Haare schneiden und Zähne ziehen:Der letzte Bader von Hallbergmoos

Georg Reuel

Auf dieser Aufnahme ist Georg Reuel zusammen mit seiner Frau vor dem alten Baderhaus an der Theresienstraße 34 zu sehen.

(Foto: Privat)

Georg Reuel praktizierte bis 1977. Seine Stube kann heute im Alten Gefängnis in Freising besichtigt werden

Von Alexandra Vettori, Hallbergmoos

Der Beruf des Baders entstand im Mittelalter, ursprünglich war er Betreiber einer Badestube, entwickelte sich dann aber zum Arzt des kleinen Mannes. Später wurde Bader, auch Stübner genannt, zum Lehrberuf, der mit einer Approbation abschloss. Auch in Hallbergmoos gab es einen Bader, der letzte praktizierte bis zum Jahr 1977. Sein Name lautete Georg Reuel. Karl-Heinz Zenker, rühriger Heimatforscher aus Hallbergmoos, hat Reuel sein neuestes historisches Sammelblatt gewidmet und dazu Zeitzeugen und Reuels älteste Tochter Ottilie Strach befragt, die 1930 geboren wurde.

Georg Reuel, 1902 in Hallbergmoos geboren, erlernte zunächst bei seinem Vater das Friseurhandwerk und approbierte sich schließlich zum Bader. Wie die Behandlungen abliefen, erfuhr Zenker vor allem von Tochter Ottilie, die als Mädchen assistierte, etwa, indem sie die Köpfe der Patienten beim Zähneziehen festhielt. Sie erinnert sich, dass der Vater Abszesse öffnete, Wunden versorgte, die von Hundebissen, eingetretenen Nägeln oder Mistgabeln stammten, Hühneraugen versorgte, Patienten schröpfte oder zur Ader ließ. Auch Ohrenspülungen kamen öfter vor, einmal, erinnert sie sich, sei ein Käfer zum Vorschein gekommen. Auch Leichenbeschau gehörte zu Reuels Aufgaben.

Während des Zweiten Weltkriegs fuhr er mit der Hallberger Feuerwehr im Milchlaster nach München, um Verletzte zu versorgen. Freitags, so berichtete eine Zeitzeugin, rückte Reuel mit Fahrrad und Lederkoffer zu Heimbesuchen aus. Dann rasierte er und schnitt Haare. Ein anderer Zeitzeuge berichtet, sein Vater habe ihn Anfang der Fünfzigerjahre mit einem Zweimarkstück zum Zahnziehen zu Reuel geschickt. Auch zum Haareschneiden konnte man ihn aufsuchen, allerdings gab es keine Termine. Die Wartenden saßen oder lagen auf einer Wiese vor dem Haus.

Bei seinen Recherchen stieß Heimatforscher Zenker auch auf eine sozialpolitische Besonderheit. Danach ist die landwirtschaftliche Krankenkasse in Deutschland erst am 1. Oktober 1972 eingeführt worden. Davor waren nur wenige in der Landwirtschaft Beschäftigte gesetzlich krankenversichert. Das erklärt, warum im Bauerndorf Hallbergmoos der Bader bis in die Siebziger tätig war, und das, obwohl sich 1946 mit Dr. Kurka der erste Mediziner im Ort niederließ. Die Baderstube des Georg Reuel, der 1979 starb, ist heute im Alten Gefängnis in Freising originalgetreu aufgebaut und samstags zu besichtigen. Der Freisinger Friseurmeister Seiner hat sie gekauft und dem Museum gespendet.

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