Neufahrn:Die streitbare Ikone im Rathaus

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Käthe Winkelmann bei einer Kundgebung. (Foto: privat/oh)

Vor 60 Jahren wurde Käthe Winkelmann in Neufahrn zur ersten Bürgermeisterin Bayerns gewählt. Sie trat an in einer Zeit, als Kommunalpolitik noch reine Männersache war – und wurde zur Anführerin der Bürgerinitiativen gegen den Münchner Flughafen.

Von Francesca Polistina, Neufahrn

Käthe Winkelmann wollte vor allem eines: einen Kindergarten bauen. Der Gemeinderat, dem sie angehörte, war allerdings zögerlich, denn die gängige Meinung war zu dieser Zeit, dass man sowas nicht brauchte. Winkelmann aber ließ sich nicht abschrecken und trat als Bürgermeister-Kandidatin für eine freie Wählergruppierung an. Das sei schon „außerordentlich ungewöhnlich“ gewesen, zitierte sie damals die Süddeutsche Zeitung: „Da haben sich wohl viele gedacht, die spinnt.“

Dennoch konnte Winkelmann die Wähler überzeugen und sich gegen den NS-belasteten Gegenkandidaten durchsetzen: am 19. Juli 1964, vor genau 60 Jahren, wurde sie zur ersten Bürgermeisterin Bayerns. Oder: Zum „ersten weiblichen Bürgermeister“, wie man damals sagte. Ihr Sieg war knapp: Von den abgegebenen Stimmen entfielen 767 auf Käthe Winkelmann und 707 auf den Gegenkandidaten, „obwohl die Männer der Gemeinde Neufahrn dagegen waren, von einer Frau regiert zu werden“, liest man in der SZ vom 21. Juli 1964.

Tatsächlich war das keine Selbstverständlichkeit, mehr noch, es war eine Sensation: Kommunalpolitik war eine reine Männersache, der für Frauen vorgesehene Platz war sicherlich nicht das Rathaus. Winkelmann schaffte es dort hingegen bis ganz nach oben: Dreizehn Jahre lang durfte sie das politische Leben der kleinen Gemeinde Neufahrn bestimmen.

Mit Winkelmann gab es in Neufahrn „einen wirklichen Aufbruch“

Die gebürtige Darmstädterin und zweifache Mutter, geboren 1905, betrieb seit dem frühen Tod ihres Mannes einen Schreibwarenladen in Neufahrn. Außerdem war sie Lokalberichterstatterin für verschiedene Zeitungen. Zum Zeitpunkt ihrer Nominierung war sie 59 Jahre alt. Wer sie persönlich kannte, beschreibt sie als ruhig und sehr verbindlich – aber auch sehr entschlossen. „Sie war durch und durch Politikerin“, schildert Ernest Lang, Vorsitzender des Neufahrner Geschichts- und Heimatvereins. „Sie hatte sehr, sehr viel Energie“, sagte einmal der Grünen-Politiker und langjährige Landtagsabgeordnete Christian Magerl der SZ. Auch wenn man immer noch dazu neigt, sich eine 60-jährige Frau in den Sechziger- und Siebzigerjahren als liebevolle, naive Oma vorzustellen – diese Rolle hatte Winkelmann in der Politik keinesfalls inne.

„Durch die Wahl Winkelmanns hat es in Neufahrn einen wirklichen Aufbruch gegeben“, sagt Lang. Neufahrn zählt heute rund 20 000 Einwohner, die Nähe und die gute Anbindung zur Landeshauptstadt München machen es zu einem beliebten Standort für Pendler und Unternehmen. In den Sechzigerjahren war das anders: In der Gemeinde lebten 3400 Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft waren landwirtschaftlich geprägt. Der Wandel von einem Bauerndorf zu einer Großgemeinde begann in Winkelmanns Amtszeit, die Bevölkerung wuchs in diesen Jahren rasant.

Winkelmann gelang es, die Kosmetikfirma Avon, die sich in der Nachbargemeinde Eching niedergelassen hatte und sich vergrößern wollte, nach Neufahrn zu holen. Dafür flog die Bürgermeisterin selbst nach New York, wo sich die Avon-Zentrale befand, und leitete einen umfangreichen Tausch von Grundstücken von Kirche und Privatleuten ein, sodass am Ende ein Areal mit der gewünschten Größe zur Verfügung stand, berichteten die Medien. Avon wurde in den Siebzigerjahren zeitweise zum größten Arbeitgeber im Landkreis Freising.

