Neues von der Hochschule Weihenstephan-TriesdorfSchutz gegen die Wassermassen

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Sandsäcke vor der Haustür helfen nur wenig gegen das Eindringen von Wasser. Aber der Einbau von teuren Schutzvorrichtungen ist auch nicht immer die beste Lösung.
Sandsäcke vor der Haustür helfen nur wenig gegen das Eindringen von Wasser. Aber der Einbau von teuren Schutzvorrichtungen ist auch nicht immer die beste Lösung. (Foto: Marco Einfeldt)

Forscher haben ein neues Beratungstool entwickelt, das Kommunen dabei unterstützen soll, geeignete Vorkehrungen gegen Überflutungsschäden bei Starkregenereignissen zu erkennen und umzusetzen.

Von Petra Schnirch, Freising

Die Starkregenereignisse im Juni und Juli haben gezeigt, wie verheerend deren Folgen innerhalb kürzester Zeit sein können. Selbst Hochwasser erprobte Ortschaften sind in bisher nicht gekanntem Ausmaß von den Wassermassen überrascht worden. Helfen könnte den Kommunen künftig ein neues Beratungstool, das dazu beitragen soll, Überflutungsschäden zu vermeiden. Es unterstützt Kommunen dabei, geeignete Vorkehrungen zu identifizieren und steht ihnen bereits kostenlos zur Verfügung. Die Ersten nutzen es schon. Daran mitgewirkt hat auch Clemens Thielen von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT).

"Akut" heißt das Verbundprojekt - die Abkürzung steht für: Anreizsysteme für die kommunale Überflutungsvorsorge. Beteiligt waren Forscherinnen und Forscher der HSWT und der Hochschule Mainz sowie Partner aus der Praxis. Das Tool arbeitet mit standardisierten Datenformaten, Kommunen können es deshalb an ihre bestehenden Softwarelösungen anbinden. Es sei nach kurzer Einarbeitung einfach zu bedienen, auch ohne IT-Spezialkenntnisse, sagt Thielen. Ziel ist es, alle Akteure zusammenzubringen, Konflikte zu überwinden und effiziente Gesamtlösungen zu finden.

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"Akut" bestimmt mittels eines mathematischen Modells eine optimale Auswahl

Das Prinzip klingt einfach: Anwenderinnen und Anwender zeichnen Überflutungsschutzmaßnahmen zur Rückhaltung, beispielsweise Becken, Mulden, Flächen, oder zur Ableitung, wie Rinnen, Gräben oder Böschungen, auf einer interaktiven Karte ein. "Akut" bestimmt anschließend mittels eines mathematischen Modells eine optimale Auswahl. Kartendarstellungen vor und nach der Optimierung veranschaulichen die zu erwartende Wirkung. Clemens Thielen ist Professor für Komplexe Netzwerke und arbeitet am Campus in Straubing, seine Professur gehört zur Fakultät "Wald und Forstwirtschaft" in Weihenstephan.

Die Projektleitung lag bei Inka Kaufmann-Alves von der Hochschule Mainz. Die Aufgabe der HSWT bestand laut Thielen hauptsächlich aus zwei Dingen: Sein Team entwickelte das mathematische Modell zur Auswahl optimaler Maßnahmenkombinationen. Eine besondere Herausforderung war nach seinen Worten, den Wasserfluss in Abstimmung mit den Projektpartnern von der Hochschule Mainz und dem Ingenieurbüro IGR AG realitätsgetreu abzubilden und gleichzeitig optimale Lösungen effizient berechnen zu können.

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"Bestmögliche Auswahl an Maßnahmen", die das Budget der Kommune nicht überschreitet

Außerdem programmierte die HSWT das Tool. Dabei galt es zu beachten, wie Thielen erklärt, dass es auch ohne jegliche Vorkenntnisse im Umgang mit Geoinformationssystemen zu bedienen ist.

Wichtig war den Forscherinnen und Forschern, dass den Kommunen keine Maßnahmen vorgeschlagen werden, die sich in der Praxis nicht umsetzen lassen. Aus den in die Karte eingezeichneten möglichen Maßnahmen wählt das Tool laut Thielen mittels eines innovativen mathematischen Modells eine bezüglich der Schutzwirkung "bestmögliche Auswahl an Maßnahmen" aus, die das vorgegebene Gesamtbudget der Kommune nicht überschreitet.

Vor der Berechnung könne für jedes Grundstück explizit festgelegt werden, ob der oder die Besitzerin keine, geringe oder starke Anreize zur Beteiligung benötige - oder ob diese Person sogar als gar nicht überzeugungsfähig eingestuft werde und damit das entsprechende Grundstück nicht genutzt werden kann. Anreize könnten neben finanziellen Ausgleichszahlungen auch ganz andere Dinge sein, wie die öffentliche Wirkung einer (Nicht-)Beteiligung, so Thielen weiter. Oder aber einfache Dinge wie eine Information der Grundstücksbesitzer über die Risiken einer Überflutung und ihren möglichen Beitrag zum Schutz der Kommune.

Auch bislang von Hochwasser verschonte Kommunen sollen sich damit befassen

Thielen empfiehlt auch Kommunen, die bisher keine Probleme mit Hochwasser hatten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ein Vorteil des Tools liege genau darin, dass man ohne großen personellen Aufwand verschiedene Szenarien bezüglich Starkregen durchspielen könne und die dabei zu erwartenden Schäden und den sich ergebenen Handlungsbedarf angezeigt bekomme. "Somit kann man sich zumindest einen Überblick darüber verschaffen, in welchen Fällen die größten Schäden zu erwarten sind - und wie man für solche Szenarien optimal vorsorgen kann." Steile Hänge und enge Bebauung schränkten die Möglichkeiten zur Vorsorge natürlich ein, "trotzdem kann man aber unserer Erfahrung nach mit den noch möglichen Vorsorgemaßnahmen wie zum Beispiel Mulden oder Böschungen in den meisten Fällen viel erreichen".

Nach den Unwettern im Ahrtal und Erftstadt interessiert die Forscherinnen und Forscher auch, ob die Folgen des Starkregens dort mit dem Tool realistisch abgebildet werden können und vor allem, welche Schäden mit entsprechenden Vorkehrungen hätten verhindert werden können. Die nötigen Daten habe man bei den betroffenen Kommunen bereits beantragt, sagt Thielen. Allerdings gibt er zu bedenken, dass es mit dem Erdrutsch in Erftstadt eine zusätzliche Katastrophe gab, "da kam einfach sehr viel zusammen". Auch wenn man Schäden bei Extremereignissen wie im Ahrtal vermutlich nie ganz verhindern kann, so Thielen, "kann man ihre Folgen mithilfe geeigneter Vorsorgemaßnahmen aber zumindest reduzieren - und dabei wollen wir Kommunen mit unserem Tool unterstützen".

© SZ vom 14.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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