Hallbergmoos:Ein einstiges Bauerndorf wird zum Hotspot

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Olympiateilnehmer Tim Elter durfte die Welle schon vor der Eröffnung testen und zeigte sein Können. (Foto: Marco Einfeldt)

In den vergangenen Jahrzehnten ist Hallbergmoos mit Eröffnung des Flughafens stark gewachsen und hat Mut zur Innovation bewiesen. Jedes Surfer-Magazin berichtet gerade über die Gemeinde. Ihren Charakter aber hat sie bewahrt, sagt der Bürgermeister.

Von Petra Schnirch, Hallbergmoos

1979, als er dorthin gezogen ist, war Hallbergmoos „ein typisches Bauerndorf“, erinnert sich Karl-Heinz Zenker. Es gab noch viele Bauern, die ihre Kühe von der Weide in den Stall trieben, auch in Zenkers Nachbarschaft. Hinter ihnen lief die Bäuerin mit einer Schaufel und kratzte die Kuhfladen von der Straße, erzählt der Heimatforscher und lacht.

Inzwischen gebe es nur noch zwei Betriebe, die Kühe halten. Viel von der ländlich geprägten Vergangenheit ist seitdem verloren gegangen – und die Gemeinde ist in dieser Zeit immens gewachsen. 1980 zählte sie gut 3500 Einwohner, Anfang 2024 waren es knapp 12 000 – und fast ebenso viele Arbeitsplätze.

Eine Schublade zu finden, in welche die Gemeinde passen könnte, ist gar nicht so leicht. Da sind einerseits die gläsernen Fassaden der modernen Bürogebäude im Westen der Ortschaft, die auch in einer Großstadt stehen könnten. Ein weiterer, innovativer Gewerbepark ist in Planung – ein „urbanes Gebiet“, wie es bei der Bürgerversammlung hieß, mit Wohnungen und viel Grün. Da ist der nahegelegene Flughafen.

Mit der „O₂ Surftown Muc“, Deutschlands erstem Surfpark, kommt nun eine Attraktion dazu, die Wellenreiter aus ganz Deutschland anziehen soll. Es verwundert deshalb nicht, wenn Zenker sagt, dass Hallbergmoos schon lange kein Dorf mehr sei, „sondern eine eher städtisch geprägte Gemeinde“, mit Nahversorgern, Wirtshäusern und Lokalen, S-Bahn-Halt und Busverbindungen nach Freising, Neufahrn und Erding.

Heimatforscher Karl-Heinz Zenker lebt seit mehr als vier Jahrzehnten in Hallbergmoos und kennt die Geschichte der Gemeinde wie kein anderer. (Foto: Marco Einfeldt)

Andererseits gibt es ihn schon noch, den dörflichen Zusammenhalt, in Goldach eher als in Hallbergmoos, meint Zenker. Auf dem runden Tisch vor ihm liegen einige der Hefte und Dokumentationen, die er zur Geschichte der Gemeinde zusammengestellt hat. Das kulturelle Angebot ist groß, zu Klassik-Konzerten kommen sogar Besucher aus München nach Hallbergmoos. Die Gemeinde tut viel für ihre Bürger. Menschen wie der gebürtige Freisinger Zenker empfinden Hallbergmoos als Heimat, als ihr Zuhause, und engagieren sich mit viel Herzblut.

Und wie sieht das einer, der hier geboren ist und das „alte“ Hallbergmoos noch aus seiner Kindheit kennt? Bürgermeister Josef Niedermair,66, war früher Landwirt, vor 40 Jahren wurde der CSU-Politiker zum ersten Mal in den Gemeinderat gewählt und macht seiner Gemeinde das schönste Kompliment: „Ich liebe Hallbergmoos, es ist einzigartig“, sagt er. Man könne es mit keiner anderen Kommune vergleichen.

Bürgermeister Josef Niedermair möchte nirgendwo anders leben. (Foto: Marco Einfeldt)

Niedermair sieht gewisse Einflüsse durch die Großstadt München und natürlich durch den Flughafen, dessen Bau das Wachstum und die Gewerbeansiedlung beschleunigt hat. „Trotzdem sage ich, dass wir unseren Charakter bewahrt haben.“ Auf den Straßen seien noch immer viele Traktoren unterwegs, die Landwirte bauten Gemüse und Kräuter an. Anders als in Neufahrn gebe es keine Hochhäuser. Die wirtschaftliche Lage sei sehr gut und sichere einen gewissen Lebensstandard. „Denn Geld regnet es nicht vom Himmel.“ Den Bürgern werde viel geboten, zum Beispiel mit dem Volksfest, dem Lampionfest oder dem Tag der Vereine. „Hallbergmoos ist mit Sicherheit keine Schlafstadt“, sagt er und klingt dabei sehr überzeugt. Auch Neubürger „werden gut mitgenommen“.