Eine Demonstration gegen den Flughafenbau in Franzheim 1980. (Foto: imago stock&people/imago/WEREK)

Bekannt wurde Käthe Winkelmann aber vor allem als Flughafengegnerin. 1963 hatte sich eine Planungskommission gebildet, um einen Standort für einen neuen Großflughafen zu finden, da der Flughafen in München Riem zu klein geworden war. Nach einigen Jahren fiel die Wahl auf das Erdinger Moos. Viele Menschen in den betroffenen Gemeinden der Landkreise Freising und Erding gingen auf die Barrikaden, Neufahrn wurde zu einem der Zentren des Flughafenwiderstandes, von Revolutionsstimmung ist die Rede. Winkelmann setzte sich als Bürgermeisterin an die Spitze der Bürgerinitiativen gegen den Flughafen und wurde zu deren Ikone, die Zeitungen beschrieben sie mit den Adjektiven „streitbar“ oder „energisch“.

Winkelmann riskierte ihre Amtsenthebung

Wie weit sie zu gehen bereit war, um den Bau des Flughafens zu verhindern, das zeigten die Geschehnisse. Im Jahr 1971 trat die Gemeinde Neufahrn aus Protest gegen die Landespolitik in den Steuerstreik und verweigerte einige Wochen lang die Zahlung der Kreisumlage. Drei Jahre später weigerte sich Winkelmann, die Genehmigungsunterlagen für den Flughafen im Rathaus auslegen zu lassen und riskierte somit zum zweiten Mal bewusst die Amtsenthebung. „Ultimatum an die Gemeinde Neufahrn. Regierung dringt auf Auslegung der Flughafen-Unterlagen“, titelte die SZ am 23. Oktober 1974. Im selben Artikel kommt Winkelmann zu Wort: „Ich habe einen jahrelangen Kampf für meine Bürger geführt und ich bin entschlossen, es bis zum Ende zu tun.“

Im Jahr 1977 trat Winkelmann aus gesundheitlichen Gründen zurück, obwohl sie die Wahl im darauffolgenden Jahr wahrscheinlich wieder gewonnen hätte. Trotzdem blieb sie der Kommunalpolitik und dem Natur- und Umweltschutz verbunden und engagierte sich weiter. Sie war Gründungsmitglied der Grünen im Landkreis Freising, später wechselte sie zur ÖDP.

SZ PlusMünchner Flughafen-Umzug
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Ihren Kampf gegen den Flughafen musste sie bekanntlich verlieren: Zwar konnte die Bewegung die Inbetriebnahme um viele Jahre verzögern, doch schließlich rollten die Bagger ins Erdinger Moos. Der neue Münchner Flughafen wurde im Mai 1992 eröffnet, die „Jeanne d’Arc aus Neufahrn“, die „Oma Courage“, wie sie manchmal genannt wurde, erlebte das allerdings nicht mehr, denn sie starb im Januar 1992 im Alter von 86 Jahren. Eine große Trauergemeinde nahm an der Beerdigung teil, in der Zeitung wurde sie als „große Dame mit Pflichtbewusstsein“ bezeichnet.

Der heutige Bürgermeister von Neufahrn, Franz Heilmeier (Grüne), der allerdings Winkelmann nicht persönlich kennengelernt hat, sagt, sie sei durchaus eine prägende Persönlichkeit gewesen, die in der Gemeinde „entscheidende Impulse“ gesetzt habe. Impulse, die bis heute sichtbar sind: Der erste Kindergarten in Neufahrn, der Kindergarten St. Franziskus, besteht noch heute. Die Firma Avon ist nicht mehr da, aber das Gewerbegebiet ist geblieben, dort werden nicht mehr Lippenstifte produziert, sondern Krebsmedikamente. Die Gemeinde ist längst kein Bauerndorf mehr, sondern eine Vorstadtgemeinde, mit entsprechenden Problemen und Chancen. Viele Einwohnerinnen und Einwohner aber kämpfen weiter dafür, die dritte Start- und Landebahn aus dem Landesentwicklungsplan endgültig zu streichen.

Die Bürgerinitiativen Attaching und Berglern setzten in Manhartsdorf ein Feldzeichen gegen die dritte Startbahn. (Foto: Renate Schmidt)

In Neufahrn sind Käthe Winkelmann ein Platz und eine Sporthalle gewidmet, die täglich von vielen Kindern und Jugendlichen besucht werden. Flughafengegner vor allem der ersten Generation erinnern sich noch gut an sie, darüber hinaus ist sie aber wenig bekannt: Nicht einmal ein Wikipedia-Eintrag existiert über die Frau, die sich als erste in Bayern „Bürgermeisterin“ nennen durfte.

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