Süddeutsche Zeitung

Freisinger Berufetag:Ausgetretene Pfade verlassen

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In der Luitpoldhalle werden jungen Männern typische Frauenberuf vorstellt und umgekehrt. Nicht nur dieses Konzept soll Jugendlichen bei der Wahl des Jobs neue Perspektiven eröffnen.

Von Nadja Tausche, Freising

"Der Mann soll auch mal wichtig sein", sagt Erkan Karahan. Er ist Friseur, genauer gesagt Barbier, und erklärt den rund 20 Jungs auf den Stühlen vor ihm seinen Beruf. Der Barbier schneide Männern die Haare, trimme aber auch ihren Bart und zupfe Augenbrauen. Männer interessieren sich durchaus für Kosmetik, ist Karahan überzeugt: Aber sie fühlen sich unwohl, so seine Erfahrung, wenn sie sich die Fingernägel machen lassen und dabei von Frauen beobachtet werden. Beim Barbier seien Männer unter sich, dafür brauche er in seinen zwei Geschäften in Freising neben weiblichen auch männliche Angestellte, wirbt er für seinen Beruf.

Männern typische Frauenberufe vorzustellen und umgekehrt: Das war eins der Ziele des Freisinger Berufetages in der Luitpoldhalle. Die Veranstaltung am Mittwoch war auf zwei Hallen aufgeteilt, in der einen informierten sich Mädchen über Berufe wie Polizistin oder Fertigungsmechanikerin. Die andere Halle sollte Jungs die Ausbildung zum Kinderpfleger oder zum Gärtner näher bringen. Es ging aber nicht nur um die Geschlechterfrage: Man stelle auch Berufe vor, die generell wenig bekannt oder vom Fachkräftemangel besonders betroffen seien, erklärte Mitorganisatorin Regina Cordary vom Freisinger Jugendamt. Organisiert wurde das Ganze von Mitarbeitern verschiedener Organisationen, darunter die Freisinger Arbeitsagentur, der Kreisjugendring und das Jugendamt. Vor Ort waren rund 650 Schüler aus den achten und neunten Klassen der Mittelschulen sowie vom Berufsschul- und dem Förderschulzentrum im Landkreis.

Das Ziel: Neue Perspektiven aufzeigen

Die Idee kam gut an, zumindest bei drei Jungs von der Mittelschule in Lerchenfeld. Man erfahre viel Neues über die Jobs, sagt der 15-jährige Henry am Stand der Werkfeuerwehr. Schade finden sie, dass man sich nicht alle Stände selbst aussuchen kann. Für zwei Berufe werden die Jugendlichen zugeteilt, nur den dritten wählen sie selbst. "Aber manche Berufe interessieren mich nicht", meint Sascha, 14, er hätte lieber alle drei selbst ausgesucht. Die Idee dahinter ist laut Cordary, neue Perspektiven aufzuzeigen: "So sind die Jugendlichen gezwungen, sich über neue Berufe zu informieren." Oft kenne man eben nur den Beruf der Eltern, den eigenen Wunschjob und dazu einige Standardberufe.

In der Halle nebenan finden Sarah, 13, und Büsra, 14, vor allem die praktische Seite der Veranstaltung gut. Dass man sieht, was genau man in den Berufen macht, wie Sarah sagt. Bei den Köchen etwa können die Jugendlichen an Gewürzen riechen, bei den Fahrzeugsattlern ist ein Autositz zu begutachten. Dass sie einen der vorgestellten Berufe später einmal ausüben, glauben die beiden aber nicht. Sie habe sogar mal über Polizistin nachgedacht, dürfe in dem Beruf aber gar nicht arbeiten: Sie sei zu klein, sagt Büsra.

Unter den selbstständigen Geigenbauern gibt es kaum Frauen

Extra aus Ingolstadt angereist ist an diesem Vormittag Sabine Rudzewski, sie ist Geigenbauerin. Auf dem Tisch vor sich hat sie Utensilien ihrer Arbeit ausgebreitet, das Holzskelett einer Geige, daneben ein Strang heller Haare: Pferdehaar für die Bögen, erklärt sie. Um eine Konzertgeige komplett fertig zu bauen, brauche sie zwischen 150 und 250 Stunden reine Arbeitszeit. Rudzewski baut auch für die ganz Kleinen: An der Stellwand hinter ihr hängt die Miniversion einer Geige, für Drei- bis Vierjährige.

Rudzewski arbeitet in einem typischen Männerberuf. Vor allem unter den selbstständigen Geigenbauern gebe es kaum Frauen, sagt sie. Jahrelang sei sie am Anfang gefragt worden: ,Sind Sie der Meister?', erzählt sie, in der männlichen statt weiblichen Form. Den Besucherinnen ihres Standes will vor allem eines mitgeben: "Es ist wichtig, dass Mädchen Mut haben, ihre ausgetretenen Pfade zu verlassen."

Der Barbier Erkan Karahan will die Jugendlichen vor allem zu Ehrgeiz anspornen. "Man sollte auch nicht immer nur ans Geld denken", sagt er - das Gehalt steigere sich zwar mit der Zeit, viel wichtiger sei aber die Anerkennung, also dass Kunden nach dem Besuch bei ihm zufrieden seien. Außerdem brauche es in seinem Beruf vor allem eines, meint er: Leidenschaft.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2018
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