Anfangs habe er noch versucht, die dörflichen Strukturen zu bewahren, erinnert sich Niedermair und fügt hinzu: „Aber auch ich habe mich verändern müssen“. Ein Haus mit 1000 Quadratmeter großem Grundstück sei nicht mehr zeitgemäß, der Grund sei viel zu teuer geworden. Vielmehr müsse man verdichten, um Wohnraum zu schaffen. „Das Schöne“ dürfe dabei nicht verloren gehen, darauf müsse man achten. Leitlinie des Gemeinderats sei ein maßvolles Wachstum um 250 bis 300 Einwohner jährlich. Zuletzt ist die Einwohnerzahl sogar ganz leicht zurückgegangen.

Doch wie in vielen größer werdenden Kommunen bröckeln traditionelle Strukturen. Vier Geschäfte sind in den vergangenen Jahren aufgegeben worden, zuletzt Eisenwaren Mikesch. Der über 100 Jahre alte Rauch- und Sparverein hat sich aufgelöst. Das gleiche Schicksal stand dem VdK und dem Heimat- und Traditionsverein bevor, den Zenker viele Jahre lang leitete. Für beide fanden sich in letzter Minute neue Vorsitzende. „Die Bereitschaft, Verantwortung zu unternehmen, schwindet“, sagt der Hallbergmooser Heimatforscher. Auch, weil die Bürokratie immer größer werde. Teils gehe aber auch Gesellige verloren, wenn man nur Vereinsmitglied wird, um Sportangebote nutzen zu können.

Die Mieten sind inzwischen so hoch wie in München

Fragt man Sabina Brosch, Vorsitzende des Kulturvereins Cultiamo und der örtlichen Musikschule, außerdem Gemeinderätin der Grünen, ob Hallbergmoos heute städtisch-anonym geprägt oder doch eine eher ländliche Gemeinde sei, überlebt sie kurz. „Halb, halb“, meint sie und lacht. „Der Zusammenhalt ist noch da.“ Das sehe man gut an den Feuerwehren, die viel Zulauf von jungen Mitgliedern hätten. Es gebe aber auch Menschen, für die Hallbergmoos nur eine Zwischenstation ist und die nur zwei, drei Jahre bleiben.

Da sei die Integration zum Teil schwierig. Bei Familien mit Kindern sei das meist anders. Für sie sei Hallbergmoos attraktiv, weil es genügend Kita-Plätze gibt – Eltern in Freising können von dem Angebot nur träumen. Ein Problem aber bleibt: Die Mieten seien inzwischen so hoch wie in München, sagt Brosch. Vielleicht ist deshalb mit etwa tausend Zu- und Wegzügen die Fluktuation so groß.

Breites Kulturangebot: Sabina Brosch ist Vorsitzende des Kulturvereins Cultiamo und der Musikschule Neufahrn-Hallbergmoos. (Foto: Marco Einfeldt)

Wie auch Zenker stellt Brosch fest, dass die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, sinke. Es gebe eine gewisse Konsumhaltung. Größere Umbrüche erwartet sie allerdings erst, wenn die Einwohnerzahl einmal über 20 000 steigen sollte. Brosch selbst lebt seit 29 Jahren in Hallbergmoos und fühlt sich sehr wohl. „Wir haben hier alles.“ Während ein Konzertbesuch im Gasteig schnell mal 80 Euro und mehr kostet, zahle man in Hallbergmoos bei der hochklassig besetzten Reihe „Erstklassik“ gerade einmal 25 Euro Eintritt. Der Verein Cultiamo versucht zudem, Lücken im Kulturangebot zu füllen, zum Beispiel mit Kabarett, dem beliebten Sundowner-Picknick mit Musik im Goldachpark oder dem Kunsthandwerkermarkt.

Solche niederschwelligen Angebote seien wichtig, auch um Neubürger anzusprechen, sagt Sabina Brosch. Nur wenn die Menschen gern ihre Freizeit in der Gemeinde verbringen, oder zumindest einen Teil davon, gelinge die Integration. „Sonst haben wir sie verloren.“ Auch Mosaiksteine wie der Badeweiher, den die Gemeinde im Sport- und Freizeitpark anlegen will, und Einrichtungen wie die Musikschule oder die Bücherei gehören für Brosch dazu. Zum Teil auch die Surfwelle, die jedoch Eintritt kostet. Immerhin bekommen Hallbergmooser Bürger 50 Prozent Nachlass auf Besuchertickets, das Restaurant steht allen offen.

