter. "Getreide", sagt Kratzer, "ist für Menschen. Kühe brauchen das nicht, wenn man sie nicht auf Hochleistung trimmt." Und weil die Rinder nur ungedüngtes und ungespritztes Gras und Kleesilage aus nächster Nähe fressen, stimmt auch die Klimabilanz. "Das Rind generell als Klimakiller hinzustellen, ist nicht richtig, es kommt darauf an, was es frisst", sagt Kratzer.

Neben dem Mutterkuhstall stehen zwei Hallen mit Jungrindern. Die Sonne scheint an diesem Nachmittag in den Stall, die Tore stehen weit auf. Knietief flätzt sich die Jugend auf 300 Quadratmeter Freilauf im Stroh. "Wir brauchen fast nie einen Tierarzt, im Gegensatz zu früher. A und O sind genügend Platz und Bewegung, wie beim Menschen", sagt Kratzer. Sobald das Wetter es zulässt, kommen alle raus, vom Kälbchen bis zu Leo. Kratzer hat sich die Kreuzung aus Limousinrind und Fleckvieh selbst ausgedacht. Weil Fleckvieh viel Milch gibt, bekommen die Kälbchen zehn Monate nur Muttermilch.

Fleischkühe geben weniger Milch, doch ist ja nur Leo Fleischrind und der hat anderes zu tun. Die Kälbchen sind in der glücklichen Lage, nicht nur zehn Monate lang bei Mama zu säugen, sondern auch in der Herde zu leben. Keine gewaltsame Entwöhnung gleich nach der Geburt, kein Plastikiglu, kein Milchaustauschgetränk. "Das Sozialverhalten gehört zur artgerechten Haltung. Selbst kann man die Zuwendung dem Kalb nicht geben, Kühe sind zärtliche Mütter" hat Kratzer beobachtet. Er weist auf den Stall: "Hier sind 35 Kühe drin, konventionell sind es auf gleicher Fläche 150 in Anbindehaltung."

Mit zehn Monaten ziehen die Rinder in den Jugendstall, oder auf die entsprechende Weide. Geschlachtet werden sie zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Das ist spät, doch wegen der Grasnahrung legen sie langsam zu. Dem Fleisch tut das gut, der Wassergehalt ist gering. Sein Schlachtvieh fährt Bauer Kratzer dann zu seinem Landmetzger in der Nähe, nicht zum Schlachthof nach München. Das ist ihm nicht nur ein moralisches Bedürfnis, sondern auch Teil seiner Qualitätsstrategie: "Wenn man sich schon die Mühe macht, das Fleisch so zu erzeugen, soll auch die Schlachtung möglichst passen, der pH-Wert ist geringer und es gibt kaum Stresshormone."

Die Kunden honorieren all das, seien es die privaten Abholer, für die eine Mindestabnahmemenge von zehn Kilo Mischfleisch gilt, seien es die Großküchen, die er beliefert: Das Palottinerheim und das Kardinal-Döpfner-Haus in Freising oder das Kinderkrankenhaus Landshut und eine Edelkantine in München. Seit zehn Jahren sind ihm seine Großkunden treu, das macht Kratzer stolz. Er hat die Küchenchefs vorher auf den Hof eingeladen und die Philosophie erklärt. Es war auch für die Großgastronomen ein Umdenken, konnten sie doch nicht mehr 200 Stück Lende auf einen Schlag verbrutzeln, sondern eben zwei halbe Rinder. Die Küchenchefs empfanden das als Herausforderung, Geschmack und Lebensgefühl machten die Mehrarbeit wett. "Wir sitzen alle in einem Boot" , sagt Kratzer, "wir alle haben die Verantwortung dafür, wie unsere Umwelt aussieht."

Leo stupst seine Auserwählte derweil aufmunternd, hinter den beiden scharwenzelt eine Horde Kälbchen. Sie bespringen sich gegenseitig, Sozialverhalten hat viele Facetten.

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