Abschied von Rudolf Goerge :"Experte für Geborgenheit"

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Das Tagebuch eines Bauern aus Flitzing aus dem 19. Jahrhundert ist das Ruhestandsprojekt von Rudolf Goerge. (Foto: Lukas Barth)

Kreisheimatpfleger Rudolf Goerge hat 45 Jahre lang Kultur und Brauchtum im Landkreis gepflegt. Jetzt geht er in den Ruhestand. Bei seinem Abschied im Landratsamt kündigt er aber an, noch viele Veröffentlichungen zu schreiben.

Von Thilo Schröder, Freising

Rudolf Goerge steht neben der Tür des großen Sitzungssaals im Freisinger Landratsamt und begrüßt jeden Gast einzeln. Geschätzt 100 Menschen sind der Einladung zum Festakt seiner Verabschiedung als Kreisheimatpfleger am Dienstagabend gefolgt. Familie, Freunde und Weggefährten, darunter viele Bürgermeister und Landräte, Kreis- und Bezirksräte. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von der Ampertaler Kirtamusi und dem Marstall-Barockensemble. 45 Jahre lang hat der "Experte für Geborgenheit", wie er sich selbst nennt, Kultur und Brauchtum im Landkreis gehegt und gepflegt. Jetzt ist Schluss.

"Wir machen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge", sagte Landrat Josef Hauner (CSU) zur Begrüßung und bedankte sich bei dem 77-Jährigen für "45 Jahre Rückblicke, Ausblicke, Einblicke". Das kulturelle Erbe der Region zu bewahren, sei eine wichtige Aufgabe, die nicht zuletzt in der Bayerischen Verfassung verankert sei. Menschen wie Goerge bildeten ein Scharnier zwischen Verwaltung und Bevölkerung, so Hauner.

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"Es ist eine Regel der Klugen, die Dinge zu verlassen, ehe sie uns verlassen", zitierte Goerge den spanischen Schriftsteller Baltasar Gracián y Morales zu Beginn seiner halbstündigen Abschiedsrede. "Als Heimatpfleger wollte ich die Bewohner unseres Landkreises begeistern für die weit zurückreichende Geschichte und Kultur unserer Dörfer und Städte", sagte Goerge. Manche hätten ihn um seine Arbeit beneidet. Er gesteht, allerdings mit einem Schmunzeln: "Auch wenn mir die Arbeit viel Freude machte, war sie nicht immer leicht."

"Wie man ausgerechnet auf mich kam, das weiß ich bis heute nicht"

Wer die Augen geschlossen hielt, hatte zuweilen den Eindruck, Goethes Faust selbst stünde da am Rednerpult: wie er da inbrünstig und voller Pathos deklamierte und in Erinnerungen schwelgte. Nur gelegentlich schien Goerge ins Hier und Jetzt aufzutauchen, wenn gedämpftes Lachen ob seiner humorvollen Einschüben durch den Saal wehte. Etwa bei der Frage nach seiner Ernennung: "Wie man ausgerechnet auf mich kam, das weiß ich bis heute nicht. Aber ich hab natürlich Ja gesagt."

Dem beflissenen Volkskundler Goerge konnte sich kaum einer im Landkreis entziehen. Er redete mit allen. Mit Schulkindern, vor Akademikern in Weihenstephan, bei Seniorennachmittagen in den Pfarreien, bei Ortsjubiläen. Mit seinem Diaprojektor bewaffnet zog er durch Säle, Wirtshäuser und Bierzelte. Er zeigte Gästen Freisings Sehenswürdigkeiten, leitete Exkursionen ins Umland, organisierte Ausstellungen im Marstall und im Kreuzgang des Landratsamtes, förderte Volkstanz und klassische Konzerte.

Dass er all dies tun konnte, verdankt Goerge neben seinem umfassenden Engagement auch der Tatsache, dass Freising sich bereits früh, um 1990, einen hauptamtlichen Kreisheimatpfleger leistete. Im ganzen Bezirk Oberbayern gebe es nur fünf solcher Stellen, sagte Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler in seiner anschließenden Rede, in den anderen Bezirken gar keine. "Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage: Der Name Goerge ist überall bekannt, seit unvordenklichen Zeiten."

Noch gar nicht so lange ist der Begriff Heimat mit Emotionen besetzt

Göttler sprach über die Herausforderung der Heimatpflege in Zeiten, in denen der Heimatbegriff umstritten sei, vielfach missbraucht werde. "Wir wollen den Begriff behalten, ihn mit Toleranz, offen und liberal besetzen, ihn reflektieren, wie Herr Goerge es tut." Früher sei Heimat eine topografische und juristische Größe gewesen, erst mit zunehmender Mobilität ab Ende des 19. Jahrhunderts sei der Begriff mit Emotionen besetzt. Was sich daran zeige: "Heimatpfleger sollen überkommenen Werten neue hinzufügen." Und an Goerge gewandt: "Das haben Sie 45 Jahre lang gelebt."

Das tut er, der eigentlich seit dem Frühjahr im Ruhestand ist, weiterhin. Erst vor Kurzem hat Goerge einen Vortrag im Schafhof gehalten, vor zwei Wochen ein Buch über Kriegerdenkmäler im Landkreis vorgestellt. "Ich habe noch viel Material, über das ich schreiben möchte," sagte er. Sein nächstes Projekt hat er bereits vor Augen: Es dreht sich um das Tagebuch eines Bauern aus Flitzing aus dem 19. Jahrhundert. "Ein wunderschönes Manuskript. Der hat sehr viel erlebt, obwohl er nur in einem sehr kleinen Umfeld gelebt hat."

Was für ihn persönlich der Begriff Heimat bedeute? Zur Antwort verweist Rudolf Goerge auf das Kärtchen, das er jedem am Eingang in die Hand gedrückt hatte. Dort heißt es nach dem Schriftsteller Siegfried Lenz: "Heimat ist der Platz, an dem man aufgehoben ist in der Sprache, im Gefühl, ja selbst im Schweigen."

© SZ vom 10.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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