Die Ortschaft hat sich entlang von Straßen und Gräben entwickelt, hier die lange Theresienstraße, die an Geschäften und Rathaus vorbeiführt. (Foto: Marco Einfeldt)
Eine skurrile und zugleich erschreckende Aufnahme aus dem Archiv von Karl-Heinz Zenker: Die Männer sind in Hallbergmoos zu Übungszwecken mit Gasmasken unterwegs. (Foto: Bürger)
Im Munich Airport Business Park prägen Glasfassaden das Bild. (Foto: Marco Einfeldt)

Anders als Goldach, das vor der Gebietsreform 1978 zu Notzing im Landkreis Erding gehörte und in der Form kompakter ist, ist die Ortschaft Hallbergmoos ein lang gezogenes Straßendorf oder „Leiterdorf“, wie Zenker es nennt, das entlang von Wegen und Gräben gewachsen ist. Einen historisch gewachsenen Dorfkern gibt es nicht. Im Westen schließen sich Gewerbeflächen und Hotels an. Der neue Surfpark im Munich Airport Business Park könnte ein Bindeglied werden, hofft Zenker, und zur Belebung des Gewerbegebiets beitragen.

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Der Gemeinderat stand von Anfang an hinter dem Projekt, auch Zenker stimmte zu – für die Freien Wähler gehörte dem Gremium 22 Jahre lang an. Familienintern, erzählt er, gab es aber durchaus Diskussionen. Die gleichen Erfahrungen hat Niedermair gemacht. Vor allem die ältere Generation sei skeptisch gewesen, erinnert er sich, ob es „das wirklich braucht“. Wenn einmal das direkt neben dem Surfpark geplante „Hybrid One“, ein neues Bürogebäude mit Shopping-Mall, entsteht, „profitiert jeder, auch unsere Bürger“, sagt der Bürgermeister. „Wir waren schon auch ein bisschen mutig“, fügt er hinzu, „aber ich glaube, Mut wird belohnt“.

Für Chris Boehm-Tettelbach, den Gründer und Geschäftsführer der Surftown, ist das bereits eingetreten. „Hallbergmoos ist ein Spot auf der Weltkarte des Surfens“, sagt er bei einem kurzen Telefongespräch am Tag vor der Eröffnung. Er muss sich dafür erst einmal ein ruhiges Plätzchen suchen. Jedes Surfer-Magazin berichte über den Surfpark und auch Zeitungen wie der Corriere della Sera, sagt Boehm. Er spüre in Hallbergmoos einen „unheimlichen Drive“.

Tief verwurzelt und trotzdem multikulturell

Die „bayerische Gemütlichkeit“ sei dort noch tief verwurzelt, gleichzeitig seien die Menschen multikulturell und weltoffen. „Die Gemeinde ist einfach sehr innovativ.“ Und sie werde von der Surfwelle profitieren, davon ist er überzeugt, vor allem Hotels und Einzelhandel. Innerhalb eines halben Jahres sind zudem 150 Arbeitsplätze entstanden – einige der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohnen schon in Hallbergmoos.

Dass die Wahl auf die Gemeinde fiel, ist einer Standortanalyse zu verdanken, die Wahl fiel schließlich auf den Münchner Norden – wegen der guten Erreichbarkeit, der Kaufkraft und der Sportaffinität der Menschen, schildert Boehm-Tettelbach. Ein Kontakt in anderer Sache gab dann den Ausschlag. Der begeisterte Surfer hatte ein Konzept in der Tasche, Hallbergmoos suchte nach der passenden Idee für das Grundstück im Munich Airport Business Park.

Endlich geschafft: Für Initiator Chris Boehm-Tettelbach erfüllt sich mit der Eröffnung des Surfparks ein Traum. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Von den zuletzt oft zugespitzt dargestellten Unterschieden zwischen Stadt- und Landbevölkerung – hier hippe Städter, dort aufrechte oder, je nach Standpunkt, tumbe Dorfbewohner – hält Zenker übrigens nichts. Das sei reiner Populismus, meint er – und kritisiert damit auch seinen Parteivorsitzenden Aiwanger. Der Heimatforscher analysiert nüchtern, dass es auf dem Land oft Standortnachteile gebe, wie fehlende Geschäfte und Ärzte und keinen ausreichenden ÖPNV. Deshalb sei man auf das Auto angewiesen.

Das alles trifft auf Hallbergmoos ohnehin nicht zu. Niedermair, der das Bürgermeisteramt am Jahresende aus gesundheitlichen Gründen niederlegen wird, kann sich jedenfalls auch als Rentner nicht vorstellen, von hier wegzuziehen. In der Toskana sei es schön, meint er, für zwei, drei Wochen. In Hallbergmoos aber sei er zu Hause, hier habe er Familie, Freunde und Bekannte.

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