Geteilte Meinung:Zwischen Schock und Selbstbewusstsein

Ein Schotte und eine ausgewanderte Freisingerin schildern ihr Empfinden über den Austritt Großbritanniens aus der EU

Von Clara Lipkowski/Jenny Schößler, Haag/Windsor

Colin Hackney war geschockt, als er von dem Ausgang erfuhr. Er war am Morgen nach der Abstimmung früher aufgestanden als sonst, um möglichst schnell die Neuigkeiten zu hören. Hackney kommt aus Schottland, lebt aber seit mehr als 15 Jahren in Haag und hätte selbst auch gern gewählt. "Dann hätte ich für den Verbleib in der EU gestimmt", sagt er. Da eine Voraussetzung für das Votum war, mindestens 15 Jahre in Großbritannien zu leben, durfte er aber nicht über "Remain" oder "Out" entscheiden. "Ich bin sehr enttäuscht über das Ergebnis und hatte es nicht erwartet. Das ist ein Riesenfehler", findet der 60-Jährige.

Den Ausgang der Wahl erklärt er mit der Unzufriedenheit der meisten Leute mit der eigenen Regierung: "Das meiste Geld und die Macht liegen in London. Besonders im Norden aber ist die Arbeitslosigkeit hoch." Die Schuld dafür suchten viele in Brüssel. Zudem fühlten sich die Engländer nicht richtig wie Europäer. "Mit dem Referendum konnten sie ihre Unzufriedenheit zeigen", sagt Hackney. Vor zwei Jahren hatte Schottland in einem Volksentscheid für den Verbleib im Königreich und damit in der EU entschieden. Nun steht den Schotten möglicherweise eine neue Abstimmung bevor, die anders ausgehen könnte. "Ich glaube, dass Schottland nach einem Referendum von Großbritannien unabhängig werden wird und dann in der EU bleibt", hofft Hackney. Dennoch habe er auch Angst vor einem Dominoeffekt, der sich auf die gesamte EU auswirken könnte. Sollten sich für ihn nach dem Brexit zu viele Probleme auftun, hat er schon eine Lösung: "Ich werde einen deutschen Pass beantragen, um in der EU zu bleiben."

Auch Karin D. berichtet von geschockten Meinungen über das Ergebnis. Die 54-Jährige ist vor knapp zwei Jahren aus Freising nach Windsor ausgewandert und hat selber bei der Auszählung des Referendums mitgeholfen. "Damit hat keiner gerechnet. Was der Brexit jetzt bringt, kann keiner sagen", sagt die gebürtige Freisingerin. Dennoch ist sie verblüfft, wie die deutschen Medien auf den Ausgang reagieren. "Dass hier seitdem Chaos ausgebrochen sein soll, stimmt nicht. Ja, es herrscht Unruhe, Unsicherheit aber mindestens soviel Selbstbewusstsein", erzählt sie. Sie persönlich sei für den Brexit gewesen, sagt sie, damit solle der EU klargemacht werden, dass sie sich ändern müsse. Demnach sehe sie auch eine deutlich gesteigerte Wahrscheinlichkeit, dass die EU in Zukunft als Staatenbund auseinanderbrechen könnte.

"Man merkt vor allem, dass die Jugendlichen verunsichert sind", berichtet sie. Das liege daran, dass die jungen Leute mit der EU aufgewachsen und mit ihr vertraut seien. Die Älteren hingegen hätten größtenteils für den Brexit gestimmt. Dennoch habe sie auch englische Freunde, bei denen alle drei Generationen geschockt gewesen seien.

Konkrete Auswirkungen denkt die ausgewanderte Grafikerin, werde sie als Privatperson nicht haben. "Ich schätze, es werden jetzt höchstens die Schlangen an den Grenzen länger werden."

Geteilte Meinung: Colin Hackney hätte für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union gestimmt.

Colin Hackney hätte für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union gestimmt.

(Foto: privat)

Während der Auszählung habe sie mit Freunden über WhatsApp geschrieben. "Auf die Frage, ob die Insel jetzt ein bisschen weiter weggeschwommen ist, musste ich mit Ja antworten", gibt sie zu.

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