Lehrreiche Radtour bei Freising:Freisings Forst der Zukunft

Lehrreiche Radtour bei Freising: In einer mehrstündigen Radltour hat Herbert Rudolf, der Leiter des Forstreviers Freising, der auch den Weltwald betreut, eine Gruppe die Phasen des Waldumbaus vor Augen geführt.

In einer mehrstündigen Radltour hat Herbert Rudolf, der Leiter des Forstreviers Freising, der auch den Weltwald betreut, eine Gruppe die Phasen des Waldumbaus vor Augen geführt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Seit 35 Jahren verfolgt Forstamtsleiter Herbert Rudolf seine Vision, Fichtenmonokulturen in einen artenreichen und vielfältigen Wald zu verwandeln, der auch dem Klimawandel trotzen kann.

Von Thilo Schröder, Freising

Herbert Rudolf hat eine Vision, auf deren graduelle Verwirklichung der 61-Jährige schon seit 35 Jahren hinarbeitet. Es ist eine Vision, die darauf abzielt, Fichtenmonokulturen systematisch umzubauen und dabei Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. Sie beginnt und endet im Freisinger Forst. Geht es nach Rudolf, soll hier am Ende eines langen Umbauprozesses ein artenreicher, vielgestaltiger und klimaresilienter Dauerwald stehen. Ein Wald, der nicht nur Erholung bietet, der vielmehr ein Biotop sein soll, das auf natürliche Weise jede Menge hochwertiges Holz als regionalen Rohstoff für eine CO₂-arme Wirtschaft der Zukunft liefert.

An einem Nachmittag im Juli steht Rudolf am Eingang zum Walderlebnispfad vor der Waldgaststätte Plantage. Auf seinem T-Shirt ist eine Weltkugel abgedruckt, außerdem ein Bild der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg. Eine achtköpfige Gruppe hat sich vor ihm versammelt, eingeladen hat der Landesbund für Vogelschutz (LBV) im Rahmen seines Projekts "Klimaungerechtigkeit", das von der LBV-Umweltstation München umgesetzt wird. Sie wollen sich von Rudolf zeigen lassen, wie die Umgestaltung zum gemischten Dauerwald funktioniert. In einer mehrstündigen Radltour wird der Leiter des Forstreviers Freising, der auch den Weltwald betreut, ihnen die Phasen des Waldumbaus vor Augen führen.

Die Ausgangslage

Akuter Holzbedarf und Reparationsverpflichtungen führten in den 1920er und 1940er Jahren, auch im Freisinger Forst, zu großflächigen Kahlschlägen. Da ertragreich auf Kahlflächen und robust, pflanzte man häufig die Gebirgsbaumart Fichte. Das Problem: Außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets, wie hier im Flachland, sind solche Fichtenmonokulturen besonders anfällig gegenüber Stürmen, Borkenkäfern und anderen Schädlingen. "Dass wir von diesen labilen Wäldern weg müssen, das war schon vor 30 Jahren bekannt", sagt Herbert Rudolf und fügt noch hinzu: "Dass der sich abzeichnende Klimawandel das Problem noch verschärfen wird, wussten wir damals auch schon."

Auf einer Anhöhe, gleich bei der Waldgaststätte, liegt ein alter Laubwald mit dichtem Unterholz. In einem "grünen Meer" stehend, demonstriert Rudolf die Wuchskraft und Schattentoleranz der heimischen Buche. Er nennt sie die "Mutter des Waldes". Rudolf zeigt auf ein geschätzt 150 Jahre altes Exemplar, umgeben von zahlreichen kleinen Nachkömmlingen. "Der Halbschatten und das Gedränge der Stämmchen führt zu geraden, astreinen Bäumen", erklärt er. "Ein natürlicher Prozess, der hochwertiges Möbelholz liefert."

Als Herbert Rudolf seine Arbeit aufnahm, waren solche Bilder die Ausnahme. "Ein großer Teil des Reviers war damals noch sehr fichtenlastig", sagt er, "heute setzen wir auf die ganze Palette heimischer Baumarten." Das seien in Freising vor allem Buche, Tanne, Ahorn, Eiche und Linde, an den Rändern Wildobst und in den nassen Senken Erlen. "Durch den Klimawandel kommen aber vielleicht selbst diese Arten in Bedrängnis", sagt der Freisinger Revierförster und verweist in diesem Zusammenhang auf "bewährte Exoten" wie etwa Roteiche und Douglasie aus Nordamerika: "Lieber ein paar Arten mehr, zur Sicherheit."

Der Wald im Umbruch

Rudolf führt nun in einen Teil des Forsts, der auf den ersten Blick wirkt, als seien hier zwei unterschiedliche Wälder verschmolzen. Während hoch oben die Baumkronen alter Fichtenbestände aus den Nachkriegsjahrzehnten wogen, schieben sich in den Zwischenräumen dicht bei dicht stehend junge Laubbäume, Weißtannen und Douglasien empor. "Eine völlig neue Schicht", sagt Rudolf. In mehreren Eingriffen habe man hier immer wieder Fichten entnommen, dafür andere Baumarten gepflanzt. "So wird die Fichte systematisch verdrängt, weil die nicht so viel Schatten verträgt."

FREISING: Waldlehr-Pfad - Bäume / Baum

Bei einem Rundgang auf dem Walderlebnis-Pfad kann man erkunden, wie der Waldumbau funktioniert.

(Foto: Johannes Simon)

Als er seine Arbeit vor 35 Jahren begonnen habe, sagt Rudolf, seien hier etwa 80 Prozent der Bäume Fichten gewesen. Heute seien es noch etwa 45 Prozent. In jedem Jahr hat sich also der Fichtenanteil um ein Prozent zugunsten anderer Baumarten verringert. Das Ziel: nur noch 20 bis 30 Prozent Fichtenbestand. Ganz verdrängen wolle man die Fichte nicht. Das sei ja "eigentlich ein toller Baum", der sich im Mischwald wohlfühle, sagt Rudolf, der aber "in der Monokultur vergewaltigt" worden sei. Gleichmäßigere, engere Jahresringe zeigten, dass das Holz der neuen, gemischten Baumgenerationen gegenüber dem der alten Fichtenplantage deutlich hochwertiger sei, sagt Rudolf. Sie seien weniger anfällig für Fäule, ihr Holz härter und schwerer. "Das ist auch für den Holzbau noch in 100 Jahren wichtig", erklärt Rudolf.

Durch ihre Pfahlwurzel könne beispielsweise die Tanne auch in trockenen Monaten Wasser aus der Tiefe ziehen, wenn es "für die flachwurzelnden Fichten schon eng wird". Die Gesamtstruktur sei zudem widerstandsfähiger gegenüber Naturgewalten. "Wenn jetzt ein Sturm kommt und Fichten umfallen, gibt es überall genügend junge Bäumchen, die die Lücken schließen."

Etwa alle 40 Meter stößt man auf "Fahrgassen" auf denen sich Vollernter bewegen dürfen. Rudolf zeigt, wie eine systematisch aufgebaute "Matratze" aus den Ästen und Kronen gefällter Bäume den Waldboden abdeckt und das Gewicht der Maschinen abmildert.

Dem Idealzustand sehr nahe

An einer anderen Stelle, neben einem künstlich angelegten Tümpel, biegt Rudolf vom geschotterten Weg ab. Durch wildes Gestrüpp, über bemoostes, bewusst liegen gelassenes Totholz und zwischen dicht stehenden Bäumen hindurch geht es auf eine große, natürliche Lichtung. Hier stehen noch einmal deutlich ältere Fichten, vielleicht 120 Jahre alt, schätzt Rudolf, darunter 40-jährige Buchen. Der Übergang der Baumgenerationen ist hier für den Laien kaum noch wahrnehmbar, denn in Höhe und Durchmesser sind sich die meisten Bäume sehr ähnlich. Von den alten Fichten, einst die alles dominierende Art, stehen nur noch wenige. "Die neue Schicht hat die hinsichtlich Biomasse schon überholt", sagt Rudolf.

FREISING: Waldlehr-Pfad - Bäume / Baum

Zwischen die alten Fichtenbestände aus den Nachkriegsjahrzehnten schieben sich in den Zwischenräumen junge Laubbäume. Totholz wird außerdem bewusst liegen gelassen.

(Foto: Johannes Simon)

Alle sechs, sieben Jahre würden in dem Bereich zehn bis 20 dicke Fichten pro Hektar geerntet. Der Waldbestand als lebendiges Ganzes bleibt dabei nahezu unberührt. Etwa zehn Prozent der potenziell nutzbaren Bäume würden aber bewusst stehen gelassen. Solche "Biotopbäume" haben Spechtlöcher, sind vielleicht in der Krone gebrochen oder haben Fauläste. Als Wildniselemente im Wirtschaftswald dürfen sie uralt werden. "Das schafft eine umfassend naturnahe Waldstruktur, was sich langfristig - auch ökonomisch - auszahlt."

Vom Waldumbau beeindruckt zeigen sich am Ende der Führung die Teilnehmer. Nach anfänglichem Gegenwind sei dies nun "einer der schönsten Wälder" der Region, sagt Gerda Kössler, die im Amt für Naturschutz und Landesplanung des Landratsamts Freising arbeitet. "Ein wunderschöner Lehrwald für künftige Förster", lobt auch der angehende Forstingenieur Benedikt Siegel. "Ich bin hier früher als Schüler durchgegangen", sagt der 67-jährige Johann Sperl, "da war das alles Fichte. Und jetzt ist das ein wunderschöner Wald."

Für Herbert Rudolf spiegelt diese letzte Station einen Zustand wider, den er sich auch für den restlichen Freisinger Forst wünscht. "Das ist eine mögliche Vision, wie das ganze Revier in 20, 30 Jahren aussehen könnte", sagt er. "Man kann hier zeigen, wie ein bunter, vielgestaltiger Wald, wenn man ihn in seiner ihm eigenen Dynamik wachsen lässt, eine erstaunliche Wertschöpfung zulässt."

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