Süddeutsche Zeitung

Hilfe bei Essstörungen im Landkreis Freising:Notwendige Fachstelle abgelehnt

Bezirkstag sieht das Thema bei der Suchtberatungsstelle Prop gut aufgehoben. Dort wird man nun ein Zeitfenster dafür freimachen müssen, um der wachsenden Zahl von Betroffenen helfen zu können

Von Gudrun Regelein

Natürlich sei sie enttäuscht, sagt Bärbel Würdinger. Die Leiterin der Suchtberatungsstelle Prop in Freising hat eigentlich gehofft, dass noch in diesem Frühjahr in Freising eine Fachberatungsstelle für Menschen mit einer Essstörung eröffnen wird. Den Antrag für diese spezialisierte Suchtberatung für den Landkreis Freising hatte das Therapienetz Essstörungen e. V. (Tness) im März 2021 gestellt. Nun kam die Ablehnung.

Es sei schon seit Langem der große Wunsch gewesen, eine spezialisierte Beratung anbieten zu können, sagt Würdinger. Auch die Vollversammlung der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) Freising hatte bereits vor gut zwei Jahren die Notwendigkeit geäußert, eine solche Fachberatungsstelle im Landkreis zu etablieren. Kontakt zu Tness, eine auf Essstörungen spezialisierte, überregionale Einrichtung, gab es bereits damals.

Im Landkreis finden Menschen mit einer Essstörung zwar beim Suchtpräventionsverein Prop, der Jugendsprechstunde oder auch in der Familienberatung der Caritas eine Anlaufstelle und werden beraten - eine auf Essstörungen spezialisierte Fachstelle aber gibt es bisher nicht. Der Bedarf aber sei definitiv da, betont Würdinger. Bei Prop waren es 2021 alleine 20 Personen, die sich deshalb beraten ließen. "Die Zahl der Betroffenen im Landkreis aber ist ganz sicher höher und wird durch die lange Isolation in den Corona-Monaten sicher noch nach oben schnellen", sagt Würdinger. "Die Notwendigkeit einer Fachstelle mit Expertenwissen vor Ort wäre also da", sagt sie.

Die Ablehnung, so bedauerlich sie sei, bedeute aber auch einen "klaren Auftrag". Nun müsse sich Prop das noch fehlende Expertenwissen aneignen, einige Suchtberaterinnen bei Prop müssten sich fachlich weiterbilden. Daneben müsse das Netzwerk ausgebaut werden. "Wir müssen dieses Thema neu positionieren und neu aufstellen." Einfach aber werde das bei den momentanen Ressourcen nicht werden, betont Würdinger. Schon derzeit gebe es bei Prop zu ganz unterschiedlichen Themen sehr viele Anfragen, die Wartezeit betrage momentan bis zu drei Wochen. "Das bedeutet, dass wir nun irgendwie auch noch ein Zeitfenster für das Thema Essstörungen freimachen müssen."

Der Sozial- und Gesundheitsausschuss des oberbayerischen Bezirkstags habe den Antrag abgelehnt, da die Beratung von Menschen mit Essstörungen im Landkreis Freising durch die anerkannt guten Angebote von Prop gesichert sei, sagt Bezirks-Pressesprecherin Constanze Mauermayer auf Anfrage der SZ Freising. Darüber hinaus stehe das vom Bezirk geförderte Therapienetz Essstörungen als überregionale Beratungsstelle zur Verfügung, mit regionalen Außenstellen in Dachau und Erding, die die Nachbarlandkreise mit unterstützen sollen.

In Oberbayern werden flächendeckend in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt Psychosoziale Suchtberatungsstellen gefördert, erklärt die Pressesprecherin. Zu deren Aufgaben gehöre grundsätzlich die Beratung von Erwachsenen, die von substanzbezogenen Suchterkrankungen und von nicht substanzbezogener Abhängigkeit betroffen oder bedroht sind. Dies umfasse auch die Beratung von Menschen mit Essstörungen und deren Angehörigen. Dieser Auftrag sei auch Bestandteil der Leistungsvereinbarungen mit dem Bezirk Oberbayern - so auch mit dem Träger Prop e. V. "Insofern gehen wir davon aus, dass auch im Landkreis Freising die Psychosoziale Suchtberatungsstelle von Prop entsprechend ihren Vereinbarungen mit uns Angebote für Menschen mit Essstörungen macht."

Die Ablehnung sei sehr bedauerlich, sagt Carolin Martinovic, Tness-Geschäftsleiterin des ambulanten Bereichs. Prop leiste in Freising unstrittig sehr gute Arbeit, aber: "Prop ist schon jetzt am Limit, und nun kommt noch ein Thema on top dazu." Noch dazu eins, das sehr komplex sei. Die Beratung von Menschen mit einer Essstörung - Bulimie, Binge-Eating oder Magersucht - oder von Adipositas-Patienten sei extrem zeitintensiv und dauere sehr lange. "Das ist nicht in einem Gespräch erledigt." Zudem seien für dieses Thema andere Kooperationspartner notwendig, die Tness bereits habe.

"Ich sehe auch das große Problem, dass sich die Betroffenen, meistens sind es junge Frauen, nicht in der Suchtberatung wiederfinden." Die 24-jährige anorektische Patientin werde sich dort eher keine Hilfe suchen, befürchtet sie, "dafür ist die Hemmschwelle zu groß".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5513135
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.01.2022
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.