Heimatforschung:"Es gibt da so Gestalten, die ohne Kopf herumlaufen"

Heimatforschung: Bücher sind die Leidenschaft von Rudolf Goerge. 15 000 Exemplare füllen die Regale in seinem Haus vom Keller bis zum Dachboden. Als Bibliothekar hat er sie natürlich alle katalogisiert.

Bücher sind die Leidenschaft von Rudolf Goerge. 15 000 Exemplare füllen die Regale in seinem Haus vom Keller bis zum Dachboden. Als Bibliothekar hat er sie natürlich alle katalogisiert.

(Foto: Marco Einfeldt)

Rudolf Goerge erklärt den Menschen im Landkreis seit über 40 Jahren ihre Bräuche. Jetzt zieht sich der Heimatpfleger zurück, um die hiesigem Sagen zu untersuchen.

Interview von Eva Zimmerhof, Freising

Er kam als Flüchtlingskind nach Freising - und wurde zum gefragtesten Mann, wenn es um hiesige Heimatgeschichte geht. Rudolf Goerge (74) brennt für das oberbayerische Brauchtum, besonders, wenn er von den heiligen Gräbern oder aber von den Sagen des Landkreises erzählt - die sammelt er und schickt sie allesamt nach Finnland.

SZ: Herr Goerge, woher wissen Sie eigentlich, was seit Jahrhunderten ansässige Familien vergessen haben?

Ich recherchiere, zum Beispiel im Staatsarchiv oder im Freisinger Stadtarchiv. Und ich selbst habe knapp 15 000 Bücher zu Hause, als alter Bibliothekar habe ich sie katalogisiert. Sie reichen vom Keller bis zum Dachboden. Meine Frau schenkt mir darum keine mehr. Aber ich kann manchmal einfach nicht widerstehen...

Als Kreisheimatpfleger erklären Sie den Menschen im Landkreis seit 1974 ihre alten Bräuche. Wie kommt das an?

Ja, die Maibäume etwa oder die heiligen Gräber mit Jesusfigur, Soldaten und den bunten, mit Wasser gefüllten Glaskugeln... Das haben die Leute vielerorts gut aufgenommen. Aber besonders seit einiger Zeit gibt es eine Art Rückbesinnung: Noch vor einigen Jahren wurden alte Bauernhäuser abgerissen, um dann etwas Scheußliches hinzustellen. Mittlerweile wird eher saniert. Die Menschen interessieren sich wieder für Mundart und Volkstänze. Es gibt zum Beispiel immer mehr Sternsinger.

Sie selbst stammen gar nicht aus Bayern, Sie gehören zu einer elfköpfigen Flüchtlingsfamilie.

Ich bin in Ostpreußen geboren. Dass wir '45 hierher gekommen sind, war Zufall. Meine Tante war Klosterschwester und arbeitete im Lazarett auf dem Domberg, das war im Diözesanmuseum eingerichtet.

Was sind Ihre frühesten Eindrücke von Freising?

An die Flucht habe ich gar keine Erinnerungen mehr, ich war damals zwei Jahre alt. Zu meinen ersten Erinnerungen gehört, wie wir Kinder herumsausten und wie wir wohnten: in einem Nebengebäude der Pallottiner, wie andere Flüchtlinge auch. Unter uns war ein großer Schweinstall und hinter dem Haus war die freie Natur. Die Straßen waren nicht geteert und da, wo heute das Krankenhaus und das Marriott-Hotel stehen, war die Lehmkuhle: Das war unser Revier! Wir haben diese große Freiheit genossen.

Ihre Familie hat Freisings Kultur mitgeprägt.

Mein Bruder Winfried war in Freising Instrumentenbauer und hat seine mittelalterlichen Musikinstrumente in alle Welt verschickt; er ist dieses Jahr verstorben. Und mein Bruder Josef war früher der Musikschulleiter. Er hat den Freisinger Martinszug ins Leben gerufen. Der Zug oder die Nikolausfeier im Dom, das sind scheinbar kleine Dinge, aber eben auch Brauchtumspflege. Mit Josef spiele ich seit 50 Jahren im "Kleinen Kreis Freising" auf Winfrieds historischen Instrumenten. Kürzlich im Landratsamt: Musik, die einst am Hof von Ludwig XIV. gespielt wurde. Wir hatten eine wunderbare Barocktänzerin dabei.

Wie sieht es bei Ihren vier Kindern aus?

Sie sind alle sehr musikalisch, das haben sie auch von ihrer Mutter. Thomas ist wohl der Kreativste der Familie - er hat Theater und Bühnenbild studiert. Bis zu dessen Tod hat er mit Christoph Schlingensief zusammengearbeitet. Es ist schon manchmal lustig, wenn Thomas Arbeiten von sich in Ausstellungen entdeckt, auf denen dann Schlingensiefs Name steht. Aber die Werke von Rubens und Rembrandt wurden zum Teil auch von ihren Mitarbeitern gemalt. Thomas ist viel herumgekommen, will aber jetzt für Freising Kultur machen - wie seine Kafka-Inszenierung im Furtner neulich.

Nun wollen Sie aufhören und nicht mehr Kreisheimatpfleger sein - warum?

Es muss langsam etwas weniger werden, aber ich höre sicher nicht sofort auf. Ich will schreiben: Zu Hause warten drei große Ordner mit Material zu den Sagen des Landkreises. Seit einigen Wochen mache ich auch keine Führungen mehr in der Stadt oder auf dem Domberg. Aber wenn ein Ortsjubiläum ansteht, und man mich um Mithilfe bei der Ausarbeitung der Heimatgeschichte oder um einen kleinen Vortrag bittet, sage ich zu.

Sie kennen die Sagen des Landkreises vermutlich wie kein anderer - welche sind besonders gruselig?

Es gibt da schon so Gestalten, die ohne Kopf herumlaufen oder solche, die am Heiligen Abend tanzen gehen und dann merken, dass ihr Tanzpartner einen Bocksfuß hat - dass er der Teufel ist. Aber Sagen sind nicht nur etwas Altes. Es gibt auch ganz Moderne, wie etwa, dass die verstorbene Oma in den Teppich gerollt wird und in die Türkei verschickt wird.

Forschen Sie da nach?

Natürlich, ich untersuche die Sagen nach ihren Motiven und Quellen. Ich will nicht bloß aufschreiben. Alle Sagen bekommen Typennummern und werden von der Universität Göttingen und im großen Erzählforschungszentrum in Helsinki katalogisiert. Da schicke ich auch meine Sachen hin.

Ihr liebstes Stück Heimat im Landkreis?

Die Holledau mit den Hopfenpflanzungen und den kleinen, schönen Dorfkirchen!